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betrachtet den Stein aus sicherer Entfernung.

      »Es ist doch nur ein schwarzer, runder Stein, der unten abgeflacht ist, damit er nicht wegrollt, wenn ich ihn hinlege. Er schimmert seltsam, sobald ich ihn berühre, und wird warm, je länger ich ihn halte. Aber schwer ist er nicht. Vielleicht ist es ja gar kein Stein?«

      »Also, was hast du gesehen, J.J.?«, fragt Zoé nun deutlicher.

      J.J. setzt sich zu ihr und lässt den Stein nicht aus den Augen.

      »Ich war wieder in dem Garten. Ich kenne ihn, denn ich habe schon oft von diesem Ort geträumt. Ich kann dort alles berühren und es duftet betörend, wie Sommer und Frühling zusammen. Ich kann es nicht anders erklären, aber ich fühle mich dort irgendwie zu Hause. Vielleicht ist das so etwas wie ein Traumfänger? Was denkst du?«

      Zoé dreht sich entsetzt zu ihr um.

      »Was ich denke? Ich denke, dass ich nicht mehr mitkomme! Ich habe nichts Außergewöhnliches bemerkt, als ich ihn angefasst habe! Ich hatte Mühe, ihn von meinem Fuß zu ziehen. Ich kann ihn ja nicht einmal richtig anheben. Das ist ganz schön unheimlich, meine liebe Jezabel!«

      J.J. sieht ihre Freundin brüskiert an und schluckt. Doch dann müssen beide gleichzeitig laut loslachen.

      »Und was machen wir jetzt mit ihm?«, fragt Zoé.

      J.J. zuckt ratlos mit den Schultern.

      »Ich habe keine Ahnung! Versprich mir aber, dass du erst mal mit niemandem darüber redest!«

      Zoé macht ein Schwurzeichen, indem sie den Zeigefinger und Mittelfinger ihrer rechten Hand küsst und auf ihr Herz drückt. J.J. geht zu dem Stein und stülpt die Holzkiste verkehrt herum darüber.

      »Ich mache mir Sorgen wegen dieser Großmutter, Zoé. Ich kann mich nicht an sie erinnern oder wie sie aussieht. Was ist, wenn ich sie nicht mag oder wenn sie mich nicht mag? Ich kann doch nicht fünf Wochen zu jemandem in die Ferien fahren, den ich überhaupt nicht kenne. Welchen Grund gibt es, dass sie gerade jetzt auftaucht? Weißt du was? Ich werde sie mir ansehen und genau ein Wochenende aus reiner Höflichkeit bleiben! Aber die Feiertage verbringe ich hier, bei Menschen, die ich kenne!«

      Zoé humpelt zu ihrer Freundin und nimmt sie in den Arm.

      »Gib ihr eine Chance! Vielleicht ist sie ja ganz nett. Dann hast du wenigstens ein bisschen Familie. Nur sie kann dir erzählen, was mit deinen Eltern passiert ist. Nimm es als einmalige Gelegenheit! Ich hole dich von überall ab. Auch von Havelock!«

      Plötzlich muss J.J. weinen. Zu viele unangenehme Gefühle bedrängen sie. Trauer, Wut, Heimweh, Freude und Verzweiflung.

      »Denk daran, was Pippa immer sagt: Die Welt ist ein magischer Ort und wir sind ihre Feen! Vielleicht findest du etwas sehr Wertvolles wieder. Ich will dann natürlich alles wissen! Wehe, du schreibst mir nicht jeden Tag! Komm, wir gehen hinunter zu Pippa. Sie hat bestimmt einen guten Film und ein paar Chips für uns übrig. Du musst ihr sowieso erzählen, dass du in den Ferien nicht bei ihr bist.«

      J.J. patscht sich an die Stirn.

      »Richtig, Pippa! Die habe ich ja ganz vergessen. Sie wird sich die alte Dame bestimmt sehr genau ansehen wollen. Wenn ihr auch nur ein Haar nicht passt, lässt sie mich sowieso nicht mitfahren. Du hast recht! Gehen wir hinunter. Sie muss sich deinen Fuß mal ansehen.«

      Zoé steht auf und dreht sich auf der Ferse im Kreis.

      »Alles gut! Ich kann ja auf der Hacke laufen und außerdem tut er fast nicht mehr weh!«

      Die Freundinnen nehmen ihre Lieblingsdecken und machen sich auf den Weg in die untere Etage. Dort lebt Pippa mit ihrer Familie in der Hausmeisterwohnung, die über fünf große Zimmer, eine Küche und zwei Bäder verfügt. Die Schüler treffen sich dort oft zu gemütlichen Fernsehabenden oder zum Karten spielen. J.J. drückt auf den Klingelknopf und wartet. Als Pippa ihr die Tür öffnet, will sie ihr wie immer in die Arme springen, aber sie hält inne, als sie bemerkt, dass das Hausmädchen dicke, rot verweinte Augen hat.

      Pippa strengt sich an, ein natürlich wirkendes Lächeln aufzusetzen, was ihr jedoch nicht gelingt. Sie geht zu J.J. und drückt sie fest an sich. Und weil es ihre Art ist, alle Kinder gleich zu halten, nimmt sie Zoé mit dazu.

      »Schön euch zu sehen. Aber kommt doch erstmal herein.«

      Zoé, von der gerade noch die Augen über Pippas Oberarme ragen, nuschelt:

      »Wenn du uns loslässt, wäre das unser Plan gewesen!«

      Pippa lacht auf und entschuldigt sich.

      »Tut mir leid. Ich habe heute einen schwachen Tag. Nun kommt doch endlich herein!«

      Pippas Reich ist das gemütlichste Heim, das J.J. kennt. Zuerst betreten sie die helle Diele, an deren Ende sich die große Küche befindet. Dort sitzen Cassidy und Frida, Pippas Töchter, am Tisch und schnippeln schlecht gelaunt frisches Gemüse. Als sie die beiden entdecken, nicken sie müde und zeigen mit den Köpfen auf die Stühle neben sich.

      Die beiden sind zweieiige Zwillinge und gehen in die 7. Klasse. Außer ihren Eltern haben sie eigentlich nicht viele Gemeinsamkeiten. Cassidy ist groß, blond, schlank und kommt ganz nach ihrem Vater. Sie ist immer freundlich, aber sehr ruhig und hilft lieber im Garten als in der Küche. Frida dagegen ist klein, hat kräftige dunkle Haare und ist wie ihre Mutter etwas fülliger. Sie strahlt den ganzen Tag mit der Sonne um die Wette und hilft sehr gern bei den Hausarbeiten. Pippa betont immer, wie sehr Gott sie doch lieben muss. Sie brauchte nur einmal schwanger zu sein und hat gleich zwei wunderbare Kinder zur Welt gebracht, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Dann drückt sie ihren Töchtern immer einen dicken Schmatzer auf die Stirn.

      Außer ihnen lebt hier noch Backboard, der kleine Dackel. Er ist mittlerweile schon ein Senior und halbblind. Aber er ist der Campushund und alle Schüler lieben ihn. Schließlich gibt es da noch Fred, Pippas Ehemann, der gleichzeitig Hausmeister und Gärtner des Campus ist. Er ist das ganze Gegenteil von Pippa. Groß, schlank, blond und raucht für sein Leben gerne Zigarren. Mrs. Rogan schimpft immer wie ein Rohrspatz, wenn sie ihn dabei erwischt. Aber Fred ist ein fröhlicher Mensch und läuft stets pfeifend oder summend über den Hof. Jetzt sitzt er im Wohnzimmer und versucht einen großen Berg Weihnachtslichterketten zu entknoten. Zoé und J.J. winken ihm zu und gehen zurück in die Küche, wo Pippa gerade Limonade einschenkt.

      »Kommt schon her. Wir kochen ein Gemüsechili und danach gibt es selbstgemachte Chips. Wenn ihr Lust habt, könnt ihr den beiden Mädchen helfen!«

      Sie setzen sich und helfen Frida und Cassidy beim Gemüseschneiden. Frida fixiert J.J. eine Weile, bis es plötzlich aus ihr herausplatzt:

      »Du verbringst die Ferien also nicht bei uns? Das ist wirklich schade. Wir haben uns schon so darauf gefreut!«

      J.J. hält inne und sieht verwirrt in die Runde.

      »Woher wisst ihr das? Ich habe den Brief doch erst vor einer Stunde bekommen!«

      Sie legt ihr Messer beiseite und sieht zu Pippa, die mit ihren Augen gerade giftige Pfeile in Fridas Richtung sendet.

      »Du bist ein altes Plappermaul, Frida! Ich habe euch gebeten, dass ihr mich das alleine machen lasst! Ihr seid echt unmöglich!«

      »Ja, das stimmt! Wir sind eben ganz unsere Eltern«, antworten beide Töchter im Chor und lachen los.

      J.J. ist nicht zum Lachen zumute. Sie steht auf und geht zu Pippa.

      »Also, woher weißt du es?«, fragt sie trotzig.

      Pippa eilt zum Küchenschrank und holt einen Brief aus der obersten Schublade. J.J. ist erstaunt, da er genauso aussieht wie der, den sie bekommen hat, nur dass dieser an ihre Ziehmutter gerichtet ist.

      Sehr geehrte Frau Pippa.

      Ich möchte Ihnen von ganzem Herzen danken, dass Sie sich in den letzten Jahren so aufopferungsvoll um meine Enkelin gekümmert haben! Mrs. Rogan hat mir berichtet, dass Sie ihr stets eine gute Freundin waren und sie behütet haben, als wäre sie Ihr eigenes Kind.

      Ich

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