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Gehirn rammte.

      Aus langer qualvoller Erfahrung wusste ich, dass geübte Schmierfinken wie Albertus jede Menge Phrasen kannten, die sie allzeit zum Dreschen bereithielten, wenn man ihnen nur Gelegenheit dazu bot. Die meisten Kopisten saugten das Geschriebene wie eine Art Gift in sich ein, wo es dann in ihrem Inneren wirkte und ganz langsam etwaige Reste eigenständigen Denkens, dessen sie eventuell einmal fähig gewesen waren, abtötete. Nicht aufzuhalten waren sie, wenn sie mit erhobenem Zeigefinger dumm in der Gegend herumstanden und irgendwelchen Unsinn verzapften, den sich irgendwann einmal weitere geistig umnachtete Gestalten aus den Fingern gesogen und aus Langeweile auf dem Lokus niedergekritzelt hatten.

      Natürlich verfolgte Bernardus im Gegensatz zu mir die Ausführungen des alten Albertus mit einem andächtigen Glitzern in seinen braunen Augen. Er war schließlich auch ein Kopist. Die beiden lebten in ihrer ganz eigenen kleinen Welt, in der ich keinen Platz hatte. Deshalb tat ich das, was jeder tat, der keinen Platz in der Welt hatte: Ich nahm ihn mir und schlug mit der Faust auf das Pult.

      „Es reicht mir jetzt! Euer glorreicher Augustinus hätte mal ein paar Weiber besteigen sollen, anstatt ständig solchen Mist zu verzapfen. Er ist ein gutes Beispiel dafür, dass man bei einem Leben ohne auskömmlich wilde und regelmäßige Fleischeslust sehr schnell überspannt und leicht schwachsinnig wird.“

      Während Bernardus sichtlich pikiert blinzelte, war Albertus aufs Höchste beleidigt. Solche Gedanken schienen ihnen wohl noch nie gekommen zu sein. Albertus plusterte sich auf, warf hochmütig seinen Kopf zurück und verkündete mit stolzgeschwellter Brust.

      „Unsinn! Ich lebe schließlich auch in Keuschheit!“

      „Eben!“, bemerkte ich trocken.

      „Kein Wunder, dass Gott Euch gestraft hat. Ihr solltet beten, Askese üben und eure unkeuschen Gedanken verbannen“, giftete der Alte zurück.

      „Ich weiß, ich weiß. Mein Zustand im Diesseits ist die Strafe für ein sündhaftes Dasein in Vergangenheit und Gegenwart.“

      Theatralisch hob ich die Hände zur Decke:

      „Herr, gib mir Keuschheit – aber nicht jetzt!“

      „Ihr spottet des Herrn!“

      Albertus lief knallrot an, und ich hoffte, er würde tot umfallen. Aber den Gefallen wollte er mir nicht tun. Stattdessen wischte er sich den Schaum vom Mund, riss sich zusammen und nickte gnädig.

      „Ich vergebe Euch, Bruder!“

      Diese gönnerhafte Äußerung machte mich nun wirklich wütend.

      „Bruder, ich bin nicht dein verdammter Bruder!“

      Meine Wut beeindruckte ihn weder, noch brachte sie ihn dazu, endlich den Mund zu halten.

      „Origenes von Alexandrien entkam auf genau dieselbe Art und Weise der Versuchung wie Ihr!“

      „Ach?“

      Das war neu.

      „Ja! Er kastrierte sich selbst!“

      Jetzt schrie ich:

      „Ich bin nicht kastriert, nur beschädigt; und mit Freiwilligkeit hatte das Ganze schon gar nichts zu tun, sondern mit einer Horde blutrünstiger prußischer Weiber!“

      „Vielleicht war es ein unbewusster Akt, um Euer sündiges Leben zu beenden!“

      „Wenn du weiterhin so einen Blödsinn von dir gibst, werde ich dich kastrieren. Und glaub mir: Daran wird garantiert nichts Unbewusstes sein!“

      „Ihr müsst die Weiber verachten, um sie Euch aus dem Herzen zu reißen!“

      „Dir sollte man etwas rausreißen! Ich bin nicht Ordensritter geworden, um als keuscher und entsagungsfroher Heiliger zu enden.“

      „Aber warum denn dann?“

      Das klang erfrischend ratlos. Man merkte deutlich, dass Albertus noch nie in seinem Leben die Schreibstube verlassen hatte.

      „Aus dem gleichen Grund, aus dem alle zum Orden gehen. Um Kriegsbeute zu machen und um jede Menge willige und unwillige Weiber zu haben, ohne sich deswegen gleich Sorgen um das eigene Seelenheil machen zu müssen!“

      „Du bist ein Wüstling über alle Maßen!“

      „Wie alle Männer erfreue und berausche ich mich gerne an der Frau – ihrem Wesen, ihrer Weiblichkeit und ihrer Schönheit!“

      Man konnte Albertus deutlich ansehen, wie sehr er von meiner Schwärmerei abgestoßen und angewidert war. Ich befürchtete schon, er würde sich vor Ekel übergeben. Glücklicherweise riss er sich jedoch zusammen.

      „Das ist zutiefst verwerflich“, befand er. „Als wahrer Gläubiger berauscht man sich nur an Gott!“

      Pure Abscheu sprach aus seinen Worten. Aber diese empfand ich in gleichem Maße ihm gegenüber.

      „Das solltest du ihm besser nicht erzählen, wenn du ihn später einmal triffst, denn solche Gelüste könnte er dir übelnehmen.“

      „Wüstling! Du wirst in der Hölle schmoren!“, brüllte er lauthals und stürmte aus dem Raum. Die Tür knallte hinter ihm zu und es herrschte betretene Stille.

      Bernardus vermied es, mich anzusehen und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Seine hochgezogenen Schultern zeigten deutlich, was er von mir hielt. Ich ließ meinen Kopf zwischen die Hände sinken und massierte meine Schläfen. Das schlechte Gewissen bereitete mir weniger Schmerzen als die Schritt für Schritt einsetzende Nüchternheit.

      Albertus tauchte nach dem Mittagsmahl wieder auf. Offenbar hatte er sich abgeregt und beschlossen, mich bis auf weiteres mit Missachtung zu strafen. Was nicht wirklich etwas Neues war.

      Den Rest des Tages verbrachte ich mit intensiven Betrachtungen der Wände. Die Arbeit im Skriptorium wurde bis nach der Vesper fortgesetzt, solange, bis es trotz Beleuchtung irgendwann zu dunkel wurde, um noch weitermachen zu können. Nachdem Albertus und Bernardus alles recht ordentlich aufgeräumt hatten und ich dies einige Male ausgiebig kontrollierte oder zumindest so tat, machten wir uns danach alle drei auf den Weg in Richtung Kapelle, um den Tag mit einem ordentlichen Hymnus zum 21 Uhr Komplett abzuschließen.

      Ein paar Meter vor der Kapelle trafen wir auf die Ordensritter Karl und Paul von Gillingham. Die beiden leiblichen Brüder waren von englischem Adel und über Gottes verschlungene Pfade zum deutschen Ritterorden in Prußen gekommen. Jedermann konnte sofort die große Familienähnlichkeit erkennen. Sie waren blond, groß, schlank, unverschämt gutaussehend und galten alle beide als Getreue des neuen Landmeisters Hartmud von Grumbach. Dieser hatte sich vor ein paar Monaten mit Unterstützung der Gebrüder Gillingham und einiger anderer Anhänger seiner Person das Amt des Landmeisters von Prußen unter den Nagel gerissen. Mit diversen Intrigen hatten sie den vorherigen Landmeister Gerhard von Hirzberg sanft genötigt, sein Amt niederzulegen. Er war ihnen nämlich viel zu milde gewesen.

      Jetzt herrschte also von Grumbach mit harter Hand über den Deutschen Orden in Prußen. Viele meiner Ordensbrüder ersehnten die Milde seines Vorgängers zurück, denn Grumbachs herrische Wesensart war unter uns Ordensbrüdern ebenso legendär wie unpopulär.

      Durch den oligarchischen Charakter des Ordens wurde dessen Politik durch die führenden Fraktionen innerhalb der Ordensbrüder bestimmt. Die gewählten Landmeister gehörten normalerweise einer der stärksten Gruppen innerhalb des Ordens an. Diese ließen sich grob in drei Kategorien einteilen: In die offensichtlich Unfähigen. In die Kümmerlichen, Habgierigen und Brutalen. Und in die ausgemachten Esel. Die Aufgabe der Ordensbrüder bei einer Wahl war es, denjenigen auszuwählen, der am besten passte. Die Entscheidung war diesmal auf von Grumbach gefallen. Vermutlich weil er alle drei Kategorien im Übermaß verkörperte. Eine der ersten Amtshandlungen bei jedem Machtwechsel bestand üblicherweise darin, sich bei den Günstlingen, die den Aufstieg ermöglicht hatten, erkenntlich zu zeigen. Bei Karl, dem Älteren der beiden Gillinghams, hatte sich von Grumbach mit dem zwar wichtigen aber unbedeutenden Amt des Trappiers für dessen Unterstützung bedankt. Damit war dieser der wichtigste Ratgeber für die Launen des Landmeisters

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