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war fest überzeugt, daß er Klement Larsson unten den Leuten finden würde, die sich auf dem Weg in den Wald befanden. Sobald er einen Sennerzug erblickte, ließ er sich hinabsinken und untersuchte ihn mit scharfem Auge. Aber es verging Stunde auf Stunde, ehe er ihn fand.

      Nach vielem Hin- und Herfliegen kam der Adler gegen Abend in eine bergige und einsame Gegend, die östlich von dem großen Haupttal lag. Wieder sah er eine Sennhütte unter sich. Die Leute und das Vieh waren schon angekommen. Die Männer waren damit beschäftigt, Holz zu hauen, und die Mägde molken die Kühe.

      »Sieh doch!« sagte Gorgo. »Ich glaube, jetzt haben wir den Mann!«

      Er ließ sich hinab, und Niels sah zu seiner großen Verwunderung, daß der Adler recht hatte. Da stand wirklich der kleine Klement Larsson und spaltete Holz auf der Wiese.

      Gorgo flog in den dichten Wald, eine Strecke vom Hause entfernt, hinab. »Jetzt habe ich ausgeführt, was ich übernommen hatte,« sagte er und machte eine stolze Bewegung mit dem Kopf. »Nun mußt du sehen, daß du mit dem Manne sprichst. Ich werde mich da oben in den dichten Tannenwipfel setzen und auf dich warten.«

      Auf der Sennhütte war die Arbeit beendet und das Abendbrot gegessen, aber die Leute blieben noch sitzen und plauderten. Es war lange her, seit sie eine Sommernacht im Walde zugebracht hatten, und sie fanden, es sei ein Jammer, sich hinzulegen und zu schlafen. Es war so hell wie am lichten Tage, und die Sennerinnen waren mit ihrer Handarbeit beschäftigt, von Zeit zu Zeit aber sahen sie auf, schauten in den Wald hinein und lächelten still vor sich hin. »Ja, nun sind wir wieder hier,« sagten sie. Das Dorf mit all seiner Unruhe entschwand aus ihrer Erinnerung und der tiefe Friede des Waldes umfing sie. Wenn sie daheim auf dem Hof daran dachten, daß sie den ganzen Sommer hier oben im Walde allein zubringen müßten, konnten sie kaum begreifen, wie sie das aushalten sollten, sobald sie aber in die Sennhütte hinaufgekommen waren, fühlten sie, daß dies ihre allerbeste Zeit war.

      Von den in der Nähe gelegenen Sennhütten waren einige junge Mädchen und Burschen zu Besuch gekommen, so war es denn eine ganz stattliche Anzahl, die sich in dem Gras vor den Hütten gelagert hatte, aber es wollte keine richtige Unterhaltung in Gang kommen. Die Burschen mußten am nächsten Tag wieder in das Dorf hinab, und die Sennerinnen gaben ihnen allerlei kleine Aufträge und schickten Grüße an die zu Hause Gebliebenen durch sie ins Tal hinab. Viel mehr wurde nicht geredet.

      Da sah die Älteste der Sennerinnen von ihrer Arbeit auf und sagte munter: »So still braucht es hier auf der Alm doch heute abend nicht zuzugehen, denn wir haben doch zwei Männer unter uns, die sonst gern etwas erzählen. Der eine ist Klement Larsson, der hier neben mir sitzt, und der andere ist Bernhard von Sunnansee, der da drüben steht und nach dem Blackaasen hinaufsieht. Ich finde wirklich, wir sollten sie bitten, daß uns jeder eine Geschichte erzählt, und wer die schönste erzählt, der soll das Halstuch haben, an dem ich hier stricke.«

      Dieser Vorschlag fand großen Beifall. Die beiden, die miteinander wetteifern sollten, machten natürlich anfangs Einwendungen, fügten sich jedoch bald. Klement schlug vor, daß Bernhard beginnen sollte, und dieser hatte nichts dagegen. Er kannte Klement Larsson kaum, ging aber von der Voraussetzung aus, daß dieser irgendeine alte Geschichte von Gespenstern und Kobolden zum besten geben würde, und da er wußte, daß die Leute dergleichen gern hörten, hielt er es für das klügste, auch so etwas zu wählen.

      »Vor mehreren hundert Jahren,« begann er, »geschah es, daß ein Propst hier in Delsbo in einer Neujahrsnacht mitten durch den dichten Wald ritt. Er saß in seinem Pelz und mit einer Pelzmütze auf seinem Pferd und an dem Sattelknopf hing eine Tasche, in der er die Altargeräte, die Agende und seinen Talar gepackt hatte. Spät am Abend war er zu einem Kranken tief drinnen im Walde geholt worden, und er hatte bis in die Nacht hinein bei ihm gesessen und mit ihm gesprochen. Jetzt befand er sich endlich auf dem Heimwege, aber er fürchtete, daß er erst weit nach Mitternacht den Propsthof wieder erreichen würde.

      Wenn er nun doch einmal die Nacht auf dem Pferderücken zubringen sollte, statt ruhig in seinem Bett zu liegen, so war er wenigstens froh, daß die Nacht nicht gar zu arg war. Es war mildes Wetter und stille Luft bei bedecktem Himmel. Der Vollmond stand groß und rund hinter den Wolken und leuchtete, wenn er selbst auch nicht zu sehen war. Wäre das bißchen Mondschein nicht gewesen, so hätte er den Weg nur schwer von dem Erdboden unterscheiden können, denn es lag kein Schnee und alles hatte dieselbe graubraune Farbe.

      Der Propst ritt in dieser Nacht ein Pferd, auf das er große Stücke hielt. Es war sowohl kräftig als auch ausdauernd und fast so klug wie ein Mensch. So hatte der Propst zum Beispiel wiederholt bemerkt, daß das Pferd von jedem beliebigen Ort in dem weiten Kirchspiel sich wieder nach Hause zurückfinden konnte. Darauf verließ er sich so fest, daß er sich eigentlich nie mehr die Mühe machte, an den Weg zu denken, wenn er dies Pferd ritt. Und so kam er auch jetzt mit schlaff herabhängendem Zügel mitten durch die graue Nacht und den wilden Wald geritten, während seine Gedanken weitab schweiften.

      Während der Propst so dasaß, dachte er an die Predigt, die er am nächsten Tage halten wollte, und noch an mancherlei anderes, und es währte ziemlich lange, bis es ihm einfiel, sich klar darüber zu werden, wie weit es noch bis nach Hause sei. Als er dann schließlich aufsah und gewahrte, daß ihn der Wald noch ebenso dicht umgab wie zu Anfang des Rittes, fing er allmählich an, sich zu verwundern. Er war jetzt so lange unterwegs gewesen, daß er meinte, er müsse den bebauten Teil des Kirchspiels bereits erreicht haben.

      Delsbo sah damals nicht so aus, wie heutzutage. Die Kirche und der Propsthof und alle die großen Höfe und Dörfer lagen in dem nördlichen Teil des Kirchspiels um den Del herum, und im Süden gab es nichts als Berge und Wälder. Als der Propst sah, daß er sich noch in einer unbebauten Gegend befand, wußte er also, daß er in dem südlichen Teil des Kirchspiels war, und daß er, um nach Hause zu gelangen, nach Norden reiten mußte. Aber gerade das schien er nicht zu tun. Da waren weder Mond noch Sterne, nach denen er sich hätte richten können, aber er gehörte zu denen, die den Kompaß im Kopf haben, und er hatte das bestimmte Gefühl, daß er gen Süden oder vielleicht gen Osten reite.

      Er war schon im Begriff, das Pferd zu wenden, aber dann besann er sich. Das Pferd war noch niemals irregegangen und tat es sicher auch jetzt nicht. Viel eher würde er selbst sich geirrt haben. Seine Gedanken waren ja weit abgeschweift, da hatte er des Weges wohl nicht geachtet. Er ließ das Pferd in der bisherigen Richtung weitergehen und versank bald wieder in seine Gedanken.

      Gleich darauf aber traf ihn ein großer Zweig mit einer solchen Gewalt, daß er ihn fast vom Pferde gerissen hätte. Da sah er denn ein, daß er sich klar darüber werden müsse, wohin er geraten war.

      Er guckte auf den Weg hinab und entdeckte, daß er über weichen Moorboden ritt, wo kein getretener Pfad zu entdecken war. Das Pferd ging aber ohne Zögern weiter. Doch so wie vorhin war der Propst auch jetzt überzeugt, daß er die verkehrte Richtung eingeschlagen hatte.

      Diesmal entschloß er sich einzugreifen. Er griff fest in die Zügel, um das Tier zum Umkehren zu zwingen, und es gelang ihm auch, es auf den Weg zurückzutreiben. Kaum jedoch dort angelangt, benutzte das Pferd einen Richtpfad zwischen zwei Bäumen und lief geradeswegs wieder in den Wald hinein.

      Der Propst war so fest überzeugt, daß die Richtung verkehrt war, wie man überhaupt nur von etwas überzeugt sein kann; da das Pferd aber so sicher zu sein schien, glaubte er, daß es jetzt vielleicht einen besseren Weg aufsuchen wolle, und so ließ er es denn laufen.

      Das Pferd kam schnell vorwärts, obwohl es auf keinem Wege lief. Kam es an einen Bergabhang, so kletterte es geschickt wie eine Ziege hinauf, und wenn es dann wieder bergab ging, setzte es alle vier Füße dicht nebeneinander und rutschte die steile Bergwand hinab.

      ›Fände es doch nur bis zur Kirchzeit den Weg nach Hause,‹ dachte der Propst. ›Ich möchte wohl wissen, was meine Delsboer sagen würden, wenn ich nicht rechtzeitig in die Kirche käme.‹

      Er hatte nicht lange Zeit, hierüber nachzudenken, denn plötzlich kam er an einen Ort, der ihm bekannt war. Es war ein kleiner, dunkler Waldsee, wo er im letzten Sommer gefischt hatte. Nun war er sich klar darüber, daß es sich wirklich so verhielt, wie er gefürchtet hatte. Er befand

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