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Bruder. Er ist zum Märtyrer geworden. Ein Platz im Paradies ist ihm gewiss. – Was aber, machen wir jetzt mit dir?“

      „Ich habe was dabei“, stammelte Ibrahim. Dann zog er aus seinem Burnus die Goldbarren und die Maria-Theresien Taler hervor und knallte alles auf den Tisch. Dawud pfiff anerkennend, als er das kleine Vermögen sah. „Da hattest du aber Glück, dass es die Juden nicht entdeckt haben. Morgen früh, nach dem Gebet gehe ich damit zu meinem Freund, er ist ein ehrlicher Goldschmied, und frage ihn, wieviel das Zeug wohl wert ist. Aber jetzt ist es an der Zeit schlafen zu gehen. Du musst ja hundemüde sein.“ In der Tat, das war er auch. Er wusch sich kurz, legte sich auf einen Teppich und schlief sofort ein.

      Ramallah ist eine Stadt in den Palästinensischen Autonomiegebieten im Westjordanland. Während des Sechstagekrieges 1967 wurde die Stadt von der israelischen Armee besetzt und von der israelischen Verwaltung übernommen. Erst 1994 wurde Ramallah wieder an die Palästinenser übergeben. Ramallah ist das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der palästinensischen Autonomiegebiete. Jassir Arafat, der Gründer der Hamas, liegt hier begraben. Die Stadt liegt in den Hügeln Zentralpalästinas, 15 Kilometer nordwestlich von Jerusalem. Ramallah war ursprünglich ein fast ausschließlich von arabischen Christen bewohnter Ort. Erst im Zuge der Ansiedlung von vielen muslimischen Flüchtlingen nach dem Entstehen Israels änderten sich die Mehrheitsverhältnisse. Dadurch hat die Stadt eine muslimische Bevölkerungsmehrheit. Die arabischen Christen bilden jedoch weiterhin eine zahlenmäßig starke Minderheit.

      Wie versprochen verließ Onkel Dawud die Wohnung am Morgen. Sorgsam bewahrte er die Goldbarren und die Münzen auf. Nach etwa zwei Stunden kam er wieder zurück. Aus der Tasche seines Burnusses zog er ein Bündel Pfundnoten hervor. „Mein Freund hat mir alles abgekauft, Ibrahim“, strahlte er und knallte das Geld auf den Tisch. „Da sind 25.400 britische Pfund5. Für unsereinen ein kleines Vermögen!“

      Ibrahim konnte die Freude seines Onkels nicht teilen. Gut, ein kleines oder größeres Vermögen. Schön. Was sollte er damit aber anfangen? Er, ein entwurzelter Vollwaise.

      „Du könntest Ramallah verlassen, vielleicht nach England gehen. Studieren und langsam damit beginnen, deine Rache an den Juden zu planen.“

      Er allein? In ein Land, das er nicht kannte, von Ungläubigen bewohnt und dessen Sprache er nicht verstand? „Ich? Allein?“, stammelte er.

      Ibrahims Frau kam dazu. Sie hatte das Gespräch zwischen Onkel und Neffe vom anderen Raum aus mitangehört. Sie beugte sich zu ihrem Mann und flüsterte ihm was ins Ohr. Der schaute überrascht, zögerte etwas und nickte dann zustimmend. „Nein, Neffe. Du fährst nicht allein. Wir werden dich begleiten, dich irgendwie gut unterbringen und dann wieder hierher zurückkehren.“

      Ibrahim nickte erleichtert.

      Die Gossarahas sprachen bei der Irischen Vertretung in Ramallah vor. Die irische deswegen, weil die Engländer keine Vertretung in Ramallah hatten. Dafür war ihnen vermutlich, nach dem kompletten Desaster mit ihrer Nahostpolitik, das Risiko noch zu hoch. Der irische Konsul erwies sich als äußerst entgegenkommend. Er hörte sich an, was ihm Dawud Gossarah über das Schicksal seines Neffen berichtete und dass man plane, nach der Ankunft in Dublin, nach England weiter zu reisen. Als ihm Dawud noch dazu vom Geld erzählte, dass Ibrahim zur Verfügung stünde, wurde er noch entgegenkommender. Die Gossarahs würden dem irischen Staat nicht zur Last fallen. Den Engländern auch nicht. Obwohl ihm die Engländer eigentlich scheissegal waren. Also stellte er ihnen die nötigen Papiere aus. Von Tel Aviv aus – Ramallah besaß keinen Flughafen – ginge in zwei Tagen ein Flug nach Dublin.

      Dawud verzog zwar das Gesicht, als er hörte, sie müssten in israelisches Territorium, Ibrahim riss erschrocken seine Augen auf, aber anders ging es halt nicht. Der Konsul beruhigte. Sie bräuchten keine Angst zu haben. Die ausgestellten Papiere wiesen sie als irische Staatsbürger aus und denen würden die Israelis sicher nichts antun. Wie der Konsul prophezeit hatte, war es letztendlich auch.

      Die Gossarahs packten einige Sachen ein und fuhren dann zum Flughafen. Die Kontrollen der Israelis waren merkwürdigerweise äußerst lax und sie bestiegen pünktlich eine Maschine der British Airways. Ibrahim hatte einen Fensterplatz ergattert, war entsetzlich aufgeregt und staunte über die Fähigkeit dieses eisernen Vogels so hoch in der Luft zu bleiben. Das kapierte er einfach nicht. Onkel und Tante übrigens auch nicht. „Allah hat seinen Kindern großartige Dinge schaffen lassen“, zeigte sich Dawud anerkennend. „Wir werden ihm immer und ewig dafür dankbar sein!“ Das verstanden alle Gossarahs.

      Dublin zeigte sich kalt, windig und verregnet. „Da möchte ich nicht leben“, meinte Dawud. Sie froren. Ihre leichte Kleidung erwies sich als völlig ungeeignet für das irische Wetter. Besonders Ibrahim schüttelte es vor Kälte. Es war höchste Zeit, für andere und wettermäßig passende Kleidung zu sorgen. Ihr erster Weg in Dublin führte sie also in ein Kaufhaus. Obwohl das Warenangebot nach den entbehrungsreichen Kriegsjahren noch nicht das Vorkriegsniveau erreicht hatte, staunten die Gossarahs über die Fülle von Waren, die sich ihnen darbot. „Das ist ja wie im Märchenland“, wunderte sich Dawuds Frau. „Bei uns gibt es nicht einmal einen kleinen Teil davon!“

      Dawud nickte dazu würdevoll. Ein arabischer Mann zeigt seine Begeisterung selten nach außen hin. Er war aber ebenso überrascht und begeistert. Sie kleideten sich alle neu ein und betrachteten sich mit ihren neuen und im englischen Stil gehaltenen Kleidern fasziniert im Spiegel. Ibrahims Tante hatte auf ihren Gesichtsschleier verzichtet und er sah sie so das erste Mal. Sie hatte halblanges schwarzes Haar, durchzogen von einigen grauen Strähnen, einen vollen Mund und sehr gütige Augen. „Tante, du bist schön!“, rutschte es Ibrahim heraus. Die Tante nahm es zur Kenntnis. Anscheinend freute sie sich über das Kompliment ihres Neffen. Ihr Mann verzog geringschätzig sein Gesicht.

      Ein Taxi brachte sie zu einem billigen Bread-and-Breakfast am Stadtrand von Dublin. Gleich morgen würden sie von da aus zur Britischen Botschaft gehen und dort ihre Einreise nach England anleiern. Heute hatten mehr als genug erlebt und gesehen. Todmüde fielen sie ins Bett.

      Am Morgen regnete es immer noch. Sogar stärker als Gestern. Sie absolvierten das vorgeschriebene Morgengebet und starrten danach missmutig aus dem kleinen Fenster ins verregnete Dublin. „Wir nehmen ein Taxi“, entschied Dawud. So war es dann auch. Der Sekretär in der Botschaft war ein typisch britischer Beamter. Hochgewachsen, überschlank und er verzog keine Miene, als ihm Dawud Ibrahims Geschichte referierte und den Wunsch äußerte, man möge dem Jungen Asyl gewähren, ihn passabel unterbringen und auch für seine Ausbildung sorgen.

      „Wer soll denn das bezahlen?“ war seine erste Frage. „Wir sind ein armes ausgeblutetes Land. Die Regierung seiner Majestät kann keinesfalls für die entstehenden Kosten ihres Neffen aufkommen. Unmöglich!“

      „Braucht sie auch nicht!“, kicherte Dawud. Mein Neffe verfügt über mehr als zwanzigtausend Pfund zu seiner persönlichen Verfügung!“

      „Wo und wie?“, reagierte der Sekretär. Statt einer Antwort zog Dawud die Geldscheine hervor. Die Miene des Briten zeigte erstmals Emotion. Er nahm das Geld in die Hand, prüfte und zählte es. Dann nickte er. Fast wohlwollend. „Na ja, dann schaut die Sache schon besser aus. Die Regierung seiner Majestät bietet ihrem Neffen selbstverständlich Schutz und Obhut. Ich empfehle ihrem Neffen sich in der Stadt Blackburn niederzulassen.“

      Blackburn? Keiner der Gossarahs hatte diesen Namen jemals gehört. „Blackburn?“, erkundigte sich Dawud. „Warum gerade in Blackburn?“

      „Die Stadt Blackburn in der Grafschaft Lancashire im Nordwesten Englands. Sie hat in etwa 150.000 Einwohner, 52 Moscheen und in den Schulklassen werden bis zu 90 Prozent islamische Kinder unterrichtet. In dieser Stadt, so meine ich, wäre ihr Neffe am besten aufgehoben.“

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      Blackburn

       Die Jungen in weißen Gebetshemden und –mützen und selbst die ganz kleinen Mädchen ausnahmslos mit Kopftuch kommen fünf Tage in der Woche für jeweils zwei Stunden in die Gebetsschule. Nach einem Schultag, der erst um 15.30 Uhr endet. Der Mullah, ein Besucher aus Persien, nickte

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