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während ich ihm im Saal des General Foy16 auflauerte ... Aber das tut nichts, wir werden trotzdem etwas erfahren. Ich habe Béjuin hinter Delestang hergejagt.«

      Und nun wartete man wieder, gute zehn Minuten lang.

      Zwischen den beiden großen Windfangwänden aus grünem Tuch, welche die Türen verbargen, kamen lässig die Abgeordneten heraus. Einige verweilten, um sich eine Zigarre anzustecken. Andere blieben lachend, Händedrücke tauschend, in kleinen Gruppen stehen. Frau Correur war unterdessen an die Laokoongruppe herangetreten, um sie zu betrachten. Und während die Charbonnels weit den Hals zurückbogen, um eine Möwe zu sehen, die die spießbürgerliche Phantasie des Malers so, als sei sie aus dem Bild herausgeflogen, auf den Rahmen eines Wandgemäldes gemalt hatte, interessierte sich die schöne Clorinde, die vor der großen bronzenen Minerva stand, für die Arme und den Busen dieser riesigen Göttin. In der Nische der Glastür unterhielten sich Oberst Jobelin und Herr Kahn lebhaft im Flüsterton.

      »Ah, da ist Béjuin!« rief letzterer.

      Alle traten mit gespannten Gesichtern näher. Herr Béjuin atmete schwer.

      »Nun?« fragte man ihn.

      »Nun – die Demission ist angenommen worden, Rougon tritt zurück.«

      Das wirkte wie ein Keulenschlag. Es herrschte tiefe Stille. Clorinde, die, um ihre unruhigen Finger zu beschäftigen, die Enden ihres Schals zusammenknüllte, erblickte gerade hinten im Garten die hübsche Frau Bouchard, die langsam am Arm des Herrn d'Escorailles dahinwandelte, den Kopf ein wenig auf seine Schulter geneigt. Die beiden waren vor den anderen hinuntergegangen, hatten sich eine offene Tür zunutze gemacht und führten nun in diesen zu ernsthaftem Nachsinnen bestimmten Alleen ihre Verliebtheit unter dem Spitzengewebe des jungen Laubes spazieren. Clorinde winkte sie mit der Hand herbei.

      »Der große Mann zieht sich zurück«, sagte sie zu der lächelnden jungen Frau.

      Frau Bouchard ließ jäh den Arm ihres Kavaliers fahren, wurde ganz bleich und ernst, indes Herr Kahn inmitten der bestürzten Gruppe der Freunde Rougons dadurch Einspruch erhob, daß er verzweifelt die Arme zum Himmel emporreckte, ohne ein Wort herauszubringen.

       Kapitel II

      Am Morgen hatte im »Moniteur«17 der Rücktritt Rougons gestanden, der »aus Gesundheitsgründen« demissioniert habe. Er war nach dem Frühstück in den Staatsrat gekommen mit der Absicht, seinem Nachfolger schon diesen Abend den Platz aufgeräumt zu hinterlassen. Und in dem großen rot und goldenen Arbeitszimmer, das dem Präsidenten vorbehalten war, leerte er, vor dem riesigen Schreibtisch aus Palisanderholz sitzend, die Schubfächer und ordnete Papiere, die er mit rosafarbenen Bindfäden bündelte.

      Er klingelte. Ein Türhüter trat ein, ein prachtvoll gewachsener Mann, der bei der Kavallerie gedient hatte.

      »Bringen Sie mir eine brennende Kerze«, bat Rougon.

      Und als der Türhüter, nachdem er einen kleinen Leuchter vom Kamin auf den Schreibtisch gestellt hatte, gehen wollte, rief Rougon ihn zurück.

      »Merle, hören Sie! – Lassen Sie niemanden herein. Verstehen Sie, niemanden.«

      »Jawohl, Herr Präsident«, antwortete der Türhüter und schloß geräuschlos die Tür.

      Rougon lächelte leicht.

      Er wandte sich zu Delestang um, der am anderen Ende des Raumes vor einem Schrank mit Pappschubfächern stand, die er sorgfältig durchsah.

      »Der brave Merle hat heute morgen den ›Moniteur‹ nicht gelesen«, murmelte er.

      Delestang schüttelte, da er nichts zu sagen wußte, nur den Kopf. Er hatte einen wundervollen Kopf, sehr kahl, aber mit einer dieser frühzeitigen Glatzen, die den Frauen gefallen. Sein nackter Schädel, der die Stirn übermäßig hoch erscheinen ließ, gab ihm den Anschein umfassender Intelligenz. Sein rosiges, ein wenig viereckiges Gesicht ohne ein einziges Barthaar erinnerte an jene korrekten und gedankenvollen Gesichter, wie phantasiebegabte Maler sie gern den großen Politikern verleihen.

      »Merle ist Ihnen sehr ergeben«, sagte er schließlich.

      Und er versenkte wieder den Kopf in das Pappfach, das er gerade durchstöberte. Rougon, der eine Handvoll Papiere zusammengedreht hatte, zündete sie an der Kerze an und warf sie dann in eine große Bronzeschale, die auf einer Ecke des Schreibtisches stand. Er sah zu, wie sie verbrannten.

      »Delestang, die unteren Fächer rühren Sie mir bitte nicht an«, sagte er. »Darin sind Akten, in denen nur ich mich auskenne.«

      Dann setzten beide eine reichliche Viertelstunde lang schweigend ihre Tätigkeit fort. Es war sehr schönes Wetter, die Sonne schien durch die drei großen Fenster, die auf die Uferstraße hinausgingen. Eines der Fenster, das einen Spalt breit offenstand, ließ den leichten kühlen Luftzug von der Seine herein, der mitunter ein wenig die seidenen Fransen der Vorhänge hob. Zerknitterte, auf den Teppich geworfene Papiere flatterten mit leisem Rascheln weiter.

      »Hier, sehen Sie doch mal dies«, sagte Delestang und reichte Rougon einen Brief, den er soeben gefunden hatte.

      Rougon las den Brief und zündete ihn gelassen an der Kerze an. Es war ein delikater Brief. Und sie plauderten in abgerissenen Sätzen, sich jeden Augenblick unterbrechend, die Nase in allerlei Papierkram. Rougon dankte Delestang dafür, daß er gekommen sei, ihm zu helfen. Dieser »liebe Freund« war der einzige, mit dem er unbekümmert die schmutzige Wäsche seiner fünf Präsidentschaftsjahre waschen konnte. Er hatte ihn in der Gesetzgebenden Versammlung kennengelernt, wo sie nebeneinander auf derselben Bank gesessen hatten. Dort hatte er eine echte Zuneigung zu diesem schönen Mann empfunden, wobei er ihn gleichzeitig köstlich dumm, hohl und stolz fand. Für gewöhnlich pflegte er mit überzeugter Miene zu sagen, daß »dieser verteufelte Delestang es weit bringen« werde. Und er förderte ihn, band ihn durch Dankbarkeit an sich, benutzte ihn wie ein Möbel, in das er alles verschloß, was er nicht mit sich herumtragen konnte.

      »Wie dumm ist man doch, daß man Papiere aufhebt!« meinte Rougon, während er ein anderes überquellendes Schubfach öffnete.

      »Da ist ein Brief von einer Frau«, sagte Delestang mit einem Augenzwinkern.

      Rougon lachte herzlich. Seine ganze breite Brust schütterte. Protestierend nahm er den Brief. Sobald er die ersten Zeilen überflogen hatte, rief er: »Den hat der kleine d'Escorailles versehentlich hiergelassen! – Hübsche Zettelchen übrigens, solche Briefchen! Man bringt es weit mit drei Zeilen von einer Frau.«

      Und während er den Brief verbrannte, fügte er hinzu: »Sie wissen, Delestang, man soll sich vor den Frauen hüten!«

      Delestang senkte den Kopf. Immer steckte er in irgendeiner heiklen Liebesaffäre. 1851 hätte er sogar fast seine politische Zukunft gefährdet; damals war er leidenschaftlich in die Frau eines sozialistischen Abgeordneten verliebt, und um sich ihrem Gatten angenehm zu machen, stimmte er meist für die Opposition, gegen das Elysée18. Daher traf ihn der 2. Dezember19 wie ein wahrer Keulenschlag. Zwei Tage lang schloß er sich ein, hilflos, am Ende, zerschmettert, zitternd vor Angst, daß jeden Augenblick jemand kommen und ihn verhaften würde. Rougon hatte ihn aus dieser bösen Klemme retten müssen; er hatte ihn veranlaßt, nicht mehr bei den Wahlen in Erscheinung zu treten, und ihn ins Elysée gebracht, wo er eine Stellung als Staatsrat für ihn ergatterte. Delestang, Sohn eines Weinhändlers aus Bercy, ehemals Anwalt, Eigentümer eines Musterguts in der Nähe von Sainte Menehould, war mehrere Millionen schwer und bewohnte in der Rue du Colisée ein äußerst elegantes Stadthaus.

      »Ja, hüten Sie sich vor den Frauen«, wiederholte Rougon, der nach jedem Wort eine Pause machte, um einen Blick in die Aktenstücke zu werfen. »Wenn die Frauen einem keine Krone aufs Haupt setzen, legen sie einem einen Strick um den Hals ... In unserem Alter muß man nämlich mit seinem Herzen ebenso pfleglich umgehen wie mit seinem Magen.«

      In diesem Augenblick erhob sich im Vorzimmer großer Lärm. Man hörte die Stimme Merles, der jemandem den Eintritt verwehrte. Und plötzlich kam mit den Worten: »Zum Teufel, ich muß ihm die Hand drücken, diesem teuren

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