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Zeit der Drachen. Josef Hahn
Читать онлайн.Название Zeit der Drachen
Год выпуска 0
isbn 9783750216792
Автор произведения Josef Hahn
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Die jüdischen Truppen verhielten sich nicht anders, wie seinerzeit die deutsche Wehrmacht in den eroberten Gebieten. Rücksichtslos, menschenverachtend und brutal. Der Angriff auf Lydda dauerte 47 Minuten und kostete nach Angaben des Bataillons 100 – 150 Arabern das Leben. Auf israelischer Seite gab es 6 Tote und 21 Verletzte. Dieser ungeplante Angriff begründete den späteren Ruhm Mosche Dajans. Am Abend begannen sie dann mit der systematischen Vertreibung der Araber. Eine kleine Zahl arabischer Kämpfer harrte in der Polizeistation von Lydda aus und kämpfte bis zur letzten Patrone. Sie waren Mitglieder der arabischen SS-Legion3 gewesen und wussten genau, was ihnen geschehen würde, wenn sie den Israelis lebendig in die Hände fielen. Sie starben alle. Eines der unzähligen und sinnlosen arabischen Opfer. Geschockt von dem Überfall marschierten die Überlebenden aus eigener Initiative in die Gefangenenlager, die die Israelis blitzartig in den Moscheen und Kirchen der Städte eingerichtet hatten.
Ibrahim hatte mit Entsetzen mit ansehen müssen, wie drei israelische Soldaten seinen Vater und seine Mutter ermordeten. Es waren junge Kerle mit stumpfsinnigem Gesichtsausdruck und voll mit dem Gefühl des triumphalen Sieges über die verhassten Moslems.
„Dawai, dawai“, brüllten sie; sie waren erst vor kurzem aus Stalins Reich eingewandert. Niemand verstand sie. „Tol'ko chemodan4!“, brüllten sie. Ibn Gossarah, um Gnade oder wenigstens um mehr Zeit flehend, streckte ihnen seine Hände entgegen.
Umsonst!
Einer der Drei rammte ihm sein aufgestecktes Bajonett in den Bauch und ließ ihn blutend liegen. Ibns Frau stürzte schreiend zu ihrem Mann und wurde kurzerhand von einem anderen erschossen. Die Mörder lachten. Einer richtete seine Waffe auf Ibrahim. Der war vor Angst bewegungsunfähig und machte sich in die Hose. Er erwartete den tödlichen Stoß oder Schuss. Aber einer der Drei, vermutlich der Anführer schlug seinem Kumpel das Gewehr zur Seite. Er bedeutete Ibrahim, er solle verschwinden.
Ibrahim sprang auf und rannte so schnell er konnte hin zur Moschee. Dort, so meinte er, wäre er in Sicherheit! Die Juden würden es doch nicht wagen, in das Haus Allahs einzudringen. Die Moschee war bereits so überfüllt, dass sich die Eroberer dazu gezwungen sahen, die Frauen und Kinder wieder nach Hause zu schicken. Darunter war auch Ibrahim. Die Männer allerdings verblieben im Innern. Stumpfsinnig erwarteten sie ihren Tod. Sie mussten nicht allzu lange darauf warten.
Ibrahim rannte, so schnell er konnte in das Haus seiner Eltern zurück. Sie lagen noch genauso da, wie sie getötet wurden. Heere von Fliegen und Scharen anderer gieriger Insekten krabbelten auf ihren Körpern herum. Als er das sah und auch die üblen Gerüche schmeckte, die von den Toten ausgingen, wurde ihm schlecht. Er musste sich in einer Ecke übergeben. Was sollte er jetzt tun? Zu wem sollte er gehen? Seine nächsten Verwandten, das wusste er, lebten in Ramallah. Wie er aber dorthin kommen sollte, wusste er nicht. Dann fielen ihm die letzten Worte des Vaters ein. Er schnappte sich also eine kleine Schaufel und begann beim Orangenbaum zu graben. Immer darauf achtend, dass ihn kein Jude dabei ertappte.
Und da war was! In etwa 30 Zentimeter Tiefe stieß er auf eine kleine Metallbox. Vorsichtig hob er sie heraus und rannte damit gleich wieder zurück ins Haus. Dort öffnete er sie. Es lagen kleine Goldbarren und etliche silberne Maria-Theresien Taler drinnen. Er wusste natürlich nicht, welchen Wert der Fund hatte, aber er verstaute alles sorgfältig in seinem Burnus. Irgendwer würde ihm schon sagen, welchen Wert der Inhalt hat und was er damit anfangen könnte.
Die Welt war geschockt! Eine derartige Brutalität und Grausamkeit hatte man von den Israelis nicht erwartet. Diese aber, euphorisch ob ihres neuen Staates, voll von Hass gegen die Araber, die immer noch den Massenmörder Hitler verehrten und geprägt durch die unvorstellbaren Ereignisse der Shoa kannten kein Erbarmen. Zwar setzte die israelische Regierung ein Komitee ein, das sich mit den Flüchtlingen und ihrem zurückgelassenen Eigentum befassen sollte. Dies war aber lediglich eine Augenauswischerei, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Gehalten an das Verbot, arabische Städte und Dörfer nicht zu zerstören, zu verbrennen oder zu beschädigen, die Einwohner aus ihren Dörfern, Wohngebieten und Städten zu vertreiben hat sich niemand.
Beim Todesmarsch von Lydda – so nannte man die Vertreibung später - wurden 50.000 bis 70.000 palästinensische Araber aus ihren Häusern vertrieben. Sie begannen mit dem Auszug am Morgen des 13. Juli. Sie mussten zu Fuß gehen, vielleicht entweder, wegen ihres vorherigen Widerstands oder weil Fahrzeuge fehlten. Sie liefen entlang staubiger Straßen bei Temperaturen von 30 – 35° Celsius, transportierten ihre Kinder und ihren Besitz in Karren oder auf dem Rücken. Manche wurden auf dem Weg von der israelischen Soldateska ihrer Wertsachen beraubt. Auch Vergewaltigungen waren durchaus die Norm.
Persönlicher Besitz und auch Menschen wurden allmählich zurückgelassen, wenn sie als müde wurden oder zusammenbrachen. Zunächst wurden Utensilien und Möbel zurückgelassen, am Ende lagen die Körper von Männern, Frauen und Kindern entlang des Weges. Die Menschen waren wegen des Ramadan außerdem am Fasten. Es gab Wasser nur in ganz kleinen Mengen. Manche verdursteten. Bei einigen toten Frauen hingen ihre Babys noch an den Brüsten. Auch sie starben bald.
Ibrahim war mitten unter ihnen. Hin und wieder, wenn er sichtbar am Zusammenbrechen war, fand er notdürftig Platz auf einem der Ochsenkarren und erhielt auch einige Schlucke Wasser. Nach drei Tagen des Wanderns wurden die Flüchtlinge endlich von der Arabischen Legion aufgelesen und nach Ramallah gebracht. Da war die Hölle zur Realität geworden. Zehntausende aus Lydda und Ramle strömten in die Stadt hinein. Zumeist hatten sie kein Geld, keine Nahrungsmittel und kein Wasser, und stellten ein hohes Gesundheitsrisiko dar, nicht nur für sich selbst. Der Stadtrat von Ramallah bat den jordanischen König sie wegzubringen.
Vergeblich! Einige der Flüchtlinge erreichten Amman, den Gaza Streifen, den Libanon und Obergaliläa. Es gab wütende Demonstrationen gegen König Abdullah und die Arabische Legion wegen ihres schmählichen Versagens bei der Verteidigung der beiden Städte.
Der Rote Halbmond und das Rote Kreuz versuchten nach besten Kräften den Vertriebenen zu helfen. Sie stellten Zelte, Nahrungsmittel, Wasser und Medikamente zur Verfügung. Letztendlich war es aber immer zu wenig. Um die meist traumatisierten Waisenkinder unter den Flüchtlingen bemühte man sich auch besonders. Reiche Araber in Ägypten, Jordanien und anderen islamischen Staaten sollten sie aufnehmen oder adoptieren.
Ibrahim aber hatte Verwandte in der Stadt. Bloß, er kannte sie nicht und hatte auch keine Ahnung, wie und wo er sie finden sollte. Verzweifelt hockte er sich am Marktplatz in eine Ecke und schluchzte still vor sich hin. Einer der Händler versuchte ihn mit einer Orange zu trösten. Er nahm sie dankbar an. Nach zwei Tagen, die er am Markt verbracht hatte, erschien endlich eine Art Polizist und fragte ihn, was er denn hier mache. Ibrahim erzählte seine Geschichte, verschwieg vorsichtigerweise das verwahrte Gold und fragte den Sicherheitsmann, ob er vielleicht wisse, wo er seinen Onkel fände. Zu seiner Überraschung sagte der ja. Er kannte Dawud Gossarah und seine Frau. Sie wohnten sogar Tür an Tür. Er ging, um ihn zu holen. Kurze Zeit später kam ein etwas älterer Mann in Begleitung einer verschleierten Frau. „Du bist der Ibrahim?“, fragte er. „Der Sohn meines Bruders?“
Ibrahim nickte.
„Dann komm an mein Herz, Neffe.“ Er umarmte ihn. Die Frau tat das gleiche. „Komm mit uns. Beim Essen kannst du uns alles berichten.“ Dawud und seine Frau, Kinder hatten sie keine, bewohnten zwei kleine Zimmer in der Nähe des Löwenbrunnens am Manarah Platz. Mit wütender Miene hatten die Gossarahs