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Befreien!“, miaute Violetta.

      Doch es kam niemand. Statt dessen mischten sich nebenan in der Küche die Stimmen der Menschenfrauen mit Geschirrklappern und Wasserplätschern.

      „Ist diese Abschlussarbeit endlich fertig?“

      „Es dauert noch ein wenig.“

      „Das hast du letztes Mal auch gesagt.“

      „Es stimmt auch jetzt noch.“

      „Literaturwissenschaft, so etwas Brotloses. Du hättest Ärztin werden können oder Juristin.“

      „Ich mache eben das, was ich gerne machen will.“

      „So was hätte ich meinen Jungs nie durchgehen lassen. Vera war wohl zu nachsichtig mit euch. Da bleiben Flausen hängen.“

      „Mama hat sich bei der Erziehung wirklich viele Gedanken gemacht.“

      „Als Erstes muss man daran denken, dass sich die Kinder später selbst versorgen können. Wenn du wenigstens einen Mann hättest. Aber so…“

      „Dann würde ich genauso selbst arbeiten.“

      Julianes Stimme klang mit einemmal sehr dünn. Das gefiel Violetta gar nicht. Sie verengte ihre Augen zu grünen Schlitzen. Hiltrud brachte eine schlechte Stimmung mit, die regelrecht spürbar war.

      „Emanzen-Geschwätz. Du bist sechsundzwanzig und wirst nicht jünger.“

      Die Katze wusste nicht, was eine Emanze war. Doch so wie Hiltrud es sagte, war es anscheinend eine Beleidigung. Warum redete diese Frau so mit Juliane? Was wollte sie von ihr? Angespannt hörte Violetta zu. Das Gespräch wurde kein bisschen freundlicher. Als die Besucherin endlich gegangen war und sich die Wohnungstür geschlossen hatte, stieß Juliane einen tiefen Seufzer aus. Laut miauend machte Violetta auf sich aufmerksam. Jetzt musste ihre Menschenfrau sie hören. Sicher war ihr Mitbringsel eine willkommene Aufheiterung. Die Katze wich ein Stück zurück, als sich die Tür öffnete. Julianes Blick blieb an der Maus hängen. Sie wurde blass und machte ein quietschendes Geräusch, das gar nicht fröhlich klang. Hatte sie etwa Angst?

       „Die lebt nicht mehr. Hab ich für dich gefangen.“

      Grünäugig blinzelte Violetta ihrer Menschenfrau entgegen. Doch Juliane sah sie nur mit unglücklicher Miene an. Was hatte sie nur? Im Flur knarrte die Wohnungstür, als Carla hereinkam.

      „Ich hab deine Lieblingskringel bekommen.“

      Statt einer Antwort fuhr sich Juliane mit der Hand durchs Haar, ihre Augen begannen zu glänzen. Für einen Moment sah es aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen. So ein Mist. Das klappte gar nicht mit dem Geschenk. Carla spähte verwundert zur Tür herein. Als sie die Maus entdeckte, verzog sie angewidert das Gesicht. Dann sah sie Juliane ruhig an.

      „Lass dir davon nicht den Tag verderben.“

      „Hiltrud war gerade eben da.“

      „Warum hast du die denn reingelassen?“

      „Ich kann nicht einfach Mamas Bekannte vor der Tür stehen lassen.“

      Carla seufzte und holte eine Schaufel. Wenige Augenblicke später waren die Menschenfrauen mit der Maus verschwunden. Violetta fragte sich, was sie wohl damit machten. So wie sie geschaut hatten, wollten sie ihre Beute so schnell wie möglich loswerden. Was für eine Verschwendung. Und Juliane war noch unglücklicher als vorher. Violetta stürzte sich auf ihren Kratzbaum und hackte ärgerlich ihre Krallen in die Fasern.

      „Nimm das“, miaute sie. „Und das.“

      Während sie heftig wetzte, lösten sich knisternd feine Fäden. Ihre Menschenfrauen kamen draußen über die Steintreppen herauf.

      „Hiltrud findet alles an meinem Leben schlecht“, seufzte Juliane.

      „Ist doch ganz egal, was Hiltrud findet.“

      Als Carla in den Flur lief, fiel ihr Blick auf Violetta. Sie sah sie mit schiefgelegtem Kopf an.

      „Ich schätze, Violetta ist schlecht drauf.“

       „Ist es ein Wunder?“

      Ohne vom Kratzbaum abzulassen, schielte Violetta zu ihren Menschenfrauen hinüber. Julianes Gesicht war müde, ihr Blick schwermütig. Sie wirkte mit einemmal um einiges älter als sonst. So ungefähr musste eine Katze aussehen, nachdem sie versehentlich in der Waschmaschine mitgewaschen worden war.

      Carla wollte Juliane mit ihrer Gebäcktüte in die Küche locken, doch die vertröstete sie auf später. Offenbar konnte nicht mal das Getreidekrümelzeug sie aufheitern. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, um in einigen Büchern zu blättern. Violetta rollte sich in ihrem Korb zu einer schwarzen Pelzkugel. Mit einem Auge schielte sie ab und an zu Juliane hinüber. Ihre Schwanzspitze tippte angespannt gegen den Korb. Sie musste sich etwas einfallen lassen, damit Juliane wieder glücklich war, und zwar bald.

      Kapitel 2

       Das kleinste Katzentier ist ein Meisterwerk.

      Leonardo da Vinci, italienischer Maler und Naturforscher

      Eine warme Sommerbrise streichelte Violettas Pelz, als sie nach draußen lief. Silbriges Licht floss vom Mond über das Sternendach bis auf die Halme des Rasens herab. Das Laub der Bäume raschelte leise. Nachtvögel stimmten ihren Gesang an. Ab und zu knirschten in der Ferne die Gummireifen eines Menschenautos auf einer Asphaltstraße. Es waren die vertrauten Geräusche der frühen Nacht. Doch von irgendwo ganz in der Nähe mischten sich seltsame Klänge hinein. Die Katze spitzte die Ohren. Was war das denn? Sie folgte dem Geräusch zum Gartenzaun. Mit einem energischen Satz landete sie auf einem der hölzernen Pfosten.

      Sie ließ ihren Blick über den Nachbargarten schweifen. Dort gab es einfachen Rasen, ein paar blühende Sträucher und einen Apfelbaum. Nichts Besonderes. Violetta spähte zum Nachbarhaus. Die merkwürdigen Klänge kamen eindeutig von dort. Aus einem Fenster im Erdgeschoss fiel trübes Licht nach draußen. Hinter den anderen Fenstern war es dunkel. Die Menschen waren nicht da, oder sie schliefen schon. Violetta sprang auf den Rasen und huschte hinüber zum Haus. Unter dem beleuchteten Fenster hielt sie inne und spähte nach oben. Hier waren die ungewohnten Klänge sehr laut.

      So etwas hatte die Katze schon einmal gehört. Es war Klaviermusik. Sie sprang auf die Fensterbank, um durch die Scheibe zu spähen. Ihre Schnurrhaare streiften das kühle Glas. Drinnen waren ein Sofa, ein breites Regal und andere dunkle Möbel zu sehen. In einer Ecke entdeckte Violetta den Sessel aus dem kastenförmigen Auto. Hier war das ganze Zeug also gelandet. Mitten im Raum standen einige Kartons. Außerdem ein großer, rundlicher Holzkasten auf Beinen. Ein Flügel. Davor saß ein Menschenmann, den Violetta noch nie gesehen hatte. Es hatten sich also nicht nur die Möbel geändert. Die Katze beäugte das braune Haar und den in Jeans und Hemd verpackten Körper.

      Der Mann war weder besonders jung noch sehr alt. Er schien ganz in sein Klavierspiel versunken. In fließenden Bewegungen beugte er sich mal nach links, mal nach rechts. Seine Finger huschten fast wie eigenständige Wesen über die Tasten. Ab und zu schielte er kurz auf die weißen Blätter, die vor ihm auf dem Flügel standen. Doch die meiste Zeit waren seine Augen geschlossen. Samtig, schwer und melancholisch perlten die Melodien durch das verschlossene Fenster heraus.

      Violetta fragte sich, wohin die Menschenfrau verschwunden war, die vorher hier gewohnt hatte. Sie war ruhig, freundlich und mit Geflügelhappen immer großzügig gewesen. Ob der neue Mensch wohl ein Katzenfreund war? Es würde sich zeigen. Violetta setzte ihren Streifzug durch die Gärten fort. Die Luft duftete schwer nach Erde, Gras und Kräutern. Ab und an schlich sich aus einem Mauseloch der appetitliche Hauch frischer Beute hinein.

      Plötzlich torkelte der Katze ein Nachtfalter direkt vor die Nase. Schnell schlug sie mit der Pfote zu, doch er entwischte ganz knapp. Ärgerlich schnatternd und mit schlagender Schwanzspitze schielte sie ihm nach, als er in der Nacht verschwand. Sie lief weiter über die angrenzende

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