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ist das jedenfalls nicht.“ Er hielt inne und fuhr dann in ruhigem Ton fort: „Irgendwo da unter dem Netz wird wahrscheinlich ein Ballast liegen. Da gehe ich fast jede Wette ein.“

      Maat Schortens machte sich sogleich an dem Netzhaufen zu schaffen, in dessen Wirren das andere Ende des Seils verschwand. Enno stand noch immer wie angewurzelt auf dem Deck und machte keinerlei Anstalten Schortens zu helfen. Plötzlich glitt Schortens auf einem der herumzappelnden Fische aus und landete, beim Versuch sich abzustützen, direkt mit seiner linken Hand auf dem aufgedunsenen Gesicht des Toten.

      „So ein Schiet aber auch!“, fluchte er.

      „Ich würde ihn an deiner Stelle jedenfalls nicht gleich umarmen.“ Enno sagte dies nicht ganz ohne ironischen Unterton. „Schon mal was von Leichengift gehört?“

      Ihm missfiel diese ganze Angelegenheit. Hauke jedoch scherte sich einen Dreck darum. Im nächsten Augenblick zog er bereits einen Rocna-Anker aus glänzendem Edelstahl aus dem Netzhaufen hervor, der tatsächlich mit dem anderen Ende des Polyesterseils verbunden war. Es war keiner der üblichen und billigen Schlickrutscher, sondern eher einer von der Bauart, die jetzt in Mode kamen. Das Ding wog an die 25 Kilo und musste mehr als 3.000 Euro gekostet haben. Hauke kannte sich in diesen Dingen sehr gut aus. Nun hielt er stolz seine Entdeckung wie eine Trophäe in die Luft.

      „Das erklärt ja wohl alles! – Oder?“

      „Was für ein Scheißtag heute“, knurrte Enno wütend. Hauke war jetzt aber nicht zu bremsen: „He! Du kannst recht haben, Enno. Ich meine, dass was du eben über die neureichen Yuppies gesagt hast. Sieh mal, an seinem Handgelenk die Uhr. Das ist bestimmt nicht so ein billiges Ding von Woolworth. Schade nur, dass das Glas kaputt ist.“

      Enno wendete sich angeekelt ab und eilte schnurstracks in Richtung Führerhaus. Er atmete durch, um sich wieder zu fangen und sich einen Moment zum Nachdenken zu geben. Dann stand sein Entschluss fest: „Ich muss die Küstenwache verständigen, Hauke! Sofort!“

      Maat Schortens ließ enttäuscht den blanken Anker auf Deck sinken. Kurz darauf breitete sich über dem Krabbenkutter eine kleine, schwarze Abgaswolke aus. Der Dieselmotor begann lautstark zu tuckern und der Kutter nahm langsam Fahrt auf. Die einsetzende Ebbe und das heranziehende Gewitter ermahnten die beiden Fischer zur Eile, wenn sie noch rechtzeitig ihren kleinen Heimathafen erreichen wollten.

      Ein immer dichter werdender Schwarm fressgieriger Möwen umkreiste das Schiff. Die gefangenen Fische und Krabben konnte Maat Schortens nur noch ins Meer zurückkippen. Sollten wenigstens die Vögel was davon haben.

      Kapitel 2

      Etwa zur gleichen Stunde dieses hochsommerlichen Julitages stand Robert Rieken in Gummistiefeln und einer nagelneuen Anglerkluft am Leib auf dem schmalen Holzsteg am Ufer eines kleinen Binnensees, der idyllisch zwischen Wiesen und Wäldern eingebettet lag. Ein geschäftstüchtiger Grundstückspächter war auf die Idee gekommen, aus diesem etwa 70.000 qm großen Wasserareal ein gewerblich attraktives, kleines, aber feines Anglerparadies zu schaffen. Robert war schon oft an dem Werbeschild des Betreibers vorübergefahren. Jedes Mal nahm er sich vor, sein nächstes freies Wochenende dafür zu nutzen, um diesem Anglerparadies einen Besuch abzustatten. Aber immer wieder war irgendwas dazwischen gekommen. Allerdings waren seine freien Tage in letzter Zeit ziemlich rar geworden. Genaugenommen war dieses Wochenende das erste Dienstfreie, seit seinem persönlichen Rückversetzungsantrag, der vor etwa sechs Monaten stattgegeben wurde. Jetzt war er als Beamter bei der Oldenburger Kripo einem neuen Dienstherrn unterstellt und dieser sorgte dafür, dass Robert alle Hände voll zu tun bekam, denn auch in seiner ehemaligen und zugleich neuen Dienststelle herrschte akuter Personalnotstand. Er genoss diese Arbeit, auch wenn er sich in letzter Zeit mehr auf die administrativen Dinge konzentrieren musste, als auf sein eigentliches Element - die Ermittlungsarbeit.

      Vor etlichen Jahren begann seine Beamtenlaufbahn hier bei der Oldenburger Polizei, doch irgendwann hielt er den eintönigen Alltag nicht mehr aus. Es zog ihn vielmehr in die Großstädte, denn er wollte beruflich etwas erreichen. Etwas, das ihm damals in dieser verschlafenen Stadt, in der scheinbar jeder jeden kannte, nicht möglich erschien, und von dem er selbst nicht mal genau wusste, was es eigentlich war. Doch als er wenig später in der Großstadt Berlin, die erst kurz zuvor wieder vereint worden war, als ganz gewöhnlicher Streifenpolizist seinen Dienst antrat, zerplatzte sehr schnell seine Vorstellung von einer gerechteren Welt. Auch in den Großstädten wurde nur mit Wasser gekocht und es gab, wie überall, gute und auch schlechte Bullen. Vor allem aber ging es dort wesentlich härter zur Sache, und zwar auf beiden Seiten des Gesetzes. Es herrschte ein ungeheurer Druck, dem jeder Polizist tagtäglich ausgesetzt war.

      Robert stammte ursprünglich hier aus dieser Gegend. Jetzt war er nach über zwei Jahrzehnten wieder in die ihm vertraute Landschaft seiner Kindheit und Jugendzeit zurückgekehrt. »Back to the roots«, wie er es nannte. Eigentlich wollte er durch seine Rückversetzung nach Oldenburg nur eines erreichen: lieber Fahrraddieben das Handwerk legen, als weiter brutale und kaltblütige Gewaltverbrechen aufklären zu müssen. Irgendwann war das Maß einfach voll gewesen. Mit Raub, Erpressung, Mord und Totschlag wollte er nichts mehr zu tun haben, denn die meisten seiner Dienstjahre hatte er als Ermittler und Profiler in den härtesten Revieren des Landes zugebracht.

      Er war jetzt Mitte fünfzig und das jahrzehntelange Stadtleben hatte aus ihm mehr und mehr einen Einzelgänger gemacht.

      Sein einst durchtrainierter Körper war in den vergangenen Jahren etwas aus dem Leim gegangen, aber er hielt ihn dennoch einigermaßen fit. Das funktionierte auch ohne großen Muckibudenzauber oder Polizeisportgruppenstumpfsinn. Er fuhr, so oft es ging, mit dem Fahrrad und fand sich selbst nach wie vor annehmbar. Im Laufe der letzten Jahre war die Bundweite seiner Jeans zwar ein paar Nummern größer geworden, aber auf seine seelische Verfassung hatte dieser Umstand keinerlei Auswirkungen.

      Eine andere Begleiterscheinung des unvermeidlichen Alterns löste er auch auf seine eigene Art. Um dem langsam, aber unaufhaltsam fortschreitenden Haarausfall zuvorzukommen, entschloss er sich kurzerhand, der immer dünner werdenden, zuletzt ganz spärlichen, langen Haartracht ein Ende zu bereiten. Robert rasierte sich den Schädel glatt und damit war für ihn dieses Kapitel abgeschlossen. Anfangs erschien ihm der radikale Kahlschlag zwar noch gewöhnungsbedürftig, aber schon nach einigen Wochen hatte sich das gelegt. Jetzt war er sogar froh darüber, weil er sich so das morgendliche Betrachten seines Antlitzes im Badezimmerspiegel ersparen konnte. „Was vorbei ist, ist nun mal vorbei. Also was soll´s?“, sagte er zu sich selbst, als er seine abgeschnittenen langen Haare auf den Fliesen des Badezimmers zusammenkehrte und in einen Abfalleimer warf. Um sich vor zu starker Sonneneinstrahlung zu schützen, trug er stattdessen neuerdings einen ziemlich zerbeulten, aus naturfarbigem Bast geflochtenen Sommerhut. Nicht so ein albernes Model, das stets den Eindruck erweckt, als würde jemand versuchen, seine stark ausgewölbte Neandertalerstirn zu verbergen, sondern einen ähnlichen Hut, wie ihn manchmal auch Neil Young trägt. Diese momentan aus der Mode gekommene Kopfbedeckung gehörte schnell zu seinem neuen Markenzeichen, genau wie die graumelierten 8-Tage-Bart-Stoppeln, die wie eine Feile kratzen konnten.

      Robert empfand sich selbst als eine Art Rhythm & Blues-Veteran; und wäre er damals nicht bei den Bullen gelandet, hätte aus ihm vielleicht sogar ein anständiger Gitarrist werden können. Er besaß noch immer seine alte Flying V. Ein wahres Prachtexemplar des legendären Gitarrenbauers Gibson, das einst auch schon Jimi Hendrix gern mal malträtierte oder gar auf seinen Bühnenshows in Kleinholz verwandelt hatte. Leider stand die Gibson schon lange nur noch in einer Zimmerecke herum. Und es war auch schon lange her, dass sie mit dem Hughes & Kettner-Verstärker eine elektrisch-knisternde erotische Verbindung eingegangen ist. Roberts Finger waren nicht mehr so flink wie früher, vor allem aber fehlte es ihm an der notwendigen Zeit und Ruhe fürs Spielen. Darum standen beide Gegenstände mehr zu Dekorationszwecken in seiner Wohnung, was er sehr bedauerte. Aber allein schon die Anwesenheit des Instruments und des Gitarrenverstärkers erzeugte in ihm ein angenehmes Gefühl von Geborgenheit.

      Warum er jetzt hier auf dem hölzernen Anglersteg stand, konnte er sich eigentlich selbst nicht ganz erklären. Schuld daran waren die Zeitschriften des Lesezirkels im

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