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Ziel war die Außenmauer, die das ganze Gelände umgab. Nick und ich folgten dem Pfad, den hundert Jahre Jagd und Tausende riesiger Pfoten hinterlassen hatten. Witternd liefen wir an der Mauer entlang immer auf der Suche nach einer Fährte, angetrieben von unserem Hunger. Nick knurrte ungeduldig. Wir liefen schon eine ganze Weile und noch hatten wir nichts aufgespürt, außer ein paar Hasen und Rehen.

      Ich wollte gerade zu einem dunklen, drohenden Knurren herumfahren, um Nick endlich zum Schweigen zu bringen, als meine empfindliche Nase den wundervollen Geruch von menschlichem Fleisch aufnahm. Ich hielt abrupt inne und streckte den Kopf in den Himmel. Versuchte den Geruch wiederzufinden, damit wir ihn verfolgen könnten. Nick war sofort an meiner Seite. Aufgeregt und unruhig.

       Da!

      Ich hatte die Fährte und stieß mich mit einem freudigen Brüllen vom Boden ab. Die Mauer war für uns kein Hindernis. Schnell setzten wir darüber hinweg und landeten lautlos im Buschwerk auf der anderen Seite. Ein paar Hundert Meter trennten uns jetzt noch von unserem Mahl. In der Nähe gab es einen Parkplatz für Reisende und Camper. Dort waren sie, die Menschen, die ich durch die Nachtluft roch. Ich gab Nick ein Zeichen und er sprang in heller Vorfreude in die eine Richtung davon. Ich nahm die andere. Wir würden sie einkreisen. Dicht am Boden und schnell wie ein Schatten schlich ich durchs Gebüsch. Meine Pfoten machten keinen Laut auf der weichen Erde. Kein Zweig knackte unter mir. Ich war lautlos und schnell. Und tödlich. Das perfekte Raubtier. Über mir stand nur noch das Schicksal.

      Meine Augen glühten in der Finsternis, als der Parkplatz endlich in Sicht kam. Jeder Sinn und jeder Nerv in meinem Leib war angespannt. Jeder Muskel wusste genau, was er zutun hatte. Fließend und leise. Schnell und ohne Gnade. Der Hunger wütete grausam in mir, aber nicht ein einziger Laut drang über meine Lippen.

      Am Rande der kleinen, asphaltierten Fläche kauerte ich mich nieder und beobachtete das Auto, das dort stand. Ein Mann saß allein darin. Er rieb sich das müde Gesicht. Der Motor war noch warm. Ich roch das sich nur langsam abkühlende Blech. Auf der anderen Seite des Parkplatzes sah ich Nick, dessen riesenhafte, schwarze Gestalt vollkommen mit den Schatten der Nacht verschmolzen war. Nur seine bernsteinfarbenen Augen verrieten ihn. Das wenige Licht der immer noch eingeschalteten Scheinwerfer reflektierte sich darin. Ein Geräusch ließ uns beide erstarren. Der Mann hatte seine Tür geöffnet und stieg aus. Er nestelte an seiner Jackentasche herum und hatte schließlich eine Zigarette und ein Feuerzeug in der Hand. Schon füllte beißender Qualm meine Nase. Ich schnaubte leise. Widerlich. Aber es würde ohnehin seine letzte Zigarette sein.

      Wieder machte ich Nick ein Zeichen. Eine leise, kaum wahrnehmbare Bewegung in der Dunkelheit, aber er sah sie. Und unser Spiel begann!

      Während der Mann murmelnd über den Parkplatz schlenderte und seine Beine und Arme dehnte, schlug Nick einen Bogen, um ihn von hinten anzugreifen. Ich wartete. Denn der Mensch würde rennen. Das taten sie immer.

      Der Schrei, der über den Parkplatz hallte, erregte jede einzelne Zelle in meinem Leib. Der Mann hatte Nick entdeckt. Das große, schwarze, geifernde Ungeheuer, das dort knurrend vor Hunger auf ihn zu kam. Dicht am Boden. Drohend. Bereit zum Sprung. Endlich rannte er. Um Hilfe schreiend und mit dem herrlichen Wahnsinn purer Angst in den Augen. Er lief blindlings in sein Verderben. Genau in mein offenes Maul. Ein neuer schriller Schrei schallte durch die Nachtluft.

      Angelockt vom Blutgeruch und den Geräuschen unseres Mahls, gesellten sich bald die anderen zu uns. Wir teilten unsere Beute, stritten um die besten Stücke.

      Das war es, was uns am Leben erhielt. Nicht die Gene. Nicht das Blut. Die Jagd und das Zusammensein waren es, die uns nahezu unsterblich machten. Blut und Fleisch gaben uns Kraft, doch diese grausame, herrliche Brutalität, diese erbarmungslose Gemeinschaft war unser Lebenselixier. Inmitten dieses Blutvergießens, zwischen den Leibern der anderen, fühlte ich mich fast vollkommen.

      Eine halbe Stunde später war unser Hunger gestillt. Satt und zufrieden lagen wir um die spärlichen Reste des Mannes herum und genossen das Mondlicht. Entspannt lag ich etwas abseits, lauschte den Geräuschen der andern. Erst ein leises Knurren ließ mich aufblicken. Seth stand vor mir und sah mich aus gelben Augen auffordernd an. Er machte eine Kopfbewegung und ging dann an mir vorbei tiefer in den Wald. Ich schnaubte und stemmte mich in die Höhe. Nick sah uns nach, als ich Seth in die Nacht hinaus folgte.

      Wir schlichen eine Weile schweigend nebeneinander durchs Unterholz, scheuchten ein paar Hasen auf und wateten ein Stück durch einen kleinen Bach. Dann, als wir halboffenes Gelände erreichten, begann Seth zu laufen. Seine Pranken gruben sich tief in den Boden und er schnellte lautlos über die Erde, wie der Wind. Ich sah ihm einen Augenblick nach, ehe ich mich abstieß und ihm nachjagte. Meine Tatzen hämmerten auf den Boden und kleine Schmerzenspfeile durchzuckten meine Beine, doch ich nahm sie kaum wahr. Warum Seth mich immer weiter von den anderen fortführte, darüber machte ich mir keine Gedanken.

      Wir waren schon fast wieder am Haus, als ich endlich langsamer wurde und dann keuchend und hechelnd am Boden liegen blieb. Kläglich versuchte ich, wieder zu Atem zu kommen. Seth hielt nur Sekunden nach mir an und ließ sich an meiner Seite auf den Rücken fallen. Sein Atem ging schnell und der große Brustkorb hob und senkte sich. Ich konnte das rasende Schlagen seines Herzens hören. Langsam drehte er den Kopf und sah mich an. Bewunderung über das Tempo, welches ich gehalten hatte, lag in seinem Blick. Ich schnaubte leise und stieß ihn mit der Schnauze an.

      Ein plötzlicher Stich in meiner Brust ließ mich den Kopf heben. Auch Seth hielt mitten in der Bewegung inne. Gleichzeitig schnellte unser Blick zum fernen Horizont. Blass und kaum wahrnehmbar zeigte sich das erste Licht des neuen Tages. Schon hallte ein lauter Ruf über das Land. Ein Heulen, laut und volltönend. Ich erkannte die Stimme, das war eindeutig Mark und er rief uns nach Hause.

      Ich wollte dem folgen, doch Seth hielt mich auf. Er sprang mir in den Weg und sah mich bittend an. Ich gab einen fragenden Laut von mir und legte den Kopf schief. Was hatte er vor? Seine Antwort war ein Geräusch tief aus seiner Kehle, das fast wie ein Schnurren klang. Weich und grollend, wie Donner. Er machte einen Schritt vorwärts und rieb seinen Leib an meinem entlang. Erst jetzt erkannte ich, was er wollte. Seth hatte nicht vor zurückzugehen. Er widersetzte sich Marks Befehl und das nur wegen mir. Er plante, mit mir allein zu sein.

      Sein Glück war wohl, dass ich keine Gelegenheit mehr hatte, darüber nachzudenken. Wieder erinnerte mich ein heftiger Stich in die Brust daran, dass die Sonne aufging. Diesmal jedoch verschwand der Schmerz nicht wieder. Er nistete sich in meiner Brust ein und breitete sich von dort in jeden Winkel meines Körpers aus. Ich knurrte vor Schmerz und registrierte kaum noch, dass Seth mit zwei leichtfüßigen Sätzen ins nächste Gebüsch verschwand. Er würde in der Nähe bleiben. Ich hörte sein schmerzerfülltes Stöhnen und spürte die Hitze seines Körpers. Doch schon im nächsten Moment konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Der Schmerz zwang meinen Leib in seine menschliche Form zurück, stauchte ihn zusammen. Der Wolf, das Monster, zog sich wieder unter meine Haut zurück und letztendlich hockte ich nackt und atemlos mitten in einem Waldstück, kilometerentfernt von Craven.

      Ich hörte noch Seths Stöhnen, als er seine Verwandlung abschloss. Mein Blick fest auf das Gebüsch geheftet, in dem er verschwunden war, versuchte ich mir klarzumachen, was geschehen würde, wenn ich hier sitzen blieb. Ich war mir sicher, dass Seth etwas ganz Bestimmtes von mir wollte. Eine Fortsetzung von dem, was wir hinter dem Garten begonnen hatten. Allein bei der Erinnerung an seine sanften Lippen wurde mir warm. Ich konnte nicht leugnen, dass ich ihn mochte. Er hatte etwas an sich, dass mich anzog. Doch war ich wirklich schon bereit für ihn? Ich fühlte mich, wie eine Jungfrau in der Hochzeitsnacht, auch wenn weder das eine noch das andere zutraf. Ich war weder Jungfrau, noch würde ich Seth jemals heiraten. Das wusste ich mit einer Gewissheit, die mich selbst schockierte. Er ist nicht der Richtige. Woher nahm ich nur diese Sicherheit?

      Jeder Gedanke verstummte schlagartig, als ein heller, muskulöser Körper lautlos aus dem Gestrüpp trat. Seths Erscheinung fesselte meine gesamte Aufmerksamkeit. Vergessen war der Wald. Vergessen die Zweifel. Bedeutungslos versank die Welt um mich herum im Nichts, als ich meine Augen über seinen makellosen Körper wandern ließ.

      Ein verheißungsvolles Lächeln

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