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im ganzen Zimmer. Sie setzte sich auf ihre nach innen gebeugten Vorderpfoten. Aus halb geöffneten Augen beobachtete sie Juliane, die inzwischen auf den Bildschirm an ihrem Arbeitskästchen blickte.

      Den Stift drehte sie noch immer zwischen den Fingern. Nach einer Weile legte sie ihn weg, um auf den Tasten des Kästchens herumzutippen. Auf dem Bildschirm erschienen einige schwarze verschnörkelte Linien. Sie hingen dort einen kurzen Moment, bevor Juliane eine große Taste drückte und alles verschwand. Die Menschenfrau fing an, eine Haarsträhne zwischen den Fingern zu zwirbeln. Das machte sie öfter, wenn sie sich über ein unangenehmes Thema den Kopf zerbrach. Aber warum jetzt? Es passte nicht zusammen.

      Juliane zwirbelte Haare, wenn sie ein ärgerliches Gespräch am Telefon führen musste, oder wenn ein aufdringlicher Mensch an der Wohnungstür seltsame Sachen loswerden wollte. Aber nicht, wenn sie Bücher las, auf ihren Block kritzelte oder auf ihrem Arbeitskasten herumtippte. Violettas Schwanzspitze schlug unruhig gegen die Sofalehne. Das alles gefiel der Katze nicht. Sie hatte in den Sommernachmittag hinauslaufen wollen, um zu sehen, was im Revier los war oder auf dem sonnenwarmen Metalldach eines Autos zu sitzen. Doch nun beschloss sie, Juliane besser noch eine Weile im Auge zu behalten.

      Die Frau blätterte in einigen Büchern. Violetta gefiel das Papierrascheln der Seiten. Sie kannte alle Bücher im Zimmer. Die auf dem Schreibtisch, die im Regal, und die in den verschiedenen Stapeln auf dem Boden. Manchmal kamen neue dazu, ab und zu verschwanden ein paar. Auf den meisten hatte Violetta schon gesessen und sich die bedruckten Seiten angeschaut. Sie fragte sich, was die ganzen schwarzen Striche, Punkte und Kringel für Juliane wohl bedeuteten.

      Es waren offenbar Buchstaben, und Juliane machte immer ein ziemliches Aufhebens um die Dinger. Aber Violetta konnte sie nicht lesen. Es reichte, wenn Juliane sich mit solchem Menschenkram beschäftigte. Doch dass sie dabei unglücklich war, das war neu. Vielleicht standen in den Büchern ganz schlimme Sachen? Aber dann könnte sie doch einfach andere lesen. Es waren genug da. Sogar welche mit Bildern, die bestimmt interessanter waren als die nur mit Buchstaben darauf.

      Die Katze spitzte die Ohren, als etwas leise auf Papier kratzte. Juliane hatte sich wieder einen Stift gegriffen, um damit auf ihren Block zu kritzeln. Das weiße Blatt füllte sich mit geschwungenen Linien. Es sah schon fast aus wie Violetta es von ihrer Menschenfrau kannte. Doch nach einer Weile stieß Juliane einen tiefen Seufzer aus und zog einen großen Strich über das ganze Blatt. Dann riss sie es ab und zerknüllte es zu einer Papierkugel, die sie achtlos auf den Boden warf.

       „Hat mit deinen Linien was nicht gestimmt?“

      Juliane reagierte nicht. Sie war bereits dabei, andere Linien auf ein neues Blatt zu kritzeln. Violetta beäugte die Papierkugel. Was auch immer mit den Linien darauf nicht stimmte, sie war bestimmt ein tolles Spielzeug. Die Katze hüpfte vom Sofa, um sie sich zu schnappen. Sie sprang um die Kugel herum, schubste sie mit den Tatzen hin und her und riss eifrig Fetzen aus dem Papier. Das könnte Juliane doch ein wenig aufheitern, wenn sie ihr half, ihr durchgestrichenes Blatt loszuwerden. Als von der Kugel außer kleinen Schnipseln nicht mehr viel übrig war, äugte Violetta zu Juliane hinauf.

      Doch sie schien noch nicht mal etwas bemerkt zu haben. Die Katze verzog sich wieder auf ihren Beobachtungsplatz auf der Sofalehne. Wenig später lief Juliane in den Flur hinaus. Als ihr Blick den Haufen Papierfetzen streifte, fuhr sie sich mit einem Seufzer durch das Haar. Offenbar fand sie ihn auch nicht besser als die Papierkugel.

       „Ich dachte, das gefällt dir.“

      Angespannt ließ Violetta ihre Krallen ein kleines Stück in das Sofapolster sinken, gerade so weit, dass sie keine Löcher machte. Juliane verschwand nach nebenan in die Küche und kam nach kurzem Geschirrklappern und Wassergurgeln mit einer dampfenden Tasse Kaffee wieder. Violetta kannte das Zeug. Es war für Menschen wohl ein bisschen wie Katzenmilch oder Knusperstangen. Sie mochten Kaffee besonders gern und fühlten sich wohl, wenn sie ihn tranken. Angeblich half er auch, Dinge schneller zu tun. Juliane sah nach der Tasse Kaffee aber nicht glücklicher aus, und sie machte auch sonst nichts anders als vorher.

      Trotzdem holte sie sich im Lauf des Nachmittags noch einige Tassen. Seit wann machte sie das denn so oft? Vielleicht stimmte was mit dem Kaffee nicht. Violetta gefiel das Ganze immer weniger. Inzwischen senkte sich draußen vor dem Fenster die Dämmerung über die Dächer. Die Katze warf einen letzten Blick auf Juliane, die haarezwirbelnd über ihrem Block saß. Dann trollte sie sich in den Flur und kletterte auf die oberste Liegefläche ihres Kratzbaums. Während sie sich den schwarzen Pelz putzte, begann sie darüber nachzudenken, seit wann Juliane nicht mehr glücklich war.

      *

      Draußen im Treppenhaus näherten sich Schritte. Es war Carlas gleichmäßiges, festes Tappen, das auf den Steinstufen hallte. Als die Wohnungstür sich knarrend öffnete, war Violetta schon auf den Boden gesprungen. Mit zur Grußfahne hochgerecktem Schwanz lief sie Carla entgegen und schmiegte sich an ihr Bein. Die Menschenfrau beugte sich zu ihr, um sie zu kraulen.

      „Hi, Kleine.“

      „Was heißt klein?“, maunzte Violetta. „Für eine Europäisch Kurzhaar bin ich genau richtig. Sicher möchtest du nicht mit einer Katze deiner Größe zusammenwohnen.“

      „Du bist aber gesprächig heute, meine Hübsche.“

       „Das klingt schon besser.“

      Violetta begann zu schnurren, als Carla sie auf ihre typische, nachdrückliche Art kraulte. Juliane konnte das zwar viel besser, aber man konnte es gelten lassen. Zumal Juliane sie im Moment so gut wie gar nicht kraulte. Nach einem kurzen Blick in die Küche klopfte Carla an die Zimmertür ihrer Mitbewohnerin. Juliane wandte sich von den Bücherstapeln auf ihrem Schreibtisch zu ihr um.

      „Wie war dein Kurs?“

      „War eine witzige Runde heute, und was sie so gepinselt haben, konnte man sich auch ganz gut anschauen. Wie war es bei dir?“

      „Sehr trüb“, maunzte Violetta.

      Statt einer Antwort zuckte Juliane nur mit resignierter Miene die Schultern. Carla sah sie nachdenklich an.

      „Mach dir keinen Druck, das wird wieder.“

      „Von allein wird da gar nichts“, miaute Violetta.

      Juliane nickte und fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar. Sie ging mit Carla in die Küche, um das Abendessen vorzubereiten. Endlich mal eine gute Idee. Bevor eine ihrer Menschenfrauen einen Fuß in den Raum gesetzt hatte, stand Violetta schon laut miauend vor ihrer Schale.

       „Hungrige! Katze!“

      Juliane öffnete den Schrank mit dem Katzenfutter. Gut so.

       „Nimm eine Dose mit Thunfisch drin.“

      Die Katze leckte sich die Lefzen. Heute war eindeutig ein Fischtag. Es gab unterschiedliche Futterdosen, von denen jede in Farbe und Muster anders aussah. Sie kannte alle. Es gab Rind, Hühnchen, Pute, Wild, Lamm, Kaninchen, Lachs und Thunfisch. Juliane hielt ihr eine gelbe Schale vor die Nase. Hühnchen.

       „Ich mag lieber Thunfisch.“

      Verwundert hob ihre Menschenfrau die Brauen.

      „Kein Hunger?“

      Was für eine Frage. Sie brauchte wohl ein bisschen Hilfe. Violetta wischte in den Schrank und schubste ein paar Dosen hinaus.

      „He, das ist kein Selbstbedienungsladen“, rügte Juliane sanft.

      Carla grinste vom Herd herüber, wo sie gerade einen Metalltopf mit Wasser zum Kochen aufstellte.

      Violetta huschte aus dem Schrank und schnupperte an einer blauen Dose, die auf den Fliesen gelandet war.

      „Also Fisch.“

      Juliane schnappte sich Violettas Futterschale, um den Inhalt der Dose hineinzufüllen.

      „Mahlzeit, Kleine.“

      „Danke, Juliane“, maunzte Violetta, bereits kauend. „Klein bin

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