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anderen dich ärgern, sag mir Bescheid!«

      Diggler gibt einen glucksenden Laut von sich und grinst so breit, dass sie seine Zähne zählen kann. Lincoln, der alles mit anhörte, verdreht genervt die Augen und streckt seinem Freund die Zunge raus. J.J. sieht derweil gedankenversunken durch den Raum.

      »Merkwürdig. Vor ein paar Tagen habe ich mich noch über ein fliegendes Tablett aufgeregt und jetzt bin ich auf einem Besen zu diesem wundersamen Haus geflogen, wo ich mit einem halben Hund, einem Werschwein, einem Geisterfrosch, sprechenden Blumen und einer Schneefrau an einer prächtig geschmückten Tafel sitze und Kuchen esse. Ich kann mit diesen seltsamen Wesen sprechen und habe einem Schwein mit einem Klecks Sahne auf der Nase die Beichte abgenommen! Nicht zu vergessen: Meine Großmutter ist eine böse, dunkle Hexe! Dennoch fühle ich mich wohl und kann mich nach und nach an alles erinnern. Aber irgendwie ist das alles nicht wirklich real. Eher wie ein Tagtraum. Vielleicht habe ich hohes Fieber und liege in Marton im Bett und halluziniere? Ich habe schon Angst davor, dass ich morgen früh aufwache und wieder im Internat bin.«

      Ein Luftballon zerplatzt direkt über ihrem Kopf und reißt J.J. damit grob aus ihren Gedanken. Sie schüttelt sich kurz und sieht zu ihrer Großmutter, die sie unsicher anlächelt.

      »Alles in Ordnung, Liebes? Möchtest du noch einen Pfannkuchen oder Orangenlimonade?«

      J.J. schüttelt den Kopf und bittet Flick, sie hinüberzubringen.

      »Großmutter, ich bin doch ganz schön fertig. Würdest du mich zu meinem Zimmer bringen? Ich würde mich nämlich gern etwas frisch machen«, flüstert sie Oma Vettel ins Ohr, die daraufhin sofort hochschnellt.

      Als die anderen Gäste spontan das Gleiche tun, macht J.J. eine besänftigende Handbewegung, das sie sich wieder hinsetzen sollen. Dieser Trubel um ihre Person ist neu für sie und macht sie ganz verlegen.

      »Danke für die tolle Begrüßung! Ich möchte mich jetzt ein bisschen ausruhen. Wir sehen uns morgen früh und dann erzählen wir uns alles«, ruft J.J. und winkt noch einmal fröhlich in die Runde, bevor sie vorsichtig von Flick herabsteigt.

      »Danke, Flick. Ich bin heute genug geflogen und gehüpft. Ich werde den Rest laufen.«

      Der Teppich zieht sich zurück und legt sich am Ende des Esssalons nieder. J.J. hakt ihre Großmutter unter und geht mit ihr in die Diele.

      »Ich werde dich morgen früh durch das Haus führen. Ich muss mich auch erst einmal umsehen. Es scheint, als ob es sich vor lauter Aufregung gänzlich umgestaltet hätte. Die Tür dahinten war heute Morgen noch nicht da und der Flur war bis zu meiner Abreise königsblau tapeziert. Ich hoffe nur, dass wenigstens unsere Schlafzimmer noch in der zweiten Etage sind und nicht wieder ganz oben. Das hatten wir erst vor zwei Jahren. Da war mein Schlafzimmer plötzlich in der neunten Etage! Aber es gab einen Lift, das war dann schon lustig.«

      J.J. bewundert die Fotos und Porträts, die sich über dem Treppengeländer befinden. Oma Vettel bemerkt ihre Blicke und bleibt mitten auf der Treppe stehen.

      »Das sind unsere Vorfahren. Ganz schön konservativ, nicht wahr! Aber sie gehören zu uns, und ohne sie wären wir nicht das, was wir sind. Das hier ist Sir Arthur William McBeefel, dein Ururururgroßvater oder war es Ururururururugroßvater?«

      Die alte Dame beginnt, mit den Fingern zu zählen, und schüttelt hilflos den Kopf.

      »Ach! Wer weiß das schon so genau? Ich müsste das noch einmal ganz in Ruhe nachzählen. Wichtig ist, dass mit ihm alles anfing! Er hat sich nämlich unsterblich in Yvi Jozlin Vultagi von Winterhardt verliebt und sich auf sie eingelassen. Als er erfuhr, dass sie eine Hexe ist, wollte er die Verbindung sofort lösen, aber da war es schon zu spät! Er musste sie heiraten und in dieser Ehe wurde diese junge Dame geboren. Eliza Gretchen Ufhalis von Winterhardt. Ein Teufelsweib, wie man sich erzählt. Sie hat den größten Teil der mächtigsten Zaubersprüche unserer Familie entdeckt und soll unerbittlich gewesen sein. Sie heiratete einen Mann vom dunklen Phad und sie bekamen einen Sohn Namens Viktor Redgref von Winterhardt. Das war die erste Periode, die unsere Familie ohne Zaubernachkommen ausharren musste. Also lag die ganze Hoffnung auf Viktor. Er heiratete eines Tages die wunderschöne Margret Elaine Shoraia. Meine Großmutter! Sie mussten lange warten, bis sie meine Mutter endlich in ihre Arme schließen konnten. Das ist diese Dame! Josie Elisabetha Darla von Winterhardt, meine Mutter und deine Urgroßmutter.«

      J.J. wird bei den vielen ungewöhnlichen Namen schwindelig.

      »Wieso hießen sie alle von Winterhardt?«, fragt sie verwundert.

      »Oh, das ist einfach so gekommen. Wir sind eine Familie mit adligem Ursprung und der Name hat sich durch den Status immer wieder durchgesetzt. Bis zu deinem Vater.«

      J.J. bemerkt, dass der Blick ihrer Großmutter auf einem kleinen Foto verharrt, dass sie wehmütig betrachtet, während sie sanft darüber streicht. J.J. geht hinüber und starrt auf das Bild, auf dem sie ihre Großmutter erkennt. Bildschön, aber noch sehr jung, steht sie stolz neben einem etwa fünfjährigen Jungen, der auf einer Schaukel sitzt und lacht.

      »Die beiden wirken so glücklich.«

      J.J. wird plötzlich sehr traurig. Sie kann diesen kleinen Jungen zwar nicht mit ihrem Leben in Verbindung bringen, aber sie weiß, dass es ihr Vater ist.

      »Ich weiß überhaupt nicht mehr, wie meine Eltern ausgesehen haben«, flüstert sie betroffen.

      Oma Vettel löst sich aus ihrer Starre und seufzt.

      »Wir haben viel Zeit, um das alles nachzuholen, mein Kind. Aber das schaffen wir nicht an einem einzigen Tag. Das übersteigt selbst meine Kräfte!«

      J.J. fasst ihr leicht an die Schulter und zieht sie weiter. Währenddessen sieht sie das Treppenhaus hinauf und versucht die Anzahl der restlichen Stockwerke zu zählen. Doch das ist unmöglich.

      In der zweiten Etage bleibt Oma Vettel stehen. Der Flur ist nicht ungewöhnlich groß, sondern teilt sich lediglich in eine Tür rechts, eine zur Linken und einer schmalen Tür geradeaus. Wenn man um das Geländer herumgeht, erreicht man schon die nächste Treppe, die weiter nach oben führt.

      J.J. tritt in den Gang und schmunzelt. An der linken Tür befindet sich eine aufdringliche Leuchtreklame, die abwechselnd die Buchstaben »J E Z A B E L« aufblinken lässt.

      »Allmächtiger! Da hol mich doch der schwarze Schatten«, entfährt es Oma Vettel bei dem Anblick. Feierlich stellt sie sich zu J.J. und nimmt sie in den Arm.

      »So oft sich das Haus in den letzten Jahren auch veränderte, dein Zimmer ist immer an derselben Stelle geblieben. So als hätte es gewusst, dass du irgendwann wieder nach Hause kommst. Aber das mit der Leuchtreklame ist neu! Sehen wir lieber schnell nach, was es sich ausgedacht hat!«

      Oma Vettel geht entschlossen auf die Zimmertür zu und öffnet sie, während J.J. noch tief Luft holt. Aber dann siegt die Neugier und sie springt eilig hinterher. Als sie ihr Zimmer betritt, verschlägt es ihr sprichwörtlich die Sprache. Sie steht in einem ausladenden Raum, der in ihrer Lieblingsfarbe Violett gestrichen ist. An der Wand steht ein riesiges Himmelbett, aus verschnörkeltem, weißem Holz, dass von langen Chiffonbahnen gesäumt wird. Am Kopfende türmen ein Dutzend herrlich weicher Kissen, die auf einer geblümten, sehr wertvoll aussehenden Satindecke ruhen. Es ist das einzige Möbelstück in diesem Zimmer, das wie eine Antiquität wirkt. Der Rest ist hochmodern ausgestattet. Vor dem Fenster steht ein großzügiger, geschwungener Schreibtisch mit einer Glasplatte als Schreibfläche, an dem sich ein vollständig eingerichteter Zeichentisch anschließt. J.J. kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie streicht sanft über die Oberfläche und probiert gleich alle Lichtschalter aus.

      »Das ist ja der Hammer! Woher wusstet ihr das?«, fragt sie völlig perplex.

      Oma Vettel setzt sich auf das Bett und seufzt.

      »Das Haus macht, was es will. Ich denke, es hat dein Zimmer so eingerichtet, wie es sich für einen Teenager mit künstlerischer Begabung gehört. Na ja, wenigstens ist das Bett geblieben und die Truhe mit deinen lebendigen Puppen steht auch noch da. Ach, was soll´s? Man soll ja nicht in der Vergangenheit leben. Du bist jetzt ein Teenager und dieses

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