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wird.“ Mit hochrotem Kopf wendet sich die Schwester zum Gehen, wirft mir noch einen verachtenden Blick zu und zieht die Tür hinter sich geräuschvoll ins Schloss.

      Ich stehe immer noch nackt vor dem Waschbecken und schäme mich. Nicht wegen meiner Blöße, nein, für mein ungebührliches, aufgeblasenes, demütigendes Auftreten. Ich drehe erneut den Hahn auf, lasse das Wasser so lange fließen, bis es mir eiskalt über die Finger läuft. Statt mich zu beruhigen, steigert sich mein Schuldgefühl. Es ist aber nicht nur die eine Schuld, die ich soeben auf mich geladen habe. Ich werde von ganzen Wagenladungen davon erdrückt. Ich ergreife die Waschlotion und setze zögernd einen Fuß in die Dusche.

      „Frau Stolpe ist da drinnen im Bad.“

      „Geht es ihr den Umständen entsprechend besser?“

      „So wie sie sich aufführt, müsste es ihr wieder blendend gehen. Na ja, wahrscheinlich täuscht das nur.“

      „Können Sie sie rausbitten? Ich betrete als Mann ungern die Nasszellen der weiblichen Patienten.“

      „Nein. Dann müssen Sie da heute schon eine Ausnahme machen. Ich gehe da nicht wieder rein und lasse mich anmachen. Außerdem wünscht Frau Stolpe nicht, dass ich das Bad betrete. Sie kommt alleine klar.“

      „Was ist denn passiert? O.K. lassen Sie, ich hole sie da raus.“

      „Ach, gehen Sie zur Seite. Ich mach das doch. Werde ja schließlich auch fürs Hinternabputzen bezahlt. Dann ist das hier doch Zuckerschlecken. Frau Stolpe? Kommen Sie bitte raus. Hier ist jemand, der Sie unbedingt sprechen muss.“

      Die Schläge sind hart, laut, rücksichtslos. Ich nehme an, dass die Schwester mit ihrer Faust gegen die Tür bollert. Die Stimme des Mannes ist mir unbekannt. Jetzt bin ich schon endlos lange in diesem idiotischen Bad und habe es immer noch nicht geschafft, den Gestank von mir zu waschen. Es hilft nichts, ich muss hier raus. Mit fliegenden Händen durchwühle ich meinen Kulturbeutel, den mir Elli scheinbar am Vorabend gebracht hat und finde, was ich suche. Ohne den Finger vom Sprühknopf zu lösen, spraye ich meinen Körper von Kopf bis Fuß mit Deo ein. Schnell ziehe ich das Krankenhausnachthemd über. Mir ist schlecht und leicht schwindelig, aber ich schaffe es bis zur Tür.

      „Frau Stolpe?“, ruft die Schwester erneut meinen Namen, dieses Mal jedoch deutlich beunruhigt.

      Ich werfe einen letzten Blick in den Spiegel. Noch vor wenigen Minuten hat mir das Gesicht einer zutiefst verstörten und verzweifelten Frau entgegengeblickt. Nun sehe ich in weit aufgerissene, dunkel lodernde Augen, erblicke die harten Konturen zusammengepresster Lippen, erkenne in der Kopfhaltung einen Menschen, der zum Handeln bereit ist, erkenne mich. Als ich die Tür öffne, springt die Schwester erschreckt zurück und fährt schützend eine Hand vor ihrem Körper aus. So langsam erhöht sich die Zahl der Menschen, die sich vor mir ängstigen.

      Der Mann, der mit ernstem Lächeln auf mich zukommt und mir die Hand entgegenstreckt, ist mir unbekannt. Er hat ein nichtssagendes Allerweltgesicht. Ich würde ihn auf der Straße nicht wiedererkennen. Vielleicht bin ich ihm ja schon irgendwo begegnet und kann mit ihm heute, hier in meinem Krankenzimmer, wegen seiner Austauschbarkeit nichts anfangen. Ich erwidere den Händedruck, ohne an dem Menschen interessiert zu sein.

      „Guten Morgen, Frau Stolpe. Ich habe gehört, dass es Ihnen heute etwas besser geht. Ich bin Torsten Wetzig und komme vom sozial-psychiatrischen Dienst. Sie haben einen schweren Schicksalsschlag erlitten. Ich würde mich gerne mit Ihnen unterhalten. Ich kann Ihnen vielleicht aufzeigen, wo Sie Hilfe erhalten können. Ich weiß...“

      „Stopp! Sie wissen gar nichts. Ist Ihnen aufgefallen, dass die meisten Ihrer Sätze mit Ich begonnen wurden? Soll das heißen, dass Sie sich in den Mittelpunkt stellen, und ich mich für Sie interessieren soll? Wird nicht passieren. Hören Sie sich meine Satzanfänge an. Ich will mit Ihnen nicht sprechen. Ich brauche keine Hilfe. Ich möchte, dass Sie das Zimmer verlassen.“ Aus den Augenwinkeln sehe ich die Schwester, die mit Kehrblech und Besen zurückgekehrt ist und entgeistert zwischen diesem Wetzig und mir hin und her blickt. „Ich werde mich jetzt anziehen und das Krankenhaus verlassen“, fahre ich wie von Sinnen fort. Das wird es sein. Ich bin verrückt geworden. Der Ausdruck auf den Gesichtern der beiden Menschen in dem Raum bestätigt mir das.

      „Frau Stolpe, bitte. Selbstverständlich müssen Sie mit mir kein Gespräch führen, wenn Sie das nicht möchten. Sie entscheiden das ganz alleine. Aber vielleicht glauben Sie mir, dass es Menschen, die einen schweren Verlust zu verarbeiten haben, schwerfällt, in den ersten Stunden und Tagen, klare Entscheidungen zu treffen. Diese Broschüre lasse ich Ihnen hier. Darin finden Sie auch Telefonnummern von Ansprechpartnern. Haben Sie bemerkt, dass kein einziger Satz von mir mit Ich begonnen hat?“, fügt er seinen Ausführungen mit leicht ironischem Unterton hinzu.

      Ich halte die Broschüre in meiner Hand. Hochglanz, kalt, rutschig, unpersönlich. Wahrscheinlich habe ich sie nur entgegengenommen, weil mir mein Auftritt peinlich ist. Jetzt stehe ich hier rum und weiß nicht, wie ich aus der Nummer wieder rauskomme.

      „Könnten Sie uns bitte alleine lassen, Schwester Elisabeth?“ Er ist nicht schlecht, versteht sein Fach, hat in meinem kurzen, zögerlichen Verhalten sofort seine Chance erkannt. Die Schwester hat in der Zwischenzeit die Scherben aufgefegt, richtet sich mit einem leisen Stöhnen auf und will das Zimmer verlassen.

      „Sie können hier nicht einfach rausmarschieren. Warten Sie wenigstens die Visite ab, die ist bald“, dreht sie sich an der Tür noch einmal um und bedenkt mich mit einem Blick, den ich nur schwer deuten kann. Ablehnung könnte ich verstehen, aber daneben glaube ich, auch etwas wie Mitleid entdeckt zu haben.

      Dieser Mann wartet auf keine Einladung, Platz zu nehmen. Er setzt sich einfach auf den Stuhl neben dem kleinen Tischchen und schweigt. Er lässt mich nicht aus den Augen, reglos, stumm. Unendlich langsam lasse ich mich auf den Stuhl neben ihm sinken. Er hat gewonnen. Sein Räuspern unterbricht die Stille und lässt mich zusammenfahren.

      „Sie wollen heute unbedingt nach Hause?“

      „Ja.“

      „Holt Ihr Mann Sie ab?“

      „Nein.“

      „Weiß Ihr Mann denn, dass Sie sich scheinbar quasi selbst entlassen? So, wie ich das eben mitbekommen habe.“

      „Nein. Er weiß gar nichts. Er war nicht hier. Ich wollte das nicht.“

      „Hm, Sie möchten das nicht. Warum möchten Sie denn nach Hause?“

      „Ich möchte sehen, wo mein Sohn gelegen hat, muss fühlen, dass er nicht mehr da ist. Sein Zimmer leer, kein Lachen, kein Weinen, alles so still. Für immer. Ich muss begreifen. Als ich gestern nach Hause kam, bin ich zusammengebrochen, sofort kollabiert, war in diesen schweren Minuten, Stunden einfach weg, ohne irgendetwas fassen, greifen zu können. Verstehen Sie doch.“

      Mein ganzer Körper wird von dem Weinkrampf erfasst, bebt, zittert, ist außer Kontrolle geraten. Der Mann spricht nicht, nähert sich nicht, sitzt nur da und sieht mir und meinen Qualen zu. Es wäre schön, jetzt jemanden zu spüren, aber wahrscheinlich würde ich ihn wegstoßen. Langsam gelingt es mir, unter großer Konzentration, wieder halbwegs gleichmäßig zu atmen. Der Mann Wetzig lässt mir Zeit.

      „Vielleicht ist das jetzt noch keine gute Idee.“

      „Doch, das muss sein. Ich habe doch überhaupt nichts mitbekommen, liege hier nur rum.“

      Ich bin mir nicht sicher, ob er meine letzten Worte, die ich in mein Taschentuch gesprochen habe, verstanden hat.

      „Sie möchten Ihren Mann nicht sehen, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Aber wenn Sie jetzt nach Hause gehen, werden Sie ihn sehen. Oder ist er nicht da?“

      Er hat mich also genau verstanden.

      „Doch, mein Mann ist da. Aber unser Haus ist groß, und wir können uns aus dem Weg gehen. Außerdem gibt es da etwas, was ich von ihm wissen will, nicht irgendwann, sondern heute.“

      „Hm.

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