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      »Bitte schön, Afrim«, sagt sie höflich und stolpert erschrocken zurück, da die Flamme sich plötzlich keuchend vor ihr aufbäumt und zu einer großen, fast menschlichen Gestalt formt! Afrim glüht blutrot und gibt eine schier unerträgliche Hitze frei. Sie weicht zurück und kann sich gerade noch an der Kochinsel abfangen, bevor sie stürzt.

      Waren alle Bewohner und Geschöpfe dieses Hauses bis jetzt kauzig, niedlich oder freundlich, so macht ihr dieser Dämon große Angst. Es ist nicht sein Äußeres oder die Gier, mit der er sich auf das Papier gestürzt hat. Es sind die Geräusche, die er dabei von sich gibt. Irgendetwas Unheimliches blitzt in ihr auf. So etwas wie eine unangenehme Erinnerung, die sie abgespalten hat und die nun mit aller Macht versucht, wieder sichtbar zu werden. Aber wirklich einordnen kann sie diese Empfindung nicht. Zudem ist da noch dieser furchtbare Gestank. Er ist schwer und dringt nicht durch die Nase, sondern direkt durch den Mund in ihren Körper, sodass sie ihn als Erstes schmecken muss. Schwefel, Aas, Fäulnis, es ist ein stechend böser Geruch und ein noch ekelhafterer Geschmack! Zum ersten Mal bekommt sie zu spüren, dass sie sich im Haus einer bösen Hexe befindet. Voller Abscheu starrt sie auf den Dämon, der unter der Asche gierig nach Resten sucht und dabei unablässig stöhnt.

      »Ekelerregend«, denkt sie und wendet sich ab.

      »Ich werde jetzt zu Bett gehen, da ich morgen früh pünktlich beim Frühstück sein will. Danke für deinen Notruf, Lincoln! Du hast mir echt den Abend gerettet. Morgen packst du deine Klamotten und ziehst bei mir ein!«

      Sie zwinkert in Richtung der beiden Hinterläufe und geht hinauf in ihr Zimmer. Eilig verschließt sie die Tür und rennt ins Badezimmer. Sie schrubbt sich intensiv die Zähne, weil sie hofft, so diesen widerlichen Geschmack loszuwerden und gurgelt anschließend mehrmals ausgiebig. Nach einer sorgfältigen Nasenspülung, legt sie sich erschöpft ins Bett und dieses Mal lässt sie das Nachtlicht an.

      Kapitel 6

      Plötzlich Prinzessin!

      Ein monotones, quietschendes Schleifgeräusch weckt J.J. unsanft auf. Sie schreckt hoch und sieht sich verwirrt um.

      »Das Apartment ist noch da! Ich habe immer noch Halsschmerzen und Kopfweh und meine Großmutter ist wirklich eine dunkle Hexe. Aber das weiß niemand von meinen Freunden!«

      Sie schlägt die Decke beiseite und entdeckt dabei am Fußende ihres Bettes eine rote Satindecke, die gestern Abend noch nicht da lag. Vorsichtig schleicht sie um ihr Bett, vor dem nun ein königliches, blaues Hundekörbchen steht, das von zahlreichen Beschäftigungsartikeln für Vierbeiner umzingelt wird. Als der lästige Quietschton ihr erneut die Haare zu Berge stehenlässt, starrt sie auf die Zimmertür, die sich jetzt nach innen aufschiebt. Lincoln kommt rückwärts hineingekrochen und zerrt einen riesigen Knochen hinter sich.

      »Guten Morgen, Lincoln. Wie ich sehe, verschwendest du keine Zeit. Ein wunderschönes Körbchen hast du da. Wo hast du eigentlich die letzten Jahre gewohnt?«

      Sie setzt sich im Schneidersitz neben das Hundekörbchen und wartet auf eine Antwort. Der Halbtagshund schleckt sich vor Aufregung die Nase.

      »Ich habe mir mit Diggler ein Zimmer geteilt. Weißt du, er ist mein bester Freund. Aber mit seinem Mondgeheul und Transformationsgeschichten macht er mich einfach wahnsinnig! Als du damals plötzlich weg warst und das Haus dein Zimmer versperrte, war Diggler jedoch der Einzige, der mich aufgenommen und ohne zu zögern die Hälfte seines Zimmers angeboten hat. Ich war ja plötzlich obdachlos! Hör mal J.J., Broaf hat das Frühstück fertig. Wollen wir hinuntergehen? Ich habe großen Hunger.«

      J.J. krault den kleinen Mops noch einen Moment und dann gehen beide vergnügt hinab in die Küche. Die Eckbank, die sie heute Nacht noch für sich alleine hatte, ist nun vollständig besetzt. Sie gibt ihrer Großmutter ein Küsschen auf die Wange und haucht Broaf einen Luftkuss zu. Anschließend setzt sie sich neben die Schneefrau Yeta an den üppig gedeckten Tisch.

      »Ich werde hier mindestens zwanzig Pfund zunehmen«, denkt sie laut und schnappt sich im selben Augenblick einen köstlichen Pfannkuchen.

      »Oh, übrigens wusste ich nicht, ob es für das Frühstück einen Dresscode gibt. Ich meine, wenn es jemanden stören sollte, dass ich im Pyjama herumlaufe, gehe ich natürlich sofort nach oben und ziehe mich an. Ich wusste nur nicht, ob ich mich vielleicht noch einmal hinlege. Ich habe nämlich furchtbare Halsschmerzen!«

      Oma Vettel läuft beunruhigt zu ihrer Enkelin und fordert sie auf, den Mund zu öffnen. J.J. streckt die Zunge heraus und krächzt ein lautes »Aaaah«.

      »Oh je, das sieht gar nicht gut aus! Deine Mandeln sind ganz rot. Wahrscheinlich von dem Flug. Du warst früher schon so empfindlich. Wie konnte ich das nur vergessen? Nach dem Frühstück bleibst du gleich hier, damit ich dir einen Kräutertee aufbrühen kann!«, sagt sie besorgt und fasst ihr an die Stirn.

      »Fieber hast du nicht. Das ist schon mal gut. Du frühstückst jetzt und anschließend verarzten wir dich richtig!«

      J.J. zieht eine Schnute und verdreht die Augen.

      »Kräutertee? Kannst du die Schmerzen nicht einfach weghexen?«, fragt sie beleidigt und sieht ihre Großmutter mit großen Augen an.

      Vettel, die gerade einen Schluck Tee trinkt, hält inne und sieht sie brüskiert an.

      »Meine liebe Jezabel. Es gibt wahrscheinlich für alles einen Zauber. Höchstwahrscheinlich sogar einen, der dir die Fingernägel sauber macht! Allerdings wäre das Leben auch für uns Hexen sehr langweilig, wenn wir alles nur mit Magie erledigen würden! Außerdem möchte ich dich daran erinnern, dass du die Hexerei eigentlich ablehnst! Ich denke also, dass dir nichts anderes übrig bleiben wird, als meinen berühmt berüchtigten Kräutertee zu trinken!«

      Die übrigen Bewohner am Tisch nicken Oma Vettel zustimmend zu, während J.J. mit einem leicht verbitterten Gesichtsausdruck in ihren Pfannkuchen beißt. Am Tisch sitzen viele ihrer nächtlichen Retter und noch ein paar andere Wesen, die sie noch nicht kennt. Alle reden durcheinander und besprechen den Plan für den heutigen Tag. So wie J.J. es versteht, hat jeder eine feste Aufgabe und die Außergewöhnlichen teilen sie beim Frühstück untereinander auf. Lincoln hatte recht. Heute Abend gibt Oma Vettel ein großes Dinner, zu dem auch Gäste von außerhalb geladen sind. Deshalb möchte sie, dass alles perfekt ist, und hat sich für ein karibisches Flair entschieden.

      »Wie wäre es mit einem Picknick auf Sandbänken?«, fragt Henry McMuffel konzentriert.

      Der Geisterfrosch sitzt vor seinem Block und macht sich unentwegt Notizen.

      »Nein, Henry. Das hatten wir schon einmal. Ich musste die ganze Zeit auf Sandkörnern herumkauen und hatte danach keinen Belag mehr auf der Zunge. Ich möchte mein Essen genießen und bequem sitzen können. Ich bin leider keine dreißig Jahre mehr!«

      J.J. verfolgt aufmerksam das Geschehen und möchte sich gern mit einbringen.

      »Darf ich bei der Dekoration helfen? Ich bin wirklich gut, denke ich. Außerdem will ich nicht nur herumsitzen und nichts tun.«

      Mit einem Schlag herrscht Stille, während die Anwesenden sie merkwürdig anstarren.

      Oma Vettel ist die Erste, die reagiert.

      »Natürlich nicht! Es ist ein Abendessen zu Ehren deiner Heimkehr. Da kommen auch etliche Bewohner aus dem Zauberreich, die dich unbedingt kennenlernen möchten. Du solltest auch erst einmal gesund werden. Außerdem wollten wir uns noch das Haus ansehen und ein wenig über das Vergangene sprechen. Henry macht das hervorragend und ich bin mir sicher, dass er das alleine schaffen wird!«

      Die alte Dame stupst den halbdurchsichtigen Frosch auf die Nase, der vor Verlegenheit ganz durchsichtig wird.

      J.J. beobachtet das Treiben und legt ihren Löffel enttäuscht beiseite. Sie versucht sich zu beruhigen, aber es nicht ihre Art, Ärger einfach hinunterzuschlucken. Deshalb räuspert sie sich laut und sieht forsch durch die Runde.

      »Ich habe bis vor drei Tagen nicht einmal gewusst, dass ich noch eine Großmutter habe, die in Havelock

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