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abgehalten hätten, die Entwicklung der Kunst während der letzten Jahre zu verfolgen; aber er betonte nachdrücklich seine Bewunderung für schöne Werke. Er kam darauf zu sprechen, daß die Farbe ihn ziemlich kaltlasse; eine schöne Zeichnung befriedige ihn vollkommen, eine Zeichnung, die imstande sei, die Seele zu erheben und große Gedanken einzuflößen. Was Herrn de Plouguern anlangte, so liebte dieser nur die Alten; er habe alle Museen Europas besucht, er verstehe nicht, wie man so kühn sein könne, sich noch ans Malen zu wagen. Dennoch habe er im vergangenen Monat von einem Künstler, den niemand kenne und der wirklich viel Talent besitze, einen kleinen Salon ausschmücken lassen.

      »Er hat mir Amoretten, Blumen, Laubwerk ganz ausgezeichnet gemalt«, sagte er. »Tatsächlich glaubt man, die Blumen pflücken zu können. Und es gibt da Insekten, Schmetterlinge, Fliegen, Maikäfer, die man für lebend halten könnte. Kurz, das Ganze ist sehr heiter ... Ich liebe die heitere Malerei.«

      »Die Kunst ist nicht zum Langweilen da«, meinte Rougon abschließend.

      In diesem Augenblick, wie sie so nebeneinander gemächlich umhergingen, zerdrückte Herr de Plouguern unter dem Absatz seines Halbstiefels irgend etwas, das mit dem leichten Geräusch einer Knallerbse zersprang.

      »Was ist denn das?« rief er.

      Er hob einen Rosenkranz auf, der von einem Sessel geglitten war, auf den Clorinde wohl ihre Taschen entleert hatte. Eine der Glasperlen dicht beim Kreuz war zu Pulver zermalmt; am Kreuz selber, einem winzigen silbernen Kreuz, war einer der Arme umgebogen und plattgedrückt. Der Greis schwenkte den Rosenkranz mit höhnischem Lächeln und sagte: »Kleine, weshalb läßt du denn dieses Spielzeug herumliegen?«

      Aber Clorinde war purpurrot geworden. Mit aufgeworfenen Lippen und vor Zorn getrübten Augen sprang sie mit einem Satz vom Tisch, verhüllte eilig ihre Schultern, stammelte: »Der Rose! Der Rose! Er hat meinen Rosenkranz kaputtgemacht!«

      Und sie entriß ihm den Rosenkranz. Sie weinte wie ein Kind.

      »Na, na«, sagte Herr de Plouguern, noch immer lachend. »Sieh einer meine Betschwester an! Neulich morgens hat sie mir fast die Augen ausgekratzt, weil ich sie, als ich hinten in ihrem Alkoven einen Palmzweig entdeckte, gefragt habe, was sie denn mit dem kleinen Besen da fege ... Weine doch nicht mehr, kleines Schaf! Ich habe dem lieben Gott nichts gebrochen.«

      »Doch, doch«, schrie sie. »Sie haben ihm weh getan.«

      Sie duzte ihn nicht mehr. Mit zitternden Händen entfernte sie den Rest der Glasperle. Dann wollte sie unter verstärktem Schluchzen das Kreuz in Ordnung bringen. Sie wischte es mit den Fingerspitzen ab, als habe sie Blutstropfen auf seinem Metall perlen sehen. Sie flüsterte: »Der Papst hat ihn mir geschenkt, als ich ihn zum erstenmal mit Mama besuchte. Er kennt mich gut, der Papst; er nennt mich ›seinen schönen Apostel‹, weil ich ihm eines Tages gesagt habe, daß ich gern für ihn sterben würde ... Ein Rosenkranz, der mir Glück brachte. Jetzt wird er keine Kraft zum Guten mehr haben, er wird den Teufel herbeiziehen ...«

      »Komm, gib ihn her«, fiel ihr Herr de Plouguern ins Wort. »Du wirst dir die Fingernägel verderben, wenn du das in Ordnung bringen willst ... Silber ist hart, meine Kleine.«

      Er hatte den Rosenkranz wieder an sich genommen, er versuchte, den Querbalken des Kreuzes geradezubiegen, behutsam, um es nicht zu zerbrechen. Clorinde weinte nicht mehr, mit starren Augen sah sie ihm gespannt zu. Auch Rougon streckte mit einem Lächeln den Kopf vor; er war von einer erbärmlichen Ungläubigkeit, in einem solchen Maße, daß das junge Mädchen schon zweimal nahe daran gewesen war, wegen unangebrachter Scherze mit ihm zu brechen.

      »Donnerwetter«, sagte Herr de Plouguern halblaut, »weich ist er nicht, dein lieber Gott! Ich habe nur Angst, ihn mitten entzweizubrechen ... Du sollst deinen lieben Gott ersetzt bekommen, Kleine.«

      Er machte einen neuen Versuch, das Kreuz brach glattweg durch.

      »Ach, das tut mir leid!« rief er aus. »Diesmal ist es entzweigegangen.«

      Rougon hatte zu lachen begonnen. Da wich Clorinde mit tiefschwarzen Augen und verzerrtem Gesicht zurück, sah die beiden starr an, stieß sie dann mit geballten Fäusten wütend weg, als wolle sie sie zur Tür hinauswerfen. Wie von Sinnen beschimpfte sie sie auf italienisch.

      »Sie schlägt uns, sie schlägt uns«, sagte Herr de Plouguern fröhlich.

      »Da sieht man die Früchte des Aberglaubens«, stieß Rougon zwischen den Zähnen hervor.

      Der Greis hörte auf zu scherzen, zeigte plötzlich eine ernste Miene; und als der große Mann fortfuhr, lauter hergebrachte Redensarten über den verabscheuungswürdigen Einfluß des Klerus, über die erbärmliche Erziehung der katholischen Frauen, über den Niedergang des den Priestern ausgelieferten Italiens vorzubringen, erklärte er mit schroffer Stimme: »Die Religion bewirkt die Größe der Staaten.«

      »Wenn sie die Staaten nicht wie ein Geschwür zerfrißt«, erwiderte Rougon. »So steht die Sache. Wenn der Kaiser die Bischöfe nicht in Schach hält, wird er es bald mit ihnen allen zu tun kriegen.«

      Da wurde Herr de Plouguern seinerseits ärgerlich. Er verteidigte Rom. Er sprach von den Überzeugungen seines ganzen Lebens. Ohne Religion würden die Menschen in den Zustand wilder Tiere zurücksinken. Und er ging dazu über, die große Sache der Familie zu verteidigen. Die gegenwärtige Epoche nehme eine Wendung zum Grundschlechten; noch nie habe sich das Laster schamloser zur Schau gestellt, noch nie habe die Ruchlosigkeit solche Verwirrung in den Gewissen angerichtet.

      »Reden Sie mir nicht von Ihrem Kaiserreich«, rief er schließlich. »Es ist ein Bastard der Revolution ... Oh, wir wissen Bescheid, Ihr Kaiserreich träumt von der Demütigung der Kirche. Aber wir sind auch noch da, wir werden uns nicht wie Hammel abschlachten lassen ... Machen Sie nur mal einen kleinen Versuch, mein lieber Herr Rougon, Ihre Ansichten im Senat einzugestehen.«

      »Ach, antworten Sie ihm nicht mehr«, sagte Clorinde. »Wenn Sie ihn reizen, wird er schließlich noch Christus anspucken. Er ist ein Verdammter.«

      Rougon gab sich besiegt, er verbeugte sich. Es entstand eine Pause. Das junge Mädchen suchte auf dem Parkett das kleine vom Kreuz abgebrochene Stück; als sie es gefunden hatte, wickelte sie es mit dem Rosenkranz zusammen sorgfältig in ein Stück Zeitung. Sie beruhigte sich.

      »Hör mal, Herzchen«, begann plötzlich Herr de Plouguern, »ich habe dir noch nicht erzählt, weshalb ich hier heraufgekommen bin. Ich habe für heute abend eine Loge im PalaisRoyal36, und ich nehme dich mit.«

      »Dieser Pate!« rief Clorinde aus, vor Vergnügen wieder ganz rosig geworden. »Man muß Mama wecken.«

      Und sie küßte ihn, »zur Belohnung«, wie sie sagte. Lächelnd, mit ausgestreckter Hand, wandte sie sich Rougon zu und sagte mit einem köstlichen Schmollgesicht: »Sie sind mir doch nicht böse? Bringen Sie mich also nicht wieder zum Rasen mit Ihren heidnischen Ideen ... Ich werde ganz dämlich, wenn man mich mit der Religion neckt. Ich könnte meine besten Freundschaften in Gefahr bringen.«

      Luigi, der einsah, daß er das Ohr an diesem Tage nicht mehr fertigmalen konnte, hatte unterdessen seine Staffelei in eine Ecke geschoben. Er griff nach seinem Hut, kam und berührte das junge Mädchen an der Schulter, um sie darauf aufmerksam zu machen, daß er weggehe. Und sie begleitete ihn bis zum Treppenabsatz, sie selber zog die Tür hinter sich und ihm zu; aber sie verabschiedeten sich so geräuschvoll voneinander, daß man einen leichten Schrei Clorindes vernahm, der sich in einem unterdrückten Lachen verlor. Als sie wieder ins Zimmer trat, sagte sie: »Ich gehe mich umziehen, es sei denn, der Pate will mich so ins PalaisRoyal mitnehmen.« Und alle drei amüsierten sich über diesen Einfall. Die Abenddämmerung war hereingebrochen. Als Rougon aufbrach, ging Clorinde mit ihm hinunter und ließ Herrn de Plouguern für einen Augenblick allein, so lange wie sie brauchte, um ein Kleid anzuziehen. Im Treppenhaus war es schon völlig dunkel. Ohne ein Wort zu sagen, ging sie so langsam voraus, daß er die leise Berührung ihres Gazeüberwurfes an seinen Knien spürte. Als sie dann vor der Tür ihres Schlafzimmers angelangt war, trat sie ein; sie machte zwei Schritte, bevor sie sich umwandte ... Er war ihr gefolgt. Dort erhellten die zwei Fenster das ungemachte Bett, die stehengebliebene Waschschüssel, die noch immer auf dem Haufen Kleidungsstücke

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