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Du bist böse. Mara Dissen
Читать онлайн.Название Du bist böse
Год выпуска 0
isbn 9783750252332
Автор произведения Mara Dissen
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Sie werden Hilfe brauchen, glauben Sie mir. Das schafft man nicht alleine. Ich habe jedenfalls noch niemanden kennengelernt. Gibt es da jemanden aus Ihrer Familie oder Bekannte, die Ihnen beistehen. Ich habe entnommen, dass Sie nicht davon ausgehen, dass Ihr Mann Ihnen eine Hilfe ist. Außerdem ist Ihr Mann ebenfalls traumatisiert. Vergessen Sie das nicht.“
„Ich habe eine sehr gute Freundin, Elli. Sie war auch gestern hier, zweimal sogar, wie ich gerade erfahren habe. Sie wird mir helfen.“
„Das ist gut. Aber, Frau Stolpe, ich habe auch von professioneller Hilfe gesprochen und da...“
„Ich habe Sie verstanden. Ich habe hier Ihre Broschüre, kann da ja irgendwann eine Nummer anrufen.“
„Es wäre gut, wenn Sie das nicht irgendwann, sondern heute tun könnten. Soll ich das für Sie übernehmen? Und überlegen Sie sich das mit der Entlassung.“
„Bitte gehen Sie jetzt. Danke, und entschuldigen Sie meinen Auftritt von vorhin. Ich bin sonst nicht so.“
Er steht auf, sagt nichts, nickt wiederholt mit dem Kopf und wendet sich zum Gehen.
„Meine Telefonnummer steht auch in der Broschüre.“
Das ist alles, mehr sagt er nicht. Die Tür fällt ins Schloss. Es ist nur noch mein Schluchzen zu hören.
Ich weiß nicht, wie lange ich auf dem Stuhl gesessen habe. Jetzt stehe ich vor dem Spind und lege als Letztes meine Socken in die kleine Reisetasche. Die gute Elli hat mir scheinbar gestern Abend Sachen zum Wechseln gebracht. Mit wenigen Schritten bin ich im Bad und greife nach meinem Kulturbeutel.
„Frau Stolpe, seien Sie doch nicht so unvernünftig. Das ist doch alles noch viel zu viel für Sie.“
Die Stimme dieser Schwester wird für mich so langsam unerträglich. Was will sie jetzt schon wieder in meinem Zimmer. Ich denke, es gibt in Krankenhäusern einen Pflegenotstand. Das scheint für dieses Haus nicht zuzutreffen. Schon wieder bin ich ungerecht. Sie macht sich Sorgen und ist für mich verantwortlich, bekommt Ärger, wenn ich einfach so entschwinde. Schnell verlasse ich das Bad, schiebe mich kommentarlos an ihr vorbei zu meiner Reisetasche, lege den Beutel hinein und schaue mich noch einmal prüfend um.
„Warten Sie bitte. Der Chefarzt ist unterwegs zu Ihnen.“
„Das ist nicht nötig. Ich bin fertig und habe mir schon eine Taxe bestellt. Bestimmt wartet der Fahrer schon vor der Klinik.“
„Wenn Sie unbedingt ohne Okay der Ärzte gehen möchten, müssen Sie mir dieses Formular unterschreiben. Ich brauche Ihre Unterschrift, dass Sie sich auf eigene Verantwortung entlassen. Was ist das denn hier? Eine Bluse.“ Mit spitzen Fingern zieht sie zu meinem Entsetzen mein Kleidungsstück aus dem Mülleimer. „Warum haben Sie die in den Müll geschmissen? Die ist doch sehr schön und...“, bricht sie irritiert ihren Satz ab und starrt auf die riesigen, eingetrockneten Blutflecke auf der Brustseite und an den Ärmeln.
Blitzschnell reiße ich ihr die Bluse aus der Hand, stopfe sie in meine Reisetasche und stürme zur Tür. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich meine Jacke nicht geschlossen habe, und die Schwester fassungslos auf meinen nackten Oberkörper starrt.
„Halt, die Unterschrift.“
Mit zitternden Händen bewege ich den ausgehändigten Stift über das Papier und bringe einen unleserlichen Krakel zustande. Keuchend stehe ich auf dem Flur und halte krampfhaft meine Jacke vor meinem Körper zusammen. Elli, Elli, wie dringend hätte ich auch ein frisches Oberteil gebraucht.
„Frau Stolpe, wie kam das ganze Blut an Ihre Bluse? Wurden Sie gestern schon so eingeliefert? Sie waren doch gar nicht verletzt. Wieso haben Sie…“
Die letzten Worte rauschen an mir vorbei, weg, nur weg. Mein Gott, wie konnte ich nur so unüberlegt, so leichtsinnig, …die Bluse, …das Blut, …einfach in den Müll?
4. Kapitel
Die ersten Sonnenstrahlen haben sich einen Weg durch die dichte Wolkendecke gebahnt. Schnell hat sich die kalte Morgenluft erwärmt. Hanna Butt tritt aus dem Schatten eines großen Ginko Baumes. Sie reibt ihre klammen Handflächen aneinander, öffnet ihren Mantel und dreht ihr Gesicht flüchtig der Sonne entgegen. Mit einem tiefen Seufzer wendet sie sich wieder dem Geschehen auf dem kleinen Spielplatz zu.
Die Mitarbeiter der Spurensicherung haben bereits jeden Zentimeter der trostlosen, eingezäunten Fläche abgesucht, Fotos geschossen und Fundstücke in Asservatenbeuteln verschlossen. Die Kollegen sind ihr seit Jahren bekannt, ihre Arbeitsweise ist ihr vertraut. Sie weiß, dass sie sich stets auf die gelieferten Ergebnisse verlassen kann. Trotzdem schaut sie ihnen gebannt zu und richtet ihr Augenmerk auf einen Beamten, der soeben den Schaukelsitz und seine Aufhängung abmontiert, um beides in einen großen Plastikbehälter zu verpacken. Er spürt ihre Blicke, hebt kurz den Kopf, nickt unmerklich und wendet sich wieder seiner Arbeit zu. Sie entnimmt seiner Reaktion, dass er etwas gefunden hat, etwas, das nicht unbedingt zu der Ausstattung einer Schaukel gehört. Ihr Interesse ist jedoch nicht sonderlich geweckt. Sie weiß aus der eigenen Erfahrung als Mutter, dass an einer Schaukel, Anziehungspunkt für Kinder, Eltern, Freunde, so manches dran kleben bleibt. Der Kollege neben der Schaukel sucht erneut ihren Blickkontakt und wedelt mit der Hand, was Hanna Butt mit einem aufmunternden Lächeln quittiert. Mit seinem Zeigefinger deutet er auf die Sitzfläche der Schaukel. Hanna tritt an die Einzäunung und sieht den großen, schwarzen, scheinbar eingebrannten Fleck mitten auf der Sitzfläche, der für ihren Kollegen von besonderer Bedeutung scheint.
„Was ist das? Na, egal. Ihr nehmt ja sowieso das Brett samt Aufhängung mit. Das Labor wird es schon machen.“
Der Beamte zuckt die Schultern und schließt den Deckel der Kiste. Hanna zieht einen kleinen Notizblock aus der Manteltasche, notiert >Schaukelsitz< und weiß bereits während des Schreibens, dass sie sich eines Ablenkungsmanövers bedient. Für diesen Fleck benötigt sie keine Gedächtnisstütze. Die Analyse wird man ihr unaufgefordert schriftlich auf den Schreibtisch legen. Umständlich schiebt sie den Block wieder in ihre Tasche. Es war nur der Versuch, ein wenig Zeit zu schinden, ein kurzes Aufschieben des Unvermeidbaren. Es ist für sie unausweichlich, sich der großen, dunklen Lache auf den Steinplatten zuzuwenden, einem Fleck, der für sie das ganze Drama, das sich hier abgespielt haben muss, widerspiegelt. Sie schluckt hart und trocken, während sie die schockierenden Bilder verarbeitet, die vor ihrem geistigen Auge, hervorgerufen aus Fantasie und Berufserfahrung, unweigerlich ablaufen.
„Sollen die wirklich den ganzen Garten abgrasen? Reicht nicht nur diese unwirkliche Spielfläche?“
Hanna Butt fährt erschreckt herum und atmet erleichtert auf, als sie sich ihrem jungen Kollegen Ben gegenübersieht. Locker sportlich, vielleicht eine Spur zu lässig cool, mit rutschender, ausgebeulter Jeans und einem ausgeleierten Shirt steht er vor ihr, beäugt sie prüfend und bedenkt sie mit seinem unverwechselbaren, spitzbübischen, jungenhaften Grinsen.
„Komm runter, Hanna.“
Ben arbeitet noch nicht lange mit Hanna Butt zusammen. In der kurzen Zeit hat sie sein Feingespür für menschliche Regungen schätzen gelernt. Von großem Vorteil ist bei Ermittlungen die Diskrepanz seines Auftretens, das von ihm bewusst vorgeführte, mitunter schlampige Outfit und auf der anderen Seite seine Feinfühligkeit. Oft schon wurde er sträflich unterschätzt.
„Alles okay.“ Mit fahrigen Händen wischt sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn und bemüht sich um ein ungezwungenes Lächeln.
„Versuch es erst gar nicht. Kauft dir sowieso keiner ab. Was macht der Staatsanwalt eigentlich hier?“, raunt er ihr mit leicht sarkastischem Unterton zu. „Der kommt doch sonst meist erst, wenn wir schon fertig sind“, unternimmt er keinen Versuch, seine abfällig nach unten verzogenen Mundwinkel zu verbergen.
Hanna schiebt die Unterlippe vor, schubst ihren jungen Kollegen mit dem Ellenbogen in die Seite und schüttelt leicht den Kopf. Sie möchte Ben vor seinem gezielt eingesetzten, respektlosen Verhalten bewahren, wozu er in Gegenwart von Vorgesetzten nur allzu