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ANGEL. Liesa-Maria Nagel
Читать онлайн.Название ANGEL
Год выпуска 0
isbn 9783754951354
Автор произведения Liesa-Maria Nagel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Wenn ich nur geahnt hätte, wie schnell es damit vorbei sein konnte ...
Mitte April erblühte der wilde Garten in Craven in den herrlichsten Farben. Überall sprossen Blüten und Knospen, zartes Grün, wohin man schaute. Die Welt erwachte zu neuem Leben. Die Tage wurden länger und die Sonne vertrieb jeden Tag mehr von der Kälte. Alles schien im Übermut des Frühlings zu ertrinken. Nicolai inklusive.
„Das wagst du nicht!“
Lachend jagte ich Nick hinterher. Von seinem Zimmer ins Bad und weiter in Seth Zimmer. Mit einem Grinsen von einem Ohr bis zum anderen wedelte Nick mit dem Foto vor meiner Nase herum.
„Oh doch! Ich werde es ins Netz stellen! Das ist aber auch einfach zu süß! Lukas! Komm her! Das musst du sehen!“
„Na, warte!“ Mit einem Satz war ich wieder bei ihm. Ich sprang einfach über das Bett, das er als Schutz zwischen uns gebracht hatte. Lachend entkam Nick meinem Angriff und stürzte aus dem Zimmer, doch ich war ihm dicht auf den Fersen. Der Grund für diese wilde Jagd war das Foto, welches Nick so stolz wie eine Trophäe vor sich hertrug. Eine erst kürzlich geschossene Aufnahme von mir und Seth in der Londoner Innenstadt. Arm in Arm vor dem Brunnen am Piccadilly Circus. Wir waren immer noch nicht wirklich zusammen. Jedenfalls nicht offiziell, aber unsere Bindung hatte sich in den letzten Jahren gefestigt. Seth war sehr geduldig mit mir und ließ mir alle Zeit der Welt, um mich an ihn zu gewöhnen.
„Nicolai Pietro Sarno!“, schrie ich ihm hinterher und schlitterte auf den Flur, „Du spielst mit deinem Leben!“
Nick lachte daraufhin nur und sprang die Treppe hinunter. Seine langen Beine nahmen immer gleich mehrere Stufen auf einmal. Unten füllte sich nun langsam die Halle. Die übrigen Rudelmitglieder waren gekommen, um zu sehen, woher das Geschrei kam.
Mit einer Hand ergriff ich das Treppengeländer und nutze den Schwung um die Ecke zu nehmen.
Dabei übersah ich die Falte im Teppich.
Eine Unachtsamkeit. Nicks Füße hatten sie eben aufgeworfen und mein Fuß verfing sich nun darin.
Hart knallte mein Kopf auf die hölzernen Stufen. Etwas knackte, das Geräusch schien die ganze Halle zu erfüllen. Dann wurde schlagartig alles schwarz.
*
Nirgends war der Wind so frisch, wie auf Raphaels Balkon.
Ob Gott mich von hier oben besser hören kann?
Das fragte sie sich oft. Noch niemals zuvor war sie so hoch oben im Himmel gewesen. Beriah, der hohe Himmel, war nur den Obersten der Engel vorbehalten. Über diesem Ort lag nur noch der Wohnort Gottes, Atziluth.
Mariel war nur ein einfacher Engel, sie hatte es gerade in den Rang der Herrschaften geschafft und war darüber sehr glücklich. Sie diente in Yetzirahs großen Gärten, pflegte und hegte lebendige Wesen, Pflanzen wie Tiere.
Nie hätte sie auch nur zu träumen gewagt, dass der große Erzengel Raphael sie zu sich einlud.
Seit sie von seinem Assistenten abgeholt wurde, fragte Mariel sich, was der Engel des Windes und der Heilung wohl von ihr wollen könnte?
Sie war doch niemand. Ein Sandkorn in all der Schönheit dieser Welt. Sie hatte keine außergewöhnlichen Fähigkeiten. Nichts, was einen Engel von Raphaels Rang dazu veranlasst haben könnte, sie zu sich zu rufen.
„Wie ich sehe, genießt du die Aussicht.“
Mariel fuhr erschrocken herum, als sie die sanfte Stimme hinter sich hörte. Sein Anblick verschlug ihr die Sprache.
Sie hatte Raphael immer nur von Weitem gesehen. Wenn er auf einer Wanderung oder Inspektion in die tieferen Sphären des Himmels herabstieg. Nie war sie ihm so nah gewesen und niemals hätte sie gedacht, dass je ein Mann so schön sein konnte.
Er war so groß! Riesig im Vergleich zu ihrer zarten Gestalt. Ein langer, schlanker Körper. Schulterlanges, blondes Haar und grünblaue Augen, die sie so sanft anschauten, dass sie nicht aufhören konnte, ihn anzustarren.
So erhaben ..., dachte Mariel voller Bewunderung, so … wunderschön!
„Sire“, keuchte sie und verneigte sich so tief, dass ihre langen goldenen Locken den schwarzen Marmor des Balkons streiften.
Raphael lachte leise. „Setz' dich doch zu mir, Mariel“, sagte er und sie hörte, wie er sich in die weichen Kissen der kleinen Garnitur sinken ließ. Nur zögernd setzte sie sich auf den Stuhl ihm gegenüber.
Raphael lächelte sie an und machte eine Handbewegung hinter sich, woraufhin ein junges Mädchen mit Kaffee und Gebäck angelaufen kam. Nachdem sie alles auf dem Tisch zwischen ihnen abgestellt und eingeschenkt hatte, verschwand sie lautlos im Inneren des runden Turms.
„Ich hoffe, es hat dich nicht zu sehr erschreckt, dass ich dich habe holen lassen.“ An den Klang von Raphaels leichter, klarer Stimme würde sie sich niemals gewöhnen können. Wie Sommerwind. Duftend und rein.
„Nein, auf keinen Fall!“, wandte sie schnell ein und beobachtete, wie Raphaels schlanke Finger einen der Schokoladenkekse mit Cremefüllung auswählten. „Ich fragte mich nur, warum Ihr ausgerechnet mich ausgewählt habt ...?“
Diesmal war sein Lachen sehr herzlich. „Deiner ganz besonderen Gabe wegen, liebe Mariel!“, kicherte er und Kekskrümel fielen auf sein Jackett.
Erstaunt sah Mariel ihn an. Sie konnte gar nicht glauben, was sie da hörte. Eine Gabe? Sie?
„Weißt du, liebes Kind, wir, die Großen Vier haben eine Entscheidung getroffen. Die Zeit ist reif, dass unsere beiden Schwestern zu uns zurückkehren. Wir brauchen jemanden, mit genau deinen Talenten für diese Aufgabe.“
Mariels Augen wurden immer größer. Sie konnte gar nicht glauben, was sie da hörte.
„Also, kleine Mariel? Möchtest du unseren Auftrag annehmen und auf die Erde gehen?“
Mariel überlegte nicht. „Ja. Ja, natürlich, Sire!“
Kapitel IV
Robin Meloy lehnte auf dem schmiedeeisernen Geländer des VIP-Bereichs und sah hinunter in den öffentlichen Clubraum. Das Wollust war ihr Stammclub. Ein gehobener Szeneladen, in den man nur kam, wenn man von einem Insider eingeladen wurde. Mit dem Besitzer, einem Incubus, war sie per du. Fast jeden Abend verbrachte sie hier. Sie beobachtete gern die Menschen und Dämonen bei ihren lustvollen Spielen. Gerade an einem Samstagabend wie diesem, war der Laden bis unter das Dach gefüllt. Da bekam man einiges zu sehen.
Auf den roten Samtsesseln und Sofas, auf den Cocktailtischen und in den abgeschiedenen Ecken trieben es Pärchen und Gruppen, wie es ihnen beliebte. Dieser Club, wie so viele andere auf der Welt, war eigens für die finsteren Gelüste der dämonischen Bevölkerung ins Leben gerufen worden. Viele Menschen kamen gern hierher, um sich von den gierigen Geschöpfen der Hölle missbrauchen zu lassen. Nervenkitzel. Abenteuer. Was auch immer sie hierher treib, die Gäste des Clubs bedienten sich nach Leibeskräften an dem reichhaltigen Angebot. Robin fiel hier in der Masse der anderen Vampire kaum auf.
„Herrin.“
Die schwache, dünne Stimme ihrer Sklavin drang kaum bis an ihr Ohr. Das tat sie mit Absicht, was Robin durchaus bewusst