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von Liebe, an den er sich erinnern konnte. In der Kaserne in Tondern schien das grausame Leben so weiterzugehen. Nein, schlimmer noch. Er wurde einem Korporal zugeordnet, der es an Grausamkeit mit seinem Vater aufnehmen konnte. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend wurden die Rekruten gepiesackt und misshandelt. Neben dem alltäglichen Drill musste Jesper seinem Korporal wie ein Sklave dienen, seine Unterkunft aufräumen, Nahrung organisieren, die Kleidung pflegen und Dienstbotengänge erledigen. Die Aufgaben waren so zahlreich, dass er immer wieder mal zum Kasernenhofdrill zu spät kam, was zu strengsten Bestrafungen in Form von Schlägen führte. Wenn er aber den Aufträgen des Korporals nicht umgehend nachkam, erwartete ihn auch dort schwerste Prügel. So hatte er nur die Wahl, entweder von der einen Seite oder von der anderen Seite seine Bestrafungen entgegenzunehmen. Aber das war nicht das Schlimmste. So ein Leben kannte er ja auch vom Hof, aber dort hatte er wenigstens nachts seine Ruhe gehabt. Schon in der ersten Nacht auf dem Kasernengelände hatte der Korporal ihn in sein Zelt befohlen. Er sollte sich die Hose ausziehen, um eine Uniformhose zu erhalten. Das hatte Jesper schon misstrauisch gemacht, denn alle Rekruten liefen auch noch nach Wochen mit ihrer alten Kleidung herum. Plötzlich und völlig unerwartet wurde er von hinten gepackt, mit aller Gewalt nach vorne gedrückt, und dann spürte er einen stechenden Schmerz in seinem Gesäß, ein Schmerz, der sich nicht auf den Po beschränkte, sondern der sich in seinem gesamten Leib wie ein Feuer ausbreitete. Er wollte schreien, aber eine stinkende Hand legte sich auf seinen Mund, dass er zu ersticken glaubte. Sein Körper wollte sich wegdrehen, dem Schmerz entrinnen, aber die Arme des Korporals waren wie aus Eisen. Jespers erster Gedanke war, warum der Korporal ihn mit seinem Messer abstach, was er wohl falsch gemacht hatte. Als er die grunzenden Laute, das Keuchen hinter ihm wahrnahm, Geräusche, die ihm von seinem Vater bekannt waren, wurde ihm klar, was mit ihm gemacht wurde. Jesper hatte nicht oft die Gelegenheit gehabt, in die Kirche zu gehen, aber er wusste, dass er nun in der Hölle landen würde oder sich schon dort befand.

      So ging es nun Woche um Woche, in denen sein gesamter Körper eine offene Wunde zu sein schien, ein Feuer in ihm, das ihn von innen und außen verbrannte. Schon der Geruch des Korporals, der ihn an den von frisch geschlachteten Schweinen erinnerte, bereitete ihm Grauen. Das Aufwachen morgens war für ihn der Beginn einer unendlichen Qual, das Naherücken des Abends und der bevorstehenden Nacht empfand er, als ob der Tod persönlich Schritt für Schritt, unaufhaltsam, auf ihn zukroch und es keinen Weg gab, ihm zu entkommen. Während die anderen Jungen gelegentlich auch mal Freude in ihren Gesichtern zeigten, wenn sie miteinander sprachen oder sogar manchmal mit Waffen aus Holz Krieg spielten, blieb er davon ausgeschlossen, in seinem Schmerz und mit seiner Scham allein. Mit wem hätte er reden sollen? Wer hätte mit ihm reden wollen, er, der nur ein Stück wundes Fleisch war. Verachtenswerter Dreck.

      Eines Tages bot sich ihm eine Chance und ein letztes Stück Lebenswillen erwachte in ihm.

      Der Korporal hatte ihn zum Quartiermeister geschickt, der sein Kontor in der Nähe des Kasernenhoftores hatte. Jesper bemerkte, dass beide Wachen nicht am Tor standen und er einen Moment von niemandem gesehen werden konnte. Ohne zu überlegen schlich er aus dem Kasernengelände heraus, weg aus der Hölle. Er wusste, dass hinter der Kasernenhofmauer ein Wald lag, zu dem er nun stürmte, um dort Schutz zu suchen. Erst als er dort angekommen war, stellte er sich die Frage, wohin er sollte. Nach Hause, zum Hof ? Erstens erinnerte er sich nicht mehr an die Wegrichtung, und selbst wenn: Ihm war klar, wie er dort empfangen werden würde. Also lief er in irgendeine Richtung, die ihn von der Kaserne wegführte. Er rannte und rannte, als ob seine Beine ohne jeglichen Befehl das Kommando übernommen hatten und sein Kopf nur einen Gedanken kannte: weg! Erst als seine Lungen sich verweigerten, hielt er ein und stellte mit Erstaunen fest, dass er an Armen, Beinen und im Gesicht tiefe Schürfwunden hatte, die er sich bei der Flucht durchs Gehölz zugezogen haben musste, ohne es zu bemerken. Gleichzeitig mit dem 6 Uhr Läuten der Kirchenglocken der Tonderner Kirche spürte er, ohne etwas zu sehen oder zu hören, dass sich jemand näherte. Der Wald schluckte die Geräusche und ließ keine weite Sicht zu, aber ein kaum vernehmbares Vibrieren des Bodens warnte ihn, dass sich Tiere näherten, Pferde in schnellem Galopp. Und jeder Reiter, der im Wald sein Pferd galoppieren ließ, musste es eilig haben. In Bruchteilen von Sekunden war ihm bewusst, dass die Eile ihm galt, dass sie hinter ihm her waren. Das blanke Entsetzen packte ihn. Dass er desertiert war, wurde ihm erst jetzt klar. Er wollte doch nur weg vom Korporal. Er hatte doch nicht vorgehabt zu desertieren, machte sich aber nichts vor, was ihn erwartete, wenn sie ihn einfingen. Er hatte immer wieder mal aufgeschnappt, dass Männer ihren Dienst und die Entbehrungen leid waren, aber bei all den Gesprächen schwang stets unüberhörbar die Furcht mit, was passieren würde, wenn man sich unerlaubterweise der Armee entzog. Die Folgen wurden nie in Worte gefasst, als ob man sie sonst damit heraufbeschwören würde, aber die Bestrafungen mussten unerträglich sein, wenn selbst hartgesottene Soldaten nicht einmal über diese zu sprechen wagten.

      Er sah sie nicht, er hatte sie nicht gehört. Erst als ein Reiter mit gezogenem Säbel schon wie ein Berg vor ihm stand, wurde ihm schlagartig klar, was ihm bevorstand. Es schien ihm, als würden sich seine Knochen und sein Rückgrat in Luft aufgelöst haben, dass er ganz leicht wurde, schwebte, als seine Beine unter ihm nachgaben, und sein Kopf ihn von seiner Angst befreite, indem er das Bewusstsein verlor.

      Er wurde davon wach, dass er eine plötzliche Eiseskälte auf dem Oberkörper und im Gesicht wahrnahm. Als er die Augen aufschlug, erblickte er über sich den Korporal, der einen weiteren Eimer mit Wasser über ihn ausschüttete.

      „Damit du auch bei deiner Feier schön wach bist“, hörte er den Korporal mit fast sanfter Stimme. Die Augen des Korporals leuchteten beinahe freundlich, ähnlich wie die des Vaters, bevor der zur Peitsche gegriffen hatte. Er konnte diese Augen nicht anschauen, wollte sich aufrichten und stellte erst in diesem Moment fest, dass er auf einer hölzernen Bank lag und mit Lederriemen festgeschnallt war. Um ihn herum standen im Kreis alle anderen Rekruten. Keiner sprach, kein hämisches Grinsen. Ihr stilles Mitgefühl erfüllte ihn mit Grauen. Die Angst schlich sich nicht heran mit Herzklopfen oder feuchten Händen, nicht mit zittrigen Beinen oder furchterregenden Bildern im Kopf. Die Angst überrollte ihn, schlug in ihn ein, als ob Bänder aus Eisen um seine Brust gelegt wurden, die sich mit jedem Atemzug zusammenzogen und ihm die Luft abschnitten. Eine Angst, die ihn zum Keuchen und sein Herz zum Rasen brachte, sodass sich sein Brustkorb hob und senkte wie bei einem Kaninchen, bevor es geschlachtet wurde. Er hob seinen Kopf, so weit er konnte, und sah wie der Korporal zu seinen nackten Füßen ging, mit einer beinlangen Stahlfeder in der Hand. Der unbändige Versuch zu fliehen, ließ seinen Körper aufbäumen.

      Der Schmerz nach dem ersten Schlag war so ungeheuerlich, dass sein ganzer ausgezerrter Körper und sein Hirn explodierten. Seine Augen konnte nicht mehr aufnehmen, dass sich die Stahlrute durch seine Hornhaut an den Fußsohlen wie durch Papier durchgeschnitten hatte und sich tief in sein Fleisch hineingefressen hatte. Er nahm seinen schrill heulenden Schrei nicht mehr wahr, der nicht mehr menschlich klang und der die Rekruten totenbleich werden ließ. Er schmeckte nicht mehr das Blut, das seinen Mund füllte, als er sich die eigene Zunge fast durchbissen hatte. Es war kein Schmerz, es war eine Feuersbrunst, die sich von außen in ihn hineinfraß und von innen wieder hinaus. Ihn verbrannte. Wenn es einen Gott gab, so sorgte der dafür, dass er die weiteren Schläge nicht mehr spürte. Er versank in einer tiefen Dämmerung, deren Mitleid ihn vor tödlichem Schmerz und abgrundtiefer Angst bewahrte.

      Jesper genehmigte sich ein zweites Glas, wobei seine Hand beim Einschenken merklich zitterte und ihm bewusst wurde, dass sich bei seinen Erinnerungen die Zehen seines verunstalteten, völlig vernarbten Fußes unwillkürlich verkrampft hatten. Aber nun konnte er mit bitterer Genugtuung daran denken, dass eben diese Folter, die ihn fast das Leben gekostet hatte, der Auftakt zu einem neuen Leben gewesen war. Ein Leben, das ihm die Chancen geboten hatte, dass er sich nun dort befand, wo er jetzt war. Und diesen Gedanken genoss er. Deswegen tauchte er so gern in seinen Erinnerungen ab.

      Man hatte ihn nach der Tortur in ein Lazarettzelt geschleppt, womit der Korporal seine Menschlichkeit unter Beweis stellen wollte. Irgendwann hatte sein junger Körper dafür gesorgt, dass die Blutungen seines zerfetzten Fußes zum Stillstand kamen, und ein mitleidiger Feldarzt hatte seinen Teil dazu beigetragen, indem er Lappen um das zerrissene Fleisch gewickelt hatte und die regelmäßig wechseln ließ. Von all diesem Tun kriegte Jesper nichts mit. Jespers gemarterte Seele hatte seinen

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