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bedroht; jetzt war er Angestellter in einem Fuhrgeschäft. Hussonnet war ihm morgens an einer Straßenecke begegnet und führte ihn her, denn Dussardier wollte aus Dankbarkeit gern den »andern« sehen.

      Er reichte Frédéric die noch gefüllte Zigarrentasche, die er, in der Hoffnung, sie wiederzugeben, gewissenhaft bewahrt hatte. Die jungen Leute forderten ihn auf, wiederzukommen. Er versäumte es nicht.

      Alle sympathisierten miteinander. Vor allem stand ihr Haß gegen die Regierung als unbestrittenes Dogma obenan. Martinon allein versuchte Louis Philippe zu verteidigen. Man stürmte mit Gemeinplätzen aus den Zeitungen auf ihn ein: die Befestigung von Paris, die Septembergesetze, Pritchard, Lord Guizot – so daß Martinon in der Furcht, jemand zu verletzen, verstummte. In den sieben Jahren auf dem Gymnasium hatte er keine Strafarbeit bekommen, und auf der Universität wußte er den Professoren zu gefallen. Er trug meist einen groben Überrock von Mastixfarbe und Gummischuhe; aber eines Abends erschien er wie zu einer Hochzeit gekleidet in langer Samtweste, weißer Kravatte und Goldkette.

      Das Erstaunen verdoppelte sich, als man erfuhr, daß er von Monsieur Dambreuse kam. Die Sache war die, daß der Bankier Dambreuse von dem Vater Martinons einen beträchtlichen Posten Holz gekauft hatte; und als der gute Mann ihm seinen Sohn vorstellte, hatte er sie beide zum Diner eingeladen.

      »Gab es viele Trüffeln?« fragte Deslauriers, »und hast du zwischen zwei Türen seine Frau um die Taille gefaßt, sicut decet?«

      Dann drehte sich die Unterhaltung um die Frauen. Pellerin bestritt, daß es schöne Frauen gebe, (er zog die Tiger vor); überdies sei der weibliche Mensch ein inferiores Geschöpf in der ästhetischen Rangordnung.

      »Was euch betört, ist hauptsächlich das, was sie als Begriff degradiert; ich meine den Busen, das Haar…«

      »Indessen,« warf Frédéric ein, »langes schwarzes Haar und große schwarze Augen…«

      »Ah! kennt man!« rief Hussonnet. »Genug von Spanien und Kastanien! Das Antike? Ich danke! Denn schließlich, Scherz beiseite! eine Lorette ist amüsanter als die Venus von Milo! Laßt uns doch Gallier sein, zum Donnerwetter, und flott, wenn wir können!

      Fließe, guter Wein, ein Lächeln, ihr Frauen!

      Man muß von den Braunen zu den Blonden übergehen! – Wie denken Sie darüber, alter Dussardier?«

      Dussardier antwortete nicht. Alle drängten ihn, um seinen Geschmack kennen zu lernen.

      »Wohlan!« sagte er errötend, »ich, ich würde immer dieselbe lieben!«

      Es wurde in solcher Weise gesagt, daß einen Moment Schweigen entstand; die einen waren überrascht von dieser Treuherzigkeit, die anderen entdeckten darin vielleicht das geheime Verlangen ihrer Seele.

      Sénécal stellte seinen Bierschoppen auf das Fensterbrett und erklärte lehrhaft, daß, da die Prostitution eine Tyrannei und die Ehe eine Unsittlichkeit sei, die Enthaltsamkeit das beste wäre. Deslauriers betrachtete die Frauen als eine Zerstreuung, nichts weiter. Monsieur de Cisy hatte in bezug auf sie allerlei Befürchtungen.

      Unter den Augen einer frommen Großmutter erzogen, fand er die Gesellschaft dieser jungen Leute lockend wie einen verrufenen Ort und lehrreich wie die Sorbonne. Man sparte nicht mit Lehren für ihn, und er zeigte sich voll Eifer, so daß er sogar rauchen wollte trotz der Übelkeit, die ihn regelmäßig danach quälte. Frédéric überhäufte ihn mit Aufmerksamkeiten. Er bewunderte die Nüance seiner Kravatte, das Futter seines Paletots und besonders seine Stiefel, die dünn wie Handschuhe waren und unverschämt sauber und fein; sein Wagen wartete unten auf der Straße.

      Eines Abends, als er eben gegangen war und es zu schneien begann, fing Sénécal an, seinen Kutscher zu bemitleiden. Darauf zog er gegen die gelben Handschuhe her, gegen den Jockeyklub. Ein Arbeiter sei mehr wert als diese Herren.

      »Ich arbeite wenigstens! ich bin arm!«

      »Das sieht man,« sagte Frédéric endlich ungeduldig.

      Der Lehrer trug ihm für dieses Wort seinen Groll nach.

      Als aber Regimbart einmal sagte, daß er Sénécal ein wenig kenne, und Frédéric einem Freunde Arnoux’ eine Aufmerksamkeit erweisen wollte, bat er ihn, zu den Sonnabend-Vereinigungen zu kommen, und die Begegnung war beiden Patrioten willkommen.

      Indessen, ihre Meinungen gingen auseinander.

      Sénécal – der ein spitzfindiger Kopf war – zog nur Systeme in Betracht. Regimbart dagegen sah in den Tatsachen nichts als Tatsachen. Was ihn hauptsächlich beunruhigte, war die Rheingrenze. Er behauptete, sich auf Geschütze zu verstehen, und ließ sich seine Anzüge bei dem Schneider der Polytechnischen Hochschule machen.

      Am ersten Tage, als ihm Kuchen angeboten wurde, zuckte er verächtlich die Achseln und sagte, daß das etwas für Frauen sei; und er war die folgenden Male nicht viel liebenswürdiger. Sobald die Gedanken sich in einer etwas höheren Sphäre bewegten, brummte er: »Nur keine Utopien, keine Träume!« In Kunstfragen waren seine Ansichten (obwohl er die Ateliers besuchte, wo er zu weilen eine Stunde Fechtunterricht gab) weniger überlegen. Er verglich den Stil von Monsieur Marast mit dem von Voltaire und Mademoiselle Vatnaz mit Madame de Staël, um einer Ode auf Polen willen, »in der Herz war«. Regimbart ärgerte alle, besonders aber Deslauriers, denn der Citoyen war ein Vertrauter Arnoux’. In der Hoffnung, nützliche Bekanntschaften zu machen, strebte der Schreiber jedoch danach, in dessen Haus zu verkehren.

      »Wann führst du mich dort ein?« fragte er. Arnoux wäre mit Geschäften überladen, oder er befinde sich auf Reisen, erwiderte Frédéric, darum sei es nicht der Mühe wert, denn die Diners würden jetzt eingestellt.

      Wenn er für seinen Freund das Leben hätte aufs Spiel setzen müssen, würde Frédéric es getan haben, aber da ihm daran lag, sich so vorteilhaft wie möglich zu zeigen, er soviel auf seine Sprache, seine Manieren, seine Kleidung gab, daß er immer mit tadellosen Handschuhen in der Kunsthandlung erschien, fürchtete er, daß Deslauriers mit seinem alten, schwarzen Anzug, seiner Haltung eines kleinen Beamten und seinen vermessenen Reden Madame Arnoux mißfallen könnte, was ihn selber kompromittieren und ihn in ihren Augen herabsetzen würde. Er ließ alle anderen gelten, aber gerade er hätte ihn ungemein geniert. Der Schreiber merkte, daß er sein Versprechen nicht halten wollte, und Frédérics Schweigen schien ihm umso beleidigender.

      Er wollte ihn unbedingt leiten, ihn sich nach dem Ideal ihrer Jugend entwickeln sehen, und sein Müßiggang empörte ihn wie ein Ungehorsam oder ein Verrat. Außerdem sprach Frédéric, voll von Gedanken an Madame Arnoux, oft von ihrem Mann; und Deslauriers verfiel auf eine unerträgliche Neckerei, die darin bestand, seinen Namen hundertmal des Tages am Schluß jedes Satzes auszusprechen, wie in einer idiotischen Manier. Klopfte es an seine Tür, antwortete er: »Herein, Arnoux!« Im Restaurant forderte er einen Fromage de Brie »à la Arnoux!« und nachts tat er, als ob ein Alb ihn bedrücke und weckte seinen Gefährten mit dem Gebrüll: »Arnoux! Arnoux!« Schließlich sagte Frédéric eines Tages mit kläglicher Stimme:

      »Aber laß mich doch in Ruhe mit Arnoux.«

      »Niemals,« erwiderte der Schreiber.

      »Immer er! immerzu!… Das Bild von Arnoux…«

      »So schweige doch!« rief Frédéric und hob die Faust. Dann fuhr er leise fort:

      »Es ist mir peinlich, das weißt du doch!«

      »O! Pardon, mein Lieber,« erwiderte Deslauriers und verneigte sich sehr tief, »die Nerven von Mademoiselle sollen hinfort geschont werden. Bitte nochmals um Verzeihung; tausendmal um Entschuldigung!«

      So nahm der Scherz ein Ende.

      Aber drei Wochen später sagte er eines Abends zu ihm:

      »Nun habe ich Madame Arnoux aber gesehen.«

      »Wo denn?«

      »Im Justizpalast, mit Balandard, dem Rechtsanwalt; eine brünette Frau, nicht wahr, von mittelgroßer Figur?«

      Frédéric machte ein Zeichen der Zustimmung. Er wartete, daß Deslauriers spreche. Bei dem kleinsten

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