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was er sagt und wie dich das emotional berührt. Wenn wir uns einfach damit abfinden, dass die Szene vielleicht scheitern kann, dann sind wir in der Lage, diesem Scheitern wenigstens noch etwas Wahrhaftiges mit auf den Weg zu geben. Und vielleicht scheitert die Szene dann eben doch nicht, sondern wird zu einer der besten, die du je gespielt hast.

      Diese Umstellung der geistigen Tätigkeit vom Planen aufs Hier-im-Moment-Sein ist für die Meisten eine Zumutung und Herausforderung. Aber sie ist auch ein Weg, um die Angst zu verlieren. Wenn ich mich dem Hier und Jetzt wirklich emotional hingebe, den Moment erlausche und erspüre, was von mir gefragt ist, verliert die Angst ihre Bedeutung. Sie hat schlicht keinen Platz im Bedeutungsraum der Szene.

      Wenn wir dieses Wagnis eingehen, kann es geschehen, dass wir den Teufelskreis verlassen und einen anderen Kreis betreten – den der positiven Rückkopplung. Dann lernen wir nämlich, damit leben zu können. Wenn Szenen, Storys und ganze Shows scheitern können, wenn wir lernen, damit leben zu können, dass wir selber als Impro-Spieler scheitern können, dann lohnt es sich nicht, über die Konsequenzen zu sinnieren, dann lohnt es sich nicht, zu planen und vorauszudenken, dann können wir genauso gut dem Moment vertrauen, dann können wir die vermeintlichen Sicherheiten, die Sprüche und Gags hinter uns lassen und uns dem zuwenden, was gerade von uns gefordert wird.

       Übung: Rund/Kantig und Assoziieren

      Drei Spieler. Spieler A bewegt sich pausenlos mit runden, weichen Bewegungen durch den Raum. Sobald der in seiner Nähe laufende Spieler B „Wechsel!“ ruft, bewegt sich A hart und kantig. Ruft B wieder „Wechsel!“ geht es wieder zurück in den Rund-und-weich-Modus. Gleichzeitig sagt Spieler C Wörter, auf die A sofort assoziieren muss.

      Zu beachten: Spieler B sollte die Wechsel unvorhersehbar machen, in einem Abstand von 10-30 Sekunden. Spieler C soll nicht selber auf A assoziieren, sondern diesem dissoziativ neue Begriffe anbieten. Um hier Nachdenk-Lücken zu vermeiden, nimmt man dafür am besten Wörter, die mit dem letzten Buchstaben des zuletzt genannten Wortes beginnen, zum Beispiel:

      C: Tiger

      A: Dschungel

      C: Lüge

      A: Gericht

      C: Trümmer …

       2.8.4Training

      Im Kinderbuch Der kleine Angsthase von Elizabeth Shaw rät Onkel Heinrich dem ängstlichen Hasen-Protagonisten: „Du musst deine Angst überwinden. Sei einfach nicht mehr ängstlich.“

      So wenig wie der Hasen-Onkel kann ich erwarten, dass der Leser dieser Seiten sich sagt: „Alles klar! Ich brauche einfach bloß keine Angst mehr zu haben.“ Zwar ist es wichtig, dass wir das Problem verstehen, aber es verschwindet nicht durch das Lesen eines Impro-Buches. Lesen und Nachdenken können helfen, das Problem zu identifizieren und Strategien zur Bewältigung zu erkennen, aber angehen müssen wir es in der Praxis. Wenn wir sehen, dass ein Teil unserer Schwierigkeiten im Improtheater mit Angst verknüpft ist, wissen wir immerhin, wo wir den Hebel ansetzen müssen. Training ist hier der entscheidende Punkt. Wir können uns bei Proben den angstbesetzten Themen nähern. Proben mit guten Kollegen und Workshops in einem angenehmen Umfeld bieten einen ausgezeichneten Rahmen. Vor allem haben wir hier die Option, größere Risiken einzugehen. Hier haben wir keinem Publikum etwas zu beweisen (und hoffentlich auch keinen Kollegen oder Lehrern). Gebt euch gerade bei Proben selbst die Möglichkeit, sehr riskant zu spielen und grandios zu scheitern. Geht heiter mit dem Scheitern um. Wenn ihr Improtheater als eine gemeinsame Suche versteht, wenn ihr gemeinsam lacht und euch auf demselben Pfad befindet, dann müsst ihr nicht verschweigen, wenn die Szene mies war. Denn die gemeinsame Freude am Versuch und am Prozess erleichtert den Weg von der Angst hin zum Mut.

      Der geschützte Raum des Probens erlaubt uns, Grenzen zu überschreiten, ohne sich unmittelbar dem Publikumsurteil stellen zu müssen. Die Routine auf der Bühne wird uns nach einer Weile die Sicherheit geben, dass unser Leben nicht zugrunde geht, wenn wir mal eine Szene oder gar eine ganze Show in den Sand setzen.

       2.8.5Mut zu Neuem

      Improtheater hat etwas Befreiendes. Fast jeder, der einen halbwegs anständigen Impro-Workshop mitgemacht hat, bestätigt das. Wir verlieren schon durch die Praxis des Improvisierens eine ganze Reihe von Ängsten. Diesen Schwung der Selbstbefreiung gilt es zu erhalten. Und das wird schwieriger, je länger wir uns mit Improtheater beschäftigen, da wir uns immer wieder in Sicherheiten wiegen. Wir glauben irgendwann, verstanden zu haben, wie der Hase läuft, wir halten uns für „fortgeschritten“, für „professionell“, für „erfahren“. Wir glauben zu wissen, wie man eine Impro-Show aufführt. Aber im Grunde bauen wir uns nur neue Schutzwälle auf. Den Mut zu haben, sich immer wieder auf Neues einzulassen – neue Themen, neue Formate, neue Formen der Interaktion mit dem Publikum – und immer wieder neue Freiheitsgrade zu entdecken, das ist die große Herausforderung im Improvisationstheater.

       2.8.6Hab Spaß

      Mit Improtheater wird man nicht gerade reich. Der Ruhm, den man im Improtheater ernten kann, ist in der Regel auf eine sehr überschaubare Subkultur beschränkt. Also warum macht man das alles? Zum Spaß und zur Freude. Die Quellen dieser Freude sind beim Improtheater, wie wir am Anfang dieses Buchs gesehen haben, mannigfaltig. Und sie können sich im Laufe der Jahre verändern. Man kann Freude daraus ziehen, mit Freunden auf der Bühne ungehemmten Quatsch zu produzieren. Man kann Freude im Ertüfteln und Bewältigen einer filigranen Langform finden. Die Figuren, das Miteinander, die Storys können Grund zur Freude sein. Es kann Zeiten geben, in denen diese Freude verschwindet – in künstlerischen Krisen, wenn es Gruppenzwist gibt, wenn ein Projekt in den Sand gesetzt wurde. Aber egal, was drumherum geschieht, auf der Bühne solltest du die maximale Freude suchen. Selbst wenn ihr nur vor drei Zuschauern spielt, selbst wenn du mit dem Format nicht viel anfangen kannst, selbst wenn die Szene abstürzt – schätze dich glücklich, improvisieren zu dürfen. Wenn dir ein Spiel oder ein Format nicht gefällt – stürze dich dennoch mit einem kräftigen Hurra hinein und setze deine ganze Kraft dafür ein, dass schöne Szenen entstehen.

      Hadere nicht mit deinen Mitspielern. Erwarte wenig, aber vertraue ihnen. Was du von ihnen erwarten kannst, ist, dass sie dir Angebote machen, die dich überraschen, dass sie blockieren oder unverständlich sind, so wie auch du blockierst oder unverständlich bist. Schau ihnen in die Augen und wisse: Dieser Moment ist einmalig, wir improvisieren gerade eine Szene. Suche nicht nach den Fehlern deiner Mitspieler. Deine Aufgabe auf der Bühne ist es nicht, deine Mitspieler zu bewerten, sondern aus ihren seltsamen Angeboten eine großartige Szene zu zaubern.

      Angst verfliegt,

      wo Freude siegt.

      4 Impro-Spielerin und -Trainerin aus Minnesota.

      5 Keith Johnstone: Regisseur, Autor und Impro-Theoretiker. Erfinder vieler populärer Improtheater-Spiele und Impro-Show-Formate.

      6 Theatersport ist ein von Keith Johnstone erfundenes Improtheater-Show-Format, bei dem zwei Mannschaften „gegeneinander“ antreten, deren Szenen dann vom Publikum bewertet werden. (s. Improvisationstheater. Band 9: Impro-Shows)

      7 Das Buchstabenvermeidungsspiel trainiert zum Beispiel neben den heiteren Scheitern auch, weniger auf der Bühne zu schwatzen. Insofern liegt der Zweck dieser Spiele darin, darstellerische, narrative oder improvisatorische Probleme der Spieler zu lösen.

      8 Siehe Kapitel 21.4 Plateaus, Blockaden und künstlerische Krisen

      9 Dass bedingungsloses Akzeptieren seine Grenzen hat, wird jeder bestätigen, der einmal einer Falschmeldung in der Zeitung aufgesessen ist oder sich von einem reißerischen oder gar betrügerischen Angebot hat einlullen lassen. Insbesondere die Wissenschaft hat die Skepsis zur Tugend erhoben, indem in jedem ihrer Fächer einem Methoden-Standard entsprochen werden muss, um sich

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