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kannten seinen Marktwert. Aber auf welchem Markt wollten sie ihn verschachern? Es gab viele Möglichkeiten, doch die wahrscheinlichste war, dass man ihn in einen der russischen Staaten entführen wollte.

      Mit den Forschungsarbeiten, die Dr. Woodhams während der letzten zwei Jahre auf dem Gebiet der Lenkwaffentechnik abgeschlossen hatte, war er allen Kollegen in der Russischen Föderation ebenso weit voraus wie den Europäern. Insbesondere handelte es sich dabei um sein Aufsehen erregenden Neuentwicklungen auf dem Gebiet der panzerbrechenden Boden-Boden-Raketen. Die Wirkungsweise des neuen Waffensystems war inzwischen in militärischen Fachkreisen bekannt. Doch die Pläne dafür lagerten in den bestbewachten unterirdischen Panzerschränken von ›Vineland‹ in ›New Jersey‹.

      Es gab nur einen Mann, der diese Pläne im Kopf hatte. Weil er sie selbst entwickelt hatte. Dr. Woodhams bereute es zutiefst, dass er sich der ›NSA‹, der ›National Security Agency‹, gegenüber derart schroff verhalten hatte, als sie vor ein paar Monaten versucht hatten, ihm Leibwächter und Objektschutz für seine Villa in ›Millville‹ aufzuzwingen. Gegen seine strikte Ablehnung hatten sie nichts machen können. Sie hatten ihn zähneknirschend darauf hingewiesen, in welche höllischen Situationen er als Geheimnisträger der Stufe I geraten konnte.

      Auch das hatte nichts genützt. Woodhams hatte von dem ganzen Bewachungsfirlefanz, wie er es nannte, nichts wissen wollen. Doch nun steckte er in der angekündigten höllischen Situation.

      Über die Konsequenzen war er sich im Klaren. Wenn er in der Folterkammer irgendeines ausländischen Geheimdienstes zu reden begann, war er des Landesverrats schuldig. Und das bedeutete, dass er erledigt sein würde, wenn er jemals in die Vereinigten Staaten zurückkehrte.

      Dr. Woodhams wurde aus seinen Gedanken gerissen, als der Bärtige auf die Bremse trat und den Landrover nach links von der Fahrbahn lenkte. Im zweiten Gang holperte das schwere Fahrzeug durch die tiefen, welligen Furchen eines Feldwegs. Woodhams wandte den Kopf und sah, dass der Ire die Scheinwerfer ausschaltete, nur noch mit Standlicht fuhr. Er schien die Gegend bestens zu kennen.

      Etwa eine halbe Meile abseits der Provinzstraße stoppten die Entführer des Wissenschaftlers auf dem Gelände einer alten, halbverfallenen Farm. Das ehemalige Wohnhaus diente nunmehr als Feldscheune für einen Farmer, der die Ländereien irgendwann übernommen hatte. Scheune und Stallungen waren nur noch Ruinen. Verwitterte Dachsparren ragten wie überdimensionale Zahnstocher in den vom Mond nur schwach erhellten Nachthimmel.

      Der Ire stellte den Motor ab und schaltete auch das Standlicht aus. Er griff seine Schrotflinte und drehte sich nach hinten um. »Du passt auf, Brenda! Viele Dummheiten kann er zwar nicht machen, aber wenn er anfangen sollte zu schreien, bringst du ihn auf die sanfte Tour zum Schweigen. Ich denke, du schaffst das.«

      »Und ob«, versicherte das Blondhaar. »Wie spät ist es?«

      »Noch zehn Minuten bis Mitternacht. Wenn die Leute genauso pünktlich sind wie wir, können wir in einer halben Stunde feiern.«

      »Ich glaube erst dran, wenn ich das Geld in den Fingern habe.«

      »Glaub', was du willst. Ich sehe mich in der Landschaft um. Besser ist besser.« Er schwang sich ins Freie und lehnte die Fahrertür lautlos an. Die Doppelflinte in beiden Fäusten, ging er langsam auf das Farmhaus zu, spähte sichernd nach allen Seiten, horchte nach Geräuschen.

      Absolute Stille lastete über dem Anwesen.

      Der Ire glaubte seinen eigenen Herzschlag zu hören. Er blickte auf das Leuchtzifferblatt seiner Armbanduhr.

      Noch acht Minuten.

      Bis zum vereinbarten Übergabetermin um Mitternacht konnte er das Gelände kontrolliert haben. Eine wesentliche Voraussetzung. Die Leute, die ihm den Auftrag gegeben hatten, legten Wert auf Sicherheit und eine reibungslose Abwicklung.

      Schon aus diesem Grund hatte er das einsam gelegene Gehöft als Treffpunkt gewählt. Dort war es praktisch ausgeschlossen, dass ihnen jemand in die Quere kam.

      Der Ire lenkte seine Schritte nach rechts und ging an der Außenmauer des Farmhauses entlang. Kniehohes Gras strich um seine Hosenbeine. Er dämpfte seine Schritte so weit wie möglich und kontrollierte die beiden Seiteneingänge des Hauses, die mit Vorhängeschlössern gesichert waren. Alles unversehrt, auch die Fenster. Die Möglichkeit, dass sich ein Landstreicher in dem Gebäude einquartiert hatte, schied also aus.

      Der Bärtige spähte um die Ecke. An der Rückseite des Hauses gab es nichts zu überprüfen. Den Weg konnte er sich schenken.

      Er brachte den Gedanken nicht zu Ende.

      Die Silhouette löste sich blitzartig aus dem Schatten des Mauerwerks und des überhängenden Daches – keine drei Schritt entfernt.

      Der Ire zuckte zusammen, riss die Schrotflinte in Anschlag. Doch er schaffte es nicht mehr, einen der Hähne zu spannen. Er hatte das furchtbare Gefühl, dass sich das bläulich-weiße Mündungsfeuer wie eine Lanze in seine Brust fraß. Es war das schrecklichste und grausamste Gefühl seines Lebens - und zugleich das letzte, was sein Hirn registrierte. Seine Sinne waren ausgelöscht, noch bevor er das leise Klicken der Waffe hören konnte.

      Es war kaum mehr als das Verschlussgeräusch, das die schallgedämpfte Pistole beim Schuss verursachte.

      Der Mann, der Fallschirmspringerstiefel, eine enge Moleskinhose und einen dunkelgrünen Parka trug, drückte noch zweimal ab. Dann stieg er über die Leiche hinweg und ging ohne besondere Eile an dem Gebäude entlang in Richtung Farmhof.

      Er steuerte auf das noch offene Heck des Landrover zu. Seine Augen hatten viel Zeit gehabt, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Deshalb sah er die Blondhaarige, lange bevor sie ihn ausmachte.

      »Alles in Ordnung?«, rief sie, als sie seine Schritte hörte. Ihre Stimme vibrierte. In der Finsternis schien es ihr unbehaglich geworden zu sein.

      »Einen Moment noch«, sagte der Mann in der unverkennbaren Aussprache des Engländers, »gleich i s t alles in Ordnung!«

      Brenda wollte aufschreien, wollte die Beretta auf den Fremden anlegen. Nichts gelang ihr, weil sie die Schrecksekunde nicht rechtzeitig überwand.

      Die Pistole des Engländers klickte dreimal kurz hintereinander.

      Dr. Woodhams stieß einen Laut des Entsetzens aus, als das Mädchen vornüberkippte und mit dem Gesicht auf seinen Schoß fiel.

      Aber der Mann war schon im nächsten Moment zur Stelle, packte das tote Mädchen und zerrte es über die Heckklappe zu Boden. Zwei Sekunden später schwang er sich hinter das Lenkrad und ließ den Motor kommen. Der Ire hatte den Zündschlüssel steckenlassen. »Leider kann ich Sie nicht sofort aus Ihrer unbequemen Lage befreien, Dr. Woodhams«, sagte der Engländer, während er den Rover zwischen Wohnhaus und Scheune hindurch auf einen Feldweg lenkte, der weiter ins Gelände führte, von der Provinzstraße weg. Er fuhr völlig ohne Beleuchtung – eine Tatsache, die darauf schließen ließ, dass er sich die Umgebung noch besser eingeprägt hatte als der Ire.

      Dr. Woodhams hatte kaum Zeit, seine Fassungslosigkeit über das Geschehen zu verwinden. Bei jeder Bodenwelle schlug ihm die Rückenlehne der Sitzbank hart ins Kreuz.

      Der Fremde jagte mit mindestens zwanzig Meilen pro Stunde über den dunklen Feldweg. Ein halsbrecherisches Tempo, den Umständen entsprechend.

      Dr. Woodhams versuchte, sich zu konzentrieren. Es fing an mit der Waffe, die der Engländer benutzte. Fraglos handelte es sich um das Neueste, was auf dem Schalldämpfersektor entwickelt worden war. Woodhams kannte auch dieses Gebiet der Waffentechnik. Es war eine Firma in Deutschland, die erst vor kurzem diesen Schalldämpfer konstruiert hatte, der nach einem neuen, geheim gehaltenen Prinzip arbeitete.

      Der Schalldämpfer war abgestimmt auf eine Pistole vom Typ ›Walther PPK‹, Kaliber 7,65 Millimeter. Beides zusammen ergab ein Abschussgeräusch, das leiser war als eine Luftpistole. Eben jenes Klicken.

      Die Tatsache, dass der Fremde mit einer solchen Waffe ausgerüstet war, die für die meisten Geheimdienste noch als Zukunftsmusik galt, ließ vermuten, dass er für eine Spitzenorganisation arbeitete.

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