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war ein Leiter seines Betriebs, der souverän herrschte. Streitigkeiten unter Angestellten, die den Geschäftsablauf störten, schlichtete er durch Entlassung aller Beteiligten. Er scheute nicht davor zurück, juristisch haltbare Gründe frei zu erfinden. Andererseits zahlte er – nach seiner Ansicht – faire Gehälter. Loyalität wurde belohnt.

      Im Laufe der Zeit entwickelte er einen untrüglichen Blick für Blender und Schmeichler. Seine gelegentlichen Zornesausbrüche, wenn er sie denn für erforderlich hielt, waren gut gespielt. Seine engeren Mitarbeiter erkannten, dass es ihm ausschließlich darauf ankam, Geld zu verdienen. Diesem Ziel ordnete er seine gesamte Zeit, sein Privatleben, seine Gefühle, selbst seinen Ehrgeiz unter. Und es war selbstverständlich für ihn, dass alle Welt die gleichen Zielvorstellungen besaß. Andere Ziele hielt er für absurd. Von seinen Mitarbeitern erwartete er nichts anderes.

      Erst in hohem Alter akzeptierte er, dass Menschen auch mit anderen Sinnfindungen leben können. Bis dahin war es für ihn nicht vorstellbar, dass ein zivilisierter Mensch der Erreichung finanzieller Unabhängigkeit nicht die oberste Priorität einräumen könnte. Andere Zielsetzungen waren die Ausreden der Erfolglosen. Der Lafontainesche Fuchs und seine Trauben waren eine Metapher, mit der er sich viele menschliche Seelenzustände, gelegentlich auch seine eigenen, erklären konnte.

      Bereits nach zwei Jahren begann ihn das Astoria zu langweilen. Er hatte sich und der Brauerei bewiesen, dass er das Geschäft verstand. Sein Ehrgeiz richtete sich nun auf größere Betriebe. Er begann neue Verhandlungen mit der Brauerei:

      "Sie können Ihre Pachteinnahmen für den hiesigen Laden", meinte er abfälliger als es seine Absicht war, "leicht verdoppeln, wenn Sie ihn anderweitig vergeben. Vielleicht gibt es einen Betrieb, der zu mir und meiner Mannschaft besser passt, wenn Sie ihn mir überlassen."

      Die Brauereioberen verstanden ihn nicht. Zwar versuchten sie, seine Pacht zu erhöhen – was ihnen nicht gelang; sein Vertrag war unantastbar –, aber mit einer vorzeitigen Auflösung des Pachtverhältnisses waren sie auch nicht einverstanden. Wahrscheinlich fürchteten sie, dass ein Nachfolger ebenso erfolglos sein könnte wie seine Vorgänger.

      Bis er sie vor vollendete Tatsachen stellte.

      Er bedeutete seiner Verpächterin, dass er in absehbarer Zeit einen anderen Betrieb übernehmen werde. Sie könne ihn in Frieden ziehen lassen oder er würde das Astoria stilllegen. Für ihn sei der Vertrag eindeutig; eine Betriebspflicht gebe es nicht. Er würde die Grundpacht, einen eher lächerlichen Betrag, pflichtgemäß zahlen und im Übrigen den neuen Betrieb zum Erfolg führen. Die Brauerei möge sich ausrechnen, wer dabei verlöre.

      Nach ein paar ebenso wortreichen wie unbegründeten Drohungen des Brauereijustitiars wurde – nachdem die Gegenseite begriffen hatte, dass er mindestens ebenso skrupellos war wie sie, wenn es um seinen Vorteil ging – der Pachtauflösungsvertrag sachlich vereinbart.

      Die Brauerei hatte ausreichend Zeit, einen neuen Pächter zu finden, und Georg konnte über den neuen Pachtvertrag ohne Zeitdruck verhandeln, weil er die Beurkundung der Auflösung hinauszögerte, bis er den neuen Vertrag vereinbart hatte.

      Das Hotel, das er zu übernehmen gedachte, lag knapp fünfzig Kilometer vom Astoria entfernt. Bevor er mit ernsthaften Verhandlungen begann, hatte er sich mehrfach an Ort und Stelle informiert. Aufschlussreicher als jede Büroauskunft galt ihm Volkes Meinung. Er gab sich als Tourist aus, den das leerstehende Haus wunderte.

      "Die Käufer sind in Konkurs gegangen", wurde ihm erklärt.

      "Warum?"

      Schulterzucken.

      Aber er ließ sich nicht beirren und fragte weiter, bis er hörte:

      "Die alten Eigentümer waren Juden. Ihr Hotel ist arisiert worden. Aber die neuen Eigentümer, Hoteliers aus dem Ruhrgebiet, haben immer nur selbst gefeiert. Ständig waren Freunde und Bekannte da und haben die zahlenden Gäste verscheucht."

      "Und wer ist jetzt der Eigentümer?"

      "Die Brauerei."

      Das Glasschild mit dem Firmenlogo prangte über dem Eingangsportal.

      Das Gebäude, hatte er sich sagen lassen, war reiner Jugendstil. Er musste nachlesen, was es mit dem Art Nouveau auf sich hatte, und wunderte sich, wie viel sinnlose Sätze über ein paar verschlungene Äste, Zweige, Blätter und Pfauen geschrieben werden können. Aber er fand das Geranke und Geringel ganz interessant. Besonders diesen Engländer, Beardsley, dessen Zeichnungen in dem Prachtband über den Jugendstil abgebildet waren, mochte er. Aber ob sich sein Publikum für die wild wuchernde Ornamentik erwärmen würde? In Mode kamen doch gerade finster blickende nackte Männer mit festen Muskeln, kleinen unverhüllten Geschlechtsteilen und manchmal einem neuzeitlichen Stahlhelm auf dem Kopf. Vielleicht würde er so ein übermannsgroßes Ding kaufen und neben den geschwungenen Treppenaufgang mit dem lianenhaften Handlauf stellen müssen – wenn die Gäste das schön fänden.

      Dies war das erste und einzige Mal, dass er versuchte, sich mit Kunst auseinanderzusetzen. Fragen der Ästhetik waren ihm herzlich gleichgültig. Oberstes Gebot war die Zufriedenheit seiner Gäste. Sie sollten sich wohlfühlen. Und vor allem wiederkommen. Wenn er dazu die Räume hätte schwarz streichen, Hammer und Sichel, rote Nelken, Hakenkreuze oder türkische Halbmonde auf die Wände verteilen müssen, er hätte sich nicht gescheut, das Haus entsprechend umgestalten zu lassen.

      Gastwirte verdienen ihr Geld mit zufriedenen Gästen, nicht mit Kunst, Religionen oder Weltanschauungen. So oder ähnlich würde sein Wahlspruch lauten, wenn er sich jemals entschlossen hätte, überhaupt eine eigene Meinung zu haben. Falls er eine besaß, äußerte er sie bestenfalls gegenüber Abhängigen. Das war ziemlich ungefährlich und würde sich nur schwerlich gegen ihn wenden können.

      Er hätte gern einen Juristen gefragt, ob die Arisierung rechtens gewesen war und Bestand haben würde. Schließlich war es eine Art Gewalt, die hier angewandt worden war. Zwar war sie staatlich sanktioniert – nicht nur das, der Staat selbst hatte sie ausgeübt. Es war Enteignung, wenn er es unvoreingenommen betrachtete. Durfte der Staat das? War alles was der Führer und Reichskanzler der Deutschen – der die gesamte gesetzgebende und vollziehende Gewalt in seiner Person vereinigte und mit dem andere Staaten gültige Verträge schlossen – in seiner Machtvollkommenheit beschloss, rechtens? War es Gesetz? Wer kontrollierte ihn? Gab es eine weltliche Macht, die über ihm stand? Wie ist das überhaupt mit dem Staat? Kann er beschließen, alle Gastwirte umzubringen – und ist das dann geltendes Recht? Gilt noch immer die im neunzehnten Jahrhundert vorherrschende Auffassung der Gesetzespositivisten, dass der Staat jedes beliebige Gesetz erlassen dürfe, wenn er nur die Befolgung durchsetzen könne? Wer könnte dagegen klagen? Und bei wem – wenn es denn einen Dummen gäbe, der sich zu einer Klage bereitfände?

      Er wusste so wenig.

      Jedenfalls war er überzeugt, dass allein schon die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Arisierung ihn zum Feind von Führer, Volk und Vaterland stempeln würde.

      Und wem nutzten seine Zweifel an Recht und Ordnung wie sie nun einmal waren? Absolutes Recht, der Meinung ist er immer noch, gibt es nicht. Recht wird immer vom Sieger, vom Stärkeren gesetzt.

      Für einen Gastwirt – und wahrscheinlich für alle Schwachen – ist nichts wichtiger als an der Seite eines Starken zu überleben. Leider ist es schwierig, rechtzeitig zu erkennen, wer sich letztlich als Sieger erweisen wird. Wahrscheinlich ist es am vernünftigsten, sich dem jeweils aktuellen Starken anzuschließen. Das erfordert zwar unehrenhafte Flexibilität, auch Selbstverleugnung und die Aufgabe eigener Überzeugungen, hat sich aber seit Jahrtausenden als Überlebenshilfe bewährt. Unbeugsame Helden sterben. Wahrscheinlich gibt es deshalb so wenig von ihnen – und weil sie vor lauter Todessehnsucht keine Zeit haben, ihre Veranlagung zu vererben. Georg beabsichtigte nicht, ein toter Held zu werden. Denn auch wer für eine gute Sache stirbt, ist tot.

      Er entschloss sich, das Jugendstil-Hotel zu übernehmen. Vielleicht könnte er es sogar billig von der Brauerei erwerben, nicht nur pachten. In seinem jetzigen Zustand und ungenutzt war es für die derzeitige Eigentümerin wertlos. Weniger als das. Es war eine Quelle ständiger Verluste. Er rechnete der Gegenseite vor, welche Einnahmen sie statt der permanenten

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