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EHER LERCHENJUBEL ALS UNKENRUF. Harald Kanthack
Читать онлайн.Название EHER LERCHENJUBEL ALS UNKENRUF
Год выпуска 0
isbn 9783844266870
Автор произведения Harald Kanthack
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Die Wirkung der Dombauten ist mittlerweile durch die der Wolkenkratzer ersetzt, wenn nicht übertroffen worden. Ein Ismus verdrängt den anderen, der Kapitalismus den Katholizismus. Ersterer sieht in der Menschheit Kundschaft, letzterer ebenso. Und vor allem: hoch hinaus; so hoch wie möglich. Wer schafft den höchsten Turm für eitle Gottesoder eitle Mammondiener? „Man hätte antike Tempel nicht so hoch bauen können.“ Von wegen, lange vor denen entstanden die Pyramidenbauten in Ägypten. Dass mit steigender Höhe der Gebäude die Moral sinkt, ist übrigens schon früh bemerkt worden.
Wer einen Tempel der Antike und gleichzeitig einen christlichen Dom erleben, wer die Vergewaltigung der Götter durch den einen neuen nachempfinden möchte, möge den Dom von Syrakus betreten, worin er auf die Säulen des Athenatempels (5.Jh. v.Chr.) trifft, deren Zwischenräume zwecks Umwidmung des Tempels zu einem christlichen Gotteshaus vermauert wurden. Man spürt hier förmlich, wie der freie Geist der Antike eingemauert worden ist: statt ehemals lichter Weite nun eine dunkle Klause. Sehr stimmig wurde die Mondrakete nicht nach einem christlichen Heiligen sondern nach einem griechischen Gott, Apollon, benannt.
Der kritische Hinweis auf das menschenverachtende Gesellschaftssystem unter den alten Göttern ist leicht zu entkräften durch die Gräueltaten, die nach dem Zusammenbruch des alten Systems einsetzten und bis heute anhalten. Könnte man die Zahl der pro Kopf der Bevölkerung durch Gewalt Umgekommenen für die Antike und die Zeit danach ermitteln, wäre das Ergebnis vermutlich sehr schmeichelhaft für den Zeitabschnitt, der mit dem Aufkommen des Christentums endete.
„ Und die im Zirkus zur Befriedigung der Sensationslust und anderer Triebe Getöteten?“ Die Flächenbombardements bevölkerungsreicher Gebiete wurden bisher alle von Menschen geplant und durchgeführt, die christlich getauft waren. Außerdem, hätte man in der Antike schon die Möglichkeit des Fernsehens gehabt, hätte man sich wie heute das Töten bequem zu Hause angeschaut.
„Und die Sklavenhaltung?“ Wurde fortgesetzt bis ins späte 19.Jahrhundert. In Brasilien wurde sie erst durch ein Gesetz vom 13.Mai 1888 für abgeschafft erklärt. Der Sklave bekam im übrigen für seine Arbeit eine Behausung und Nahrung. Genau so wie der spätere Arbeiter, der sich aber darum selbst kümmern musste vermittels ausgehändigter Gut(Geld)scheine. Und sah sich der Sklave der Pflicht zur Arbeit ausgeliefert, erlebte diese Pflicht mit der Zeit eine merkwürdige Metamorphose. Sie wurde zu einem Recht auf Arbeit, das gar der Arbeiter selbst einfordert. Auf Gottes fluchende Worte, mit denen er Adam aus dem arbeitslosen Paradies vertrieb („Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.“), würde der moderne Arbeiter geantwortet haben: „Ich esse mein Brot im Schweiße meines Angesichts nicht nur gern, sondern ich habe darauf sogar ein Recht.“ Da hätte der Fluchende aber dumm geguckt, ist man fast verleitet zu sagen.
Das moderne Denken erreicht hier eine Perversion, die uns dem Ameisenstaat mit schnellen Schritten näher bringt (wo dann die einen arbeiten, die anderen sich fortpflanzen). Ehedem konnte sich einer im Paradiese fühlen, der, ohne arbeiten zu müssen, weder verdurstete, noch verhungerte, noch fror, noch hinter Gittern lebte. Demzufolge die heutigen Arbeitslosen im Garten Eden weilen. Sie wissen es nur nicht. Sie stehen keineswegs im Kampf ums Dasein auf verlorenem Posten. In diesem Kampf sind sie bestens aufgestellt. Ums Dasein geht es jedoch schon längst nicht mehr. Worum sie kämpfen, ist nicht ihr Dasein, sie kämpfen um ihren Aufstieg, und zwar um den sozialen Aufstieg. Ginge es um den bei weitem wertvolleren Aufstieg in eine höhere Bewusstseinssphäre, hätten sie dafür die besten Voraussetzungen, nämlich ausreichend Muße. Auf der neuen Bewusstseinsebene würde Arbeitslosigkeit dann als Erleichterung empfunden werden.
Und noch etwas: all den überflüssigen Schnickschnack, von dem verschont zu werden der Einsichtige erforderlichenfalls einen Preis bezahlen würde, den können sich die Arbeitslosen nicht kaufen. Der bleibt ihnen erspart. Wahrscheinlich aber nicht die Langeweile. Hierin wird wohl das eigentliche unlösbare Problem liegen. „Menschen mit Phantasie langweilen sich nie,“ heißt es. Die ist aber angeboren. „Kann jedoch entwickelt werden!“ Zweifellos – so sie denn vorhanden ist. So verhält es sich auch mit der Fähigkeit, den Wert der Dinge zu erkennen.
Wer nun einwendet, allgemeine Akzeptanz der Arbeitslosigkeit
würde das Heer der Arbeitslosen gewaltig vergrößern, weil nun die Schmach von dem Zustand der Arbeitslosigkeit genommen sei, und die Versorgung dieses Heeres würde durch die wenigen noch Arbeitenden endlich nicht mehr gewährleistet sein, außerdem, die Deutschen arbeiteten doch gerne, weswegen sie ja auch im Ausland so unbeliebt seien, der sei auf folgende Lösungsmöglichkeit verwiesen: Nur den Deutschen sollten die immer weniger werdenden Arbeitsplätze zugeteilt werden unter der Bedingung, die Früchte ihrer Arbeit mit den arbeitslosen Völkern zu teilen. Dann wäre allen geholfen, wir auch etwas besser angeschrieben in der Welt. Bestrebungen in diese Richtung, von höchster Stelle unterstützt, sind ja auch schon zu beobachten.
Warum wir so einen gesteigerten Wert darauf legen, dem Ausland zu gefallen, lässt sich wohl kaum damit erklären, dass wir eine Exportnation sind. Waren werden gekauft, sofern sie was taugen, nicht deshalb, weil ihre Hersteller sich allgemeiner Beliebtheit erfreuen. Eher wird man den Grund für unsere notorische Gefallsucht in der geographischen Lage unseres Landes zu suchen haben. Kein Staat mit ähnlich geringen Ausmaßen grenzt an so viele Nachbarstaaten (9) wie Deutschland. England z.B. kümmert sich wenig darum, der Welt zu gefallen. Weil es gar keine Nachbarn hat, sondern rundum vom Meer geschützt wird.
Ob die despektierliche Entthronung der Götter der Antike gar der Grund für die heutige Misere der Menschheit ist, die darin liegt, dass, obwohl es allen besser geht als je zuvor, die Lebensfreude dennoch nicht gewachsen ist? Das Christentum hat die Zeit vor seinem Auftauchen pauschal verteufelt, ohne die geringste Achtung dem Glauben der eigenen Ahnen entgegenzubringen. So etwas rächt sich eben.
Hören wir Goethe, dessen Gedichte oft mehr Entdeckung als Schöpfung sind :
„Und der alten Götter bunt Gewimmel
hat sogleich das stille Haus geleert,
unsichtbar wird einer nur im Himmel,
und ein Heiland wird am Kreuz verehrt.
Opfer fallen hier,
weder Lamm noch Stier,
aber Menschenopfer unerhört.“
„Die Rache ist mein“, spricht der Herr. Warum sollen die alten Gottheiten nicht sprechen: „Die Rache ist unser“? Eine Frage, für die allein man noch vor zehn Generationen in Eisen gelegt worden wäre. Sie ist aber damals, so weit überliefert, nicht gestellt worden. So wenig wie die, ob man die alten Götter zur Rückkehr bewegen könnte.
Nachdem man die Anzahl der Götter auf einen reduziert hatte, der damit zur einsamsten Person, die man sich überhaupt vorstellen kann, verdammt wurde, verbannte man den Einsamen auch noch aus der Welt (dem Universum) nach einem nicht existenten Ort. Wäre dieser nämlich existent, gehörte er dem Universum an. Infolge Leid so eine herausragende Rolle in der neuen Religion spielt.
Eines der Grimmschen Märchen ( 'Der Arme und der Reiche') beginnt: „Vor alten Zeiten, als der liebe Gott noch selber auf Erden unter den Menschen wandelte, trug es sich zu, dass er eines Abends müde war und ihn die Nacht überfiel, eh' er zu einer Herberge kommen konnte.“ Eine Situation, die auch Goethe in seinem herzbewegenden Gedicht 'Der Gott und die Bajadere' , einer indischen Legende, schildert.
Da dieser eine Gott nun all die Macht der vorherigen Götter in sich konzentriert, dazu noch die, etwas aus nichts herstellen zu können, wozu keiner der abgesetzten Götter in der Lage war, ist dieser neue Gott so gewaltig, dass so mancher bescheidene Mensch sich direkt an ihn zu wenden gar nicht traut. Der Abstand ist zu groß geworden. Früh schon