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Das Vermächtnis von Holnis. Peter Graf
Читать онлайн.Название Das Vermächtnis von Holnis
Год выпуска 0
isbn 9783741808388
Автор произведения Peter Graf
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Dazu war es nicht mehr gekommen. Von unbekannter Seite erhielt er eine Botschaft, dass er aus Flensburg verschwinden musste, um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden wie sein Freund. Er wurde aufgefordert, sich nach Hamburg durchzuschlagen, um von dort auf ein Auswandererschiff nach Amerika einzuschiffen. Der Botschaft lag ein Umschlag bei, in dem sich eine beträchtliche Summe Geld befand.
Fritz hatte nicht bemerkt, dass an dieser Stelle des Berichts der Gildemeister und der Kaufmann kurz aufblickten und sich kaum merklich mit dem Kopf zunickten. Er hörte wie gebannt zu und konnte es kaum fassen, dass sein Bruder in einem Land gewesen war, das für ihn so fern wie der Mond schien.
Die Überfahrt war schrecklich gewesen. Der Zweimaster war als Frachtsegler gebaut worden, dickbäuchig und mit flachem Unterwasserschiff. Das führte dazu, dass das Schiff schon bei geringer Dünung hin- und herschlingerte, so dass die Passagiere im Schiffsrumpf jedes Gleichgewichtsgefühl verloren hatten und erbärmlich seekrank geworden waren. In seiner Erinnerung war die gesamte Überfahrt ein nicht enden wollender Albtraum. Nur ein Teil des Frachtraumes war für die Mitfahrer abgetrennt worden. Es herrschte eine Enge, die schon nach wenigen Stunden zu ersten Streitigkeiten und später dann zu massiven Konflikten bis hin zu Schlägereien geführt hatte. Es war dunkel gewesen, es war feucht gewesen und ekelerregend dreckig. Aber das Schlimmste für Christian war der Gestank, der in jede Pore gekrochen war und der ihm noch fünf Jahre danach in der Nase zu hängen schien. Der Gestank nach Erbrochenem, nach Moder, nach ungewaschenen, ranzigen Körpern und nach Exkrementen. Ein Geruch so penetrant, dass er ihm noch nach so vielen Jahren allgegenwärtig vorkam.
Unwillkürlich musste sich Christian bei seinen Gedanken schütteln.
Als sie nach unendlichen Wochen in ihrem Zielhafen Philadelphia in Amerika angekommen waren, war Christian am Ende seiner Kraft und völlig hoffnungslos gewesen. Er war bis auf die Knochen abgemagert und der ständige Durchfall durch das faulige Trinkwasser an Bord hatte seinen Körper so geschwächt, dass er ohne Zuversicht von Bord ging. Am Anfang der Reise war er zwar voller Furcht vor der ungewissen Zukunft gewesen, aber die Neugierde hatte einen Teil seiner Angst aufgefangen. Nun erst wurde ihm klar, dass ihn hier in diesem fremden Land niemand erwartete und er auch von keiner Person Hilfe oder Unterstützung erhoffen konnte. Immer wieder kam ihm der Gedanke, dass er vor nicht allzu langer Zeit ein Leben geführt hatte, das ihm so viel geboten hatte: Familie, Freunde, eine spannende Arbeit, Sicherheit. Aus diesem Leben fühlte er sich herausgerissen. Hatte er die Möglichkeit gehabt mitzuentscheiden? Immer wieder dachte er daran, auf dem Schiff zu bleiben, so schrecklich die Fahrt auch gewesen war, um möglichst schnell wieder nach Flensburg zu gelangen. Aber er erfuhr schnell, dass der Segler nicht direkt über den Atlantik zurückkehren würde und dass sein restliches Geld auch nicht dazu gereicht hätte.
Sein erster Eindruck von Philadelphia trug nicht dazu bei, seine Stimmung zu verbessern. Flensburgs Hafen, der doch zu den größten Nordeuropas zählte, kam ihm im Vergleich zu dem, was er hier sah, klein und geordnet vor. An den Schiffbrücken und an den Kais in Flensburg war an jedem Tag bis tief in den Abend viel Betrieb. Hier bewegten sich jedoch unüberschaubare Menschenmassen, zerlumpte Gestalten aus aller Herren Länder. Christians Augen, die in den letzten Wochen nur seine wenigen Mitfahrer vor sich gehabt hatten, dazu das eintönige Meer oder das Dämmerlicht im Schiffsrumpf, ertrugen kaum das Gewirr von Menschenleibern, von Tieren und von Fuhrwerken, das scheinbar ohne ein Stück Ordnung um ihn herumströmte.
Menschen unterschiedlichster Rassen, von denen er zwar schon gehört hatte, die ihm damals aber in ihren Beschreibungen wie exotische Tiere vorgekommen waren, liefen neben ihm mit einer Selbstverständlichkeit herum, die ihn völlig irritierte. Ihre Hautfarbe war ihm fremd, ihre Gestalt, ihre Kleidung, ihre Gerüche, alles an ihnen war verwirrend und ungewohnt.
In der Enge des Schiffes gab es kaum Momente der Ruhe, was ihn sehr angestrengt hatte. Und hier herrschte nun ein infernalischer Lärm. Die Menschen brüllten und kreischten in Sprachen, die seinen Ohren wehtaten und von denen er kein Wort verstand. Die Geräusche schlugen wie Hammerschläge in seinen Kopf ein. Wie sollte er sich hier zurechtfinden?
Christian war nahe daran, in Panik zu geraten. Er war kein ängstlicher Mann, aber erschöpft wie er war, empfand er seine Lage als unerträglich und hoffnungslos.
Er wusste nicht wohin und wurde wie willenlos von dem Menschenstrom mitgerissen.
Eine Stimme nicht weit von ihm ließ ihn aufhorchen. Es war nicht der Klang der Stimme. Er hörte Worte in deutscher Sprache, die ihn aus seiner düsteren Stimmung rissen.
Auf dem Schiff hatte er sich oft mit seinen Mitfahrern über die Ankunft in Amerika unterhalten und er hatte erfahren, dass es am Hafen zahlreiche Werber gab, die sich auf die Neuankömmlinge stürzten. Diese würden gegen ein Entgelt dabei behilflich sein, eine gute Arbeitsstelle zu finden. Aber er war gewarnt worden. Es gab unter den Werbern wohl auch Betrüger, die gut bezahlte Arbeitsstellen versprachen, die aber den hilflosen Neuamerikanern nur das Geld aus der Tasche ziehen wollten. Schlimmer noch: Es gab wohl auch Vermittler, die behaupteten für ihre Dienste nichts zu fordern und die von den Fabrikbesitzern eine Entlohnung erhielten. Dafür mussten die Arbeitsuchenden dann oft über Monate ohne Lohn unter härtesten Bedingungen wie Sklaven arbeiten.
Christian war also gewarnt und erhoffte sich, von einem Landsmann uneigennützige Unterstützung zu erfahren. Er drängelte zu der Stelle, wo sich die beiden Männer unterhielten.
Zuerst nahmen sie ihn nicht zur Kenntnis, aber als Christian erklärte, dass er aus Flensburg käme und gerade erst angekommen wäre, wurde er freundlich begrüßt. Er hatte großes Glück. Es war nichts Besonderes, wie er erfuhr, hier in New York auf Deutsche zu treffen. Diese Männer kamen aber beide aus Rendsburg, also ebenfalls aus Südschleswig, wodurch sofort eine Verbundenheit da war. Als er ihnen erklärte, dass er Schmied sei, versprachen sie ihm, bei der Arbeitssuche behilflich zu sein. Sie vereinbarten, sich am nächsten Morgen zu treffen, und ihm wurde eine bezahlbare Unterkunft genannt.
Am nächsten Tag tauchte zu Christians großer Erleichterung tatsächlich einer der beiden Männer wie verabredet auf.
„Wir haben einen Platz für dich gefunden. Du wirst drei Tage mit dem Planwagen nach Westen fahren und dort in Mills Creek, einer kleinen Stadt an einem Fluss, zu einer Fabrik gebracht. Der Vater des Fabrikanten ist vor dreißig Jahren aus Bremen nach Amerika gekommen. Wenn du seinem Sohn diesen Brief gibst, dann sollte er dir eine Anstellung geben.“ Bevor Christian noch irgendwelche Fragen stellen oder sich bedanken konnte, machte ein Fuhrmann auf sich aufmerksam, der ungeduldig auf einen Planwagen wies. Mittags lag Philadelphia hinter ihnen. Christian befand sich erneut auf dem Weg in eine für ihn ungewisse Zukunft, aber er war so zuversichtlich wie schon seit Wochen nicht mehr.
Christian bemerkte eine leichte Ungeduld bei seinen Zuhörern und verzichtete darauf, über seine Eindrücke während der Planwagenfahrt zu berichten. Ihm war klar, dass der Kaufmann und der Gildemeister mehr an seinen Erfahrungen aus der Fabrik interessiert waren. Also fuhr er mit seiner Schilderung fort.
Die Fabrik, die am Abend des dritten Tages vor ihm auftauchte, war eine imposante Halle, an die zweihundert Fuß lang und aus Ziegeln und mächtigen Brettern erbaut. Aus ihrem Dach ragten insgesamt acht mächtige Schornsteine, bei denen Christian sofort ahnte, dass sie zu Schmiedefeuern gehörten. Obwohl es schon später Abend war, herrschte hier zu seinem Erstaunen noch jede Menge Betrieb. Der Kutscher, der die ganze Fahrt über kein Wort gesprochen hatte, erklärte ihm nun lang und breit, wo die Fabrikantenvilla zu finden wäre und wo er sich vorstellen sollte.
Christian brauchte nicht lange zu suchen, denn ihm kam ein Mann mit schwarzem Zylinder und Gehrock entgegen, in dem er den Fabrikbesitzer vermutete. Zu Christians großer Erleichterung sprach der Mann deutsch, wenn auch mit einem eigenartigem Akzent.
Nachdem Christian sich in aller Höflichkeit vorgestellt und dem Mann den Brief gegeben hatte, wurde er unerwartet freundlich begrüßt. Einer Anstellung schien nichts im Wege zu sein. Er wurde von seinem zukünftigen Arbeitgeber persönlich durch die vollkommen verrußte Halle geführt, in der Dutzende von Männern