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      Er: „Natürlich! Deshalb brauchst du doch hier nicht so rumzumaulen.“

      Sie: „Warum hasst du mich?“

      Auf der Bühne scheinen Impro-Spieler manchmal taub zu sein für die emotionalen Feinheiten. Sie hören nur an der Oberfläche des Gesagten zu oder bleiben oberflächlich bei dem, was sie sagen. Das Zuhören auf der Ebene der Emotionen gelingt uns genau dann, wenn wir uns selber emotional öffnen. Lass den Kanal von deinen Ohren zu deinem Herzen offen und du wirst sensibilisiert für die Feinheiten der Botschaften.20

       3.4Höre auf das Spiel-Angebot

      Ich habe es im Kommentar zur Shakespeare-Szene bereits erwähnt: Wenn wir mit allen Sinnen wahrnehmen, dann „lesen“ wir nicht nur die Wörter, die Sinnzusammenhänge und das szenisch-dramatische Angebot unseres Partners, sondern auch das angebotene Spiel21. Wenn wir uns die Szene noch einmal als Impro-Szene vorstellen würden, sehen wir Spiel-Angebote von „Anna“ gleich auf mehreren Ebenen, die ein aufmerksam zuhörender Spieler sofort erkennt:

      •Die Sprech-Ebene: Wir hören, die Sprache ist etwas altertümlich („Bube“, „göttlich Recht“).

      •Die stilistische Ebene: Uns werden fünfhebige Jamben als Versmaß angeboten. Das heißt, dass wir uns wahrscheinlich in einem klassischen Drama befinden. Hier in Alltagssprache zu antworten, wäre ein krasser Bruch.

      •Die Ebene des inhaltlichen Spiels: Anna verflucht ihr Gegenüber. Wenn dies die ersten Zeilen der Szene wären, hätte der Gloster-Spieler noch eine ganze Reihe von Optionen. Er könnte zum Beispiel zurückfluchen, er könnte sie verspotten oder bestrafen. In der konkreten Szene aber versucht er, die Schuld von sich zu weisen und Anna Komplimente zu machen. Da „Anna“ ebenfalls zuhört, ergibt sich ab ihrem nächsten Satz das Spiel, das von beiden fortgeführt wird.

      Wenn wir gut zuhören und unser inneres spielendes Kind freisetzen, gelingt es uns nicht nur, ein Spiel zu erkennen, sondern auch selbst aus einem einfachen Angebot ein Spiel zu erschaffen. Worauf müssen wir also achten? Auf alles! Im Prinzip kann jedes Detail zum Spiel werden. Das Spiel wird zum Spiel ab der zweiten Wiederholung. Wenn sich Anna und Gloster also einmal beschimpfen und einmal bezirzen, dann würde man es noch nicht als Spiel bezeichnen, würden sie es zwei Mal tun, wäre es eine Wiederholung. Erst die Variation lässt das Spiel als Spiel hervortreten.22

      Spiel-Angebote sind also nicht unbedingt immer so eindeutig und klar erkennbar wie die verbale Vorgabe „Lass uns in fünfhebigen Jamben sprechen.“ Sie liegen eher latent in der Luft, und die Frage ist, was wir daraus machen.

      •Wenn mein Partner im Tiefstatus auf die Bühne kommt, könnte ich daraus das Spiel „Hochstatus versus Tiefstatus“ oder einen „Tiefstatuskampf“ etablieren.

      •Wenn mein Partner mich in der ersten Szene mit „Tränor Xerröm“ anspricht, könnten wir uns in der Zukunft befinden, in einer Fantasy-Story, in einem obskuren Land oder vielleicht habe ich lediglich einen seltsamen Namen. Ich muss auf jeden Fall wachsam sein für das dahintersteckende Spiel oder ich etabliere es selbst.

      •Wenn ich in extremem Hochstatus und mit edlen Manieren meinen Partner als Handwerker in meiner Wohnung definiere und er spricht in krassem Dialekt und Techniker-Jargon, so könnte das Spiel-Angebot heißen: „Lass uns eine Zwei-soziale-Welten-missverstehen-sich-Szene“ spielen.

      •Wenn mein Partner auf der Bühne sehr physisch agiert, könnte genau das das Spiel-Angebot sein. Wie genau unser Körper-Spiel später aussehen wird, weiß ich noch nicht, aber ich weiß, dass ich auf unsere Körperlichkeit achten kann, um das Muster zu verstärken, sobald eines hervortreten sollte.

       3.5Erinnern und Wiedereinführen

      Handlungsmotive, Namen von Orten, kleine Gegenstände, geäußerte Gedanken und sonstige Details muss man sich ebenso merken wie die Namen von Personen

      Alles ist unser Material. Mit allem können wir spielen.

      Unser Zuhören ist erst dann genau, wenn wir uns wirklich erinnern. Wir brauchen das Erinnern für die sinnvolle Fortsetzung der Szenen. Wenn ich mich nicht erinnere, ob die Heldin als Single oder verheiratet etabliert war, ob sie Ärztin oder Köchin war, ob sie alt ist oder jung, wie soll ich dann die Story sinnvoll fortsetzen?

      Aber es geht auch um Strukturen, Formen und Muster. Storys wirken (zumindest im westlichen Kulturkreis) erst als abgeschlossen, wenn genügend Motive wiedereingeführt wurden. Selbst eine mittelmäßige Geschichte wirkt „geschlossen“, wenn das Ende dem Anfang ähnelt.23 Setze den Protagonisten am Ende möglichst verändert an die gleiche Stelle, von der er am Anfang gestartet ist, und schon wirkt eure Impro-Geschichte beinahe genial. Eine Story ist mehr als die Aneinanderreihung verschiedener aufeinanderfolgender Handlungen. Eine Story ist die sequenzielle Wiedergabe von Handlungen, deren ausgewählte Verknappung ihnen Sinn verleiht.24

      Bei Storys ist die Notwendigkeit des Wiedereinführens von Elementen augenfällig. Aber auch bei nicht-narrativen Formaten, wie dem Roten Faden25 oder dem freien Harold26 ergeben sich Muster, denen wir die Regie überlassen können. Je freier die Form, umso aufmerksamer müssen wir sein für die Emergenz von Strukturen und Mustern. Und Strukturen, Formen und Muster wiederum lassen sich nur dann entfalten, wenn wir bereit sind, zu erinnern und wiedereinzuführen.

       Übung „… was uns zurückführt“27

      Erzählspiel. Zwei Spieler als Erzähler.

      Jeder spricht immer nur einen Satz. Jeder Satz baut möglichst auf dem vorhergehenden Satz auf und fügt eine neue Information hinzu.

      Der Spielleiter kann jederzeit rufen: „was uns zurückführt zu …“, woraufhin einer der Spieler ein bereits eingeführtes Element wieder aufgreifen muss.

      18 Bei diesem Mini-Format werden von zwei Duos abwechselnd zwei Storys gespielt, bei denen das eine Duo immer dessen letzten Satz als Start für die eigene nächste Szene nutzt

      19 „Status“ bezeichnet im Theater nicht den sozialen Status, sondern, verkürzt gesagt, das subtil körperlich kommunizierte Dominanz-Unterwerfungs-Verhältnis zweier Figuren. Ausführlich zum Thema Status: Improvisationstheater. Band 2: Schauspiel-Improvisation.

      20 Der Dialog „Streit mit schönen Worten“ von Karl Valentin und Liesl Karlstadt zieht genau aus dem Widerspruch zwischen Gesagtem und Gefühltem seine Komik: Man hört die schönen Worte, aber glaubt eher dem Ton, in dem sie geäußert werden.

      21 Gemeint ist natürlich „Spiel“ im weiteren Sinne, nicht beschränkt auf klassische Impro-Spiele. Dazu ausführlicher „Improvisationstheater. Band 4: Finde das Spiel“.

      22 Auch Filme und Geschichten nutzen dieses Mittel. Man denke an den dreimaligen Besuch der verkleideten Stiefmutter in Schneewittchen. In Pulp Fiction sehen wir solche Spiele auf der Handlungs-Ebene: So sehen wir den Gangster Vince drei Mal auf der Toilette, und jedes Mal, wenn er von dort zurückkommt, erwartet ihn Unheil.

      23 Auch hier lohnt es sich, bekannte Filme nach dieser „Ende = variierter Anfang-Technik“ abzuscannen. Im bereits erwähnten Pulp Fiction bewegen sich Jules und Vincent sowohl zu Beginn als auch am Schluss durch die Stadt, aber eben völlig verändert – äußerlich als auch innerlich. In Der Pate sehen wir, wie zu Beginn dem alten und am Ende dem neuen Mafia-Chef im selben Zimmer auf traditionelle Weise die Ehrerbietung per Handkuss entgegengebracht wird. Adson van Melk und William von Baskerville reiten sowohl zu Beginn als auch am Ende von Der Name der Rose auf ihren Eseln. Aber das in der einen Woche Erlebte hat sie für immer verändert.

      24

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