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unvorsichtigen Schritt.

      Als das Mädchen fast im gleichen Moment erleichtert aufatmete, schrieb er es ihrem lustvollen Küssen zu.

      Ein Poltern zerriss die Stille.

      Krachend prallte der Fensterladen gegen die Außenwand der Hütte. Glas zersplitterte. Scherben klirrten auf den Fußboden neben dem Bärenfell.

      Erschrocken zuckte der hagere Mann von dem Mädchen hoch. Sein Kopf ruckte herum. Im gleichen Atemzug erstarrte er. Nur seine Augen waren noch in Bewegung, quollen beängstigend weit hervor.

      Die Doppelmündung einer Schrotflinte gähnte ihn an. Auf dem brünierten Waffenstahl erzeugte das versiegende Tageslicht einen matten Reflex.

      Dahinter der breite Oberkörper eines Mannes. Sein grobporiges Gesicht war von feuerrotem Kraushaar und einem feuerroten Vollbart umrahmt. »Ende der Schonzeit, Dr. Woodhams!«, sagte der Mann in einem harten, kehligen Akzent. »Runter von der Puppe und die Hände hoch!«

      Dr. Philip J. Woodhams begriff die raue Wahrheit nicht sofort. Fassungslos wandte er den Blick von der tödlichen Waffe zu dem Mädchen, das er für ein paar schöne Stunden teuer bezahlt hatte. Er sah jetzt ihr kaltes, mitleidloses Lächeln und erschauerte. »Du … du …«, keuchte er und suchte vergeblich nach Worten.

      »Miststück?«, entgegnete sie spöttisch. »Luder? Flittchen? Hure? Du kannst noch mehr Vorschläge kriegen, Doktorchen. Was meinst du, wie oft ich solche netten Worte schon gehört habe?«

      »Schluss jetzt!«, bellte der Rotbart vom Fenster her, »Sie haben noch genau drei Sekunden Zeit, um sich von meiner Geschäftspartnerin zu erheben, Woodhams. Sonst …« Es knackte metallisch trocken, als er den rechten Hahn der altmodischen Doppelflinte spannte.

      Dr. Woodhams gehorchte. Zitternd stand er auf, reckte die Arme hoch. Die Kälte, die er bis dahin ignoriert hatte, drang ihm nun bis auf die Knochen.

      Die Blondhaarige lief zur Tür, halbnackt wie sie war, um den Bärtigen hereinzulassen.

      Woodhams hatte keinen Blick mehr für ihre wippenden Brüste und ihre vollendet geformte Rückfront. Und der winzige Moment, den der Mann mit der Doppelflinte brauchte, um die Hütte zu betreten, reichte nicht einmal für den Ansatz eines Fluchtversuchs aus.

      Mit zwei Schritten Abstand, die Flinte im Anschlag, baute sich der Rotbart breitbeinig vor dem hageren Wissenschaftler auf. »Okay, Woodhams«, sagte er zufrieden. »Sie dürfen sich jetzt anziehen. Wir haben eine gemeinsame Verabredung, und ich möchte pünktlich sein.«

      Dr. Philip J. Woodhams raffte seinen ganzen Mut zusammen. »Sie … sind Ire?«, fragte er mit vibrierender Stimme.

      »Erraten«, grinste der andere, »und es macht mir mächtigen Spaß, einen Amerikaner englischer Herkunft in die Pfanne zu hauen. Aber trösten Sie sich, mit Politik habe ich nichts im Sinn. Die ›IRA‹ ist Geschichte und wird Ihnen kein Feuer mehr unter dem Hintern machen.«

      »Aber was dann?«

      »Sie werden es früh genug erfahren. Los jetzt, steigen Sie in Ihre Klamotten! Ich kann nicht gerade behaupten, dass Sie ein aufregender Anblick sind. Weiß der Teufel, was die Frauen an Ihnen finden.«

      »Nur das, was er in der Brieftasche hat«, bemerkte das Mädchen verächtlich. »Wahrscheinlich schafft er es nicht, sich auf normale Weise was Weibliches zu verschaffen. Eigentlich muss man ihn richtig bedauern.«

      »Tja, kleiner Doktor«, sagte der bärtige Ire mitleidig, »so kann einer reinfallen, wenn er zu gierig ist. Dabei musste eigentlich vermutet werden, dass Sie genug Grips haben, um immer den klaren Überblick zu behalten.«

      »Bei mir behält keiner den Überblick«, behauptete die kesse Blonde.

      Der Ire lachte.

      Dr. Woodhams wurde kalkweiß im Gesicht – aus Wut über sich selbst, aus Empörung über die Unverschämtheit der beiden und aus Angst vor dem, wovor er immer gewarnt worden war. Es gab eine Menge Leute auf der Welt, die ihn für unbezahlbar hielten. Bescheiden wie er war, hatte er selbst es nie recht glauben wollen.

      ***

      Kapitel 2

      In der Kabine war das Dröhnen der beiden Triebwerke nur als leises Summen zu hören.

      Zehn Minuten waren seit dem Start der ›Gulfstream G650‹ von ›Shannon Airport‹ vergangen. Der elegante Jet hatte seine gewohnte Flughöhe erreicht. Ein trübgrauer Teppich dichter Regenwolken huschte unter dem Aluminiumbauch des Düsenflugzeugs hinweg, versperrte den Blick auf das grüne Land der Republik Irland.

      Weil die Cockpit-Besatzung der ›Gulfstream‹ nur aus drei Mann bestand, erledigte der Flugingenieur seinen Nebenjob als Steward. Er balancierte ein Tablett mit Sandwiches und Drinks in die Kabine, die auf Anweisung der Firmenleitung zum behaglichen Salon umfunktioniert worden war.

      Flauschiger Teppichboden, der sich gerade noch mit den Sicherheitsvorschriften vereinbaren ließ, samtbespannte Kabinenwände mit gerafften kleinen Vorhängen vor den Bullaugen, schummrige indirekte Beleuchtung, voluminöse Sitzpolster beiderseits von insgesamt vier Couchtischen. Die Sicherheitsgurte an den couchähnlichen Sitzmöbeln waren ein Zugeständnis an eben jene Sicherheitsvorschriften.

      Der Ingenieur bzw. Steward steuerte auf die Sitzgruppe hinten links zu, die vor einem abgetrennten Schlafzimmer lag, zog einen Beistelltisch heran und setzte das Tablett ab. »Noch einen Wunsch, Sir?«, fragte er mit einer angedeuteten Verbeugung, wobei er die rassige Frau fasziniert musterte.

      Beide starrten sie konzentriert auf das schwarz-weiß karierte Brett, sodass dem Mann aus dem Cockpit ein paar Sekunden Zeit zum Bewundern gegönnt waren.

      Sappington hatte mal wieder einen unglaublichen Fang gelandet. Mochte der Teufel wissen, wie er das immer wieder zustande brachte.

      Die Frau trug ihr blauschwarzes Haar sehr kurz, etwa im Stil wie Jean Seberg, als sie damals die ›Jungfrau von Orleans‹ spielte. Doch selbige Jungfrau verblasste gegen Sappingtons Eroberung zur grauen Maus.

      Sie war Engländerin, und er hatte mitbekommen, dass Sappington sie Clairé nannte. In ihren dunklen Augen glomm das verhaltene Feuer einer Sinnlichkeit, die jeden Mann in einen Rauschzustand versetzen konnte. Er musste sich eines eingestehen: wenn er Sappington jemals beneidet hatte, dann in diesen Stunden des Fluges von London nach New York City.

      Clairé Beauvais trug eine scharlachrote Georgette-Bluse, die wie ein duftiger Hauch um ihren herrlich geformten Busen spielte. Seit dem Abflug vom ›Heathrow Airport‹ fragte sich der Ingenieur, ob sie nun einen BH trug oder nicht. Er befürchtete, dass er das Rätsel nicht mehr lösen würde, denn die bevorstehende Landung auf dem ›Kennedy International Airport‹ war bereits sehr nahe gerückt. Clairés hautenger schwarzer Lederrock, ließ auch nicht den geringsten Zweifel über das vollendete Ebenmaß ihrer Körperformen offen.

      Schwindelerregend.

      »Noch einen Wunsch, Sir?«, wiederholte der Nebenberufs-Steward.

      Wardell Sappington erwachte aus seiner Geistesabwesenheit und schüttelte unwillig den Kopf. »Nein, Withers. Nur den einen: bis New York möchte ich nicht mehr gestört werden. Klar?«

      »Selbstverständlich, Sir!«

      Der Flugingenieur, ebenso wie Sappingtons Angestellter der ›Launchnetics‹, zog sich zurück zu seinem Arbeitsplatz in der Nase des Düsenvogels. Ihm wurde in diesen Minuten bewusst, welcher Unterschied doch zwischen den beiden Angestelltenverhältnissen klaffte. Sappington stand an der Spitze, bezog Gewinnbeteiligung, Boni und was sich sonst noch alles hinter diesen Bezeichnungen verbarg, durch die sich ein Manager von einem normalen Gehaltsempfänger unterscheidet.

      Zwischen Cockpitinstrumenten eingepfercht, dachte der Ingenieur darüber nach, dass Sappington hinten mit seinem Rassegirl garantiert nicht nur Schach spielte, bis die ›Gulfstream‹ auf dem

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