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Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke. Selma Lagerlöf
Читать онлайн.Название Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783746750200
Автор произведения Selma Lagerlöf
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Der Adler trug ihn nun in schnellem Flug über Gästrikland hin. In dem südlichen Teil war nicht viel zu sehen, was seinen Blick hätte fesseln können. Dort breitete sich eine Ebene aus, die fast überall mit Tannenwäldern bestanden war. Aber weiter nach Norden zu zog sich quer durch das Land von der Dalagrenze bis an die botnische Bucht ein schöner Landstrich mit bewaldeten Hügeln, blanken Seen und brausenden Flüssen. Hier lagen dichtbevölkerte Kirchspiele rings um ihre weißen Kirchen herum, Landstraßen und Eisenbahnen kreuzten sich, grüne Bäume umgaben traulich die Häuser und blühende Gärten sandten liebliche Düfte bis hoch in die Luft hinauf.
An den Ufern der Flüsse lagen mehrere große Eisenhämmer, wie sie Niels im Bergwerkdistrikt gesehen hatte, in ungefähr gleichen Zwischenräumen in einer Reihe bis zum Meer hin. Dort aber breitete eine große Stadt ihre weißen Häusermassen aus. Nördlich von dieser dichtbevölkerten Gegend setzten die dunklen Wälder wieder ein; hier war jedoch das Land nicht flach, es erhob sich zu Hügeln und fiel in Tälern ab gleich einem aufgeregten Meer.
»Dies Land hat einen Rock aus Tannen und eine Jacke aus Feldsteinen,« dachte der Junge bei sich. »Um die Taille aber trägt es einen Gürtel, der an Kostbarkeit seinesgleichen nicht hat, denn er ist mit blauenden Seen und blumigen Hügeln bestickt, die großen Eisenhämmer schmücken ihn wie eine Reihe edler Steine, und als Schnalle dient ihm eine Stadt mit Schlössern und Kirchen und großen Häusergruppen.«
Als die Reisenden eine Strecke in die nördliche Waldgegend hineingelangt waren, ließ sich Gorgo oben auf dem Gipfel eines kahlen Felsens nieder, und sobald der Junge von seinem Rücken heruntergesprungen war, sagte der Adler: »Hier im Walde gibt es Wild, und ich glaube, ich kann die Gefangenschaft nicht vergessen, und mich so recht frei fühlen, ehe ich nicht einmal wieder auf Jagd gewesen bin. Du wirst wohl nicht bange, wenn ich fortfliege?« – »Nein, das glaube ich nicht,« sagte der Junge. – »Du kannst herumlaufen, so viel du willst, aber um Sonnenuntergang mußt du wieder hier sein,« sagte der Adler und flog davon.
Niels Holgersen fühlte sich recht einsam und verlassen, als er da auf einem Stein saß und über die kahlen Felsen und die großen Wälder, die ihn umgaben, hinschaute. Aber er hatte noch nicht lange dagesessen, als er von unten aus dem Walde Gesang vernahm und etwas Helles erblickte, das sich zwischen den Bäumen bewegte. Er war sich bald klar darüber, daß es eine blau-gelbe Fahne war, und aus dem Gesang und den fröhlichen Stimmen schloß er, daß die Fahne an der Spitze eines Zuges von Menschen getragen wurde, es währte jedoch lange, ehe er sehen konnte, was für eine Art von Zug es war. Die Fahne wurde auf gewundenen Wegen getragen, und er saß da und war sehr gespannt, welchen Weg sie und die Leute, die ihr folgten, einschlagen würden. Er konnte sich doch nicht denken, daß sie auf die häßliche, öde Bergebene, auf der er saß, hinaufkommen würden. Aber das taten sie dennoch. Jetzt tauchte die Fahne am Waldsaum auf und hinter ihr drein flutete ein Gewimmel von Menschen, denen sie den Weg gewiesen hatte. Auf dem ganzen Berge entstand Leben und Bewegung, und an diesem Tage hatte der Junge so viel zu sehen, daß er sich keinen Augenblick langweilte.
Der große Tag des Waldes
Auf dem breiten Gebirgsrücken, auf dem Gorgo Däumling zurückgelassen, hatte vor ungefähr zehn Jahren ein Waldbrand gewütet. Die verkohlten Bäume waren gefällt und weggefahren worden, und da, wo der große Brandplatz an den frischen Wald stieß, fing es schon wieder an zu grünen. Der größte Teil des Felsens aber lag unheimlich öde und kahl da. Schwarze Baumstümpfe waren zwischen den Steinen stehen geblieben als Zeugen dafür, daß einst ein großer und prächtiger Wald hier gestanden hatte, aber keine jungen Schößlinge sproßten aus dem Brandplatz hervor.
Die Leute wunderten sich darüber, daß es so lange dauerte, bis sich der Berg wieder mit Wald bekleidete, aber sie dachten nicht daran, daß es dem Erdboden, gerade als der Waldbrand wütete, nach einer langen Dürre an Feuchtigkeit gefehlt hatte. Daher waren nicht nur alle Bäume verbrannt, und alles was auf dem Waldboden wuchs: Heidekraut und Maiblumen und Moos und Preißelbeerengestrüpp verschwunden, sondern auch die schwarze Fruchterde, die den Felsengrund bedeckte, war nach dem Brande trocken und lose wie Asche geworden. Jeder Windhauch, der kam, wirbelte sie in die Luft auf, und da der Berg durch seine Lage, dem Wind sehr ausgesetzt war, wurde eine Felsplatte nach der andern reingefegt. Das Regenwasser trug natürlich dazu bei, die Erde wegzuschwemmen, und nachdem nun Wind und Wasser sich zehn Jahre lang redlich bemüht hatten, den Berg reinzufegen, sah er so kahl aus, daß man im Grunde denken mußte, er würde bis an den letzten Tag der Welt so öde da liegen.
Aber eines Tages zu Anfang des Sommers versammelten sich alle Kinder aus dem Kirchspiel, in dem der abgebrannte Berg lag, vor einer der Schulen. Jedes Kind trug eine Hacke oder einen Spaten auf der Schulter und ein Päckchen Butterbrot in der Hand. Sobald alle versammelt waren, zogen sie in einem langen Zuge nach dem Wald hinauf. Die Fahne wurde vorausgetragen, Lehrer und Lehrerinnen gingen nebenher, und den Beschluß machten ein Paar Waldwärter und ein Pferd, das eine Fuhre kleiner Tannen und Tannensamen zog.
Dieser Zug hielt in keinem der Birkenwälder, die dem Dorf zunächst lagen, nein, es ging hoch oben in den Wald hinauf, auf alten Sennpfaden, und die Füchse steckten die Köpfe aus ihrem Bau heraus und fanden, daß dies doch wunderliche Senner seien. Der Zug zog vorüber an alten Köhlerplätzen, wo ehedem in jedem Herbst Meiler errichtet waren, und die Kreuzschnabel wendeten den krummen Schnabel dem Zuge zu und konnten nicht begreifen, was für Köhler das waren, die da in den Wald eindrangen.
Dann kam der Zug endlich nach der großen, abgesengten Bergebene. Da lagen die Steine ganz nackt ohne die feinen Lineenranken, die sie einstmals bedeckt hatten, und die Felsplatten waren ihres schönen, silberweißen Mooses und der feinen, niedlichen Renntierflechten entkleidet. An den schwarzen Wassertümpeln, die sich in Felsspalten und Vertiefungen angesammelt hatten, wuchsen weder Kallablätter noch Sauerklee. In den kleinen Fleckchen Erde, die noch zwischen den Steinen und den Rissen zurückgeblieben waren, standen keine Farrenkräuter, keine Sternblumen, keine weißen Pyrolas, nirgends etwas von all dem Grünen und Roten und Weichen und Sanften und Feinen, das sonst den Waldboden bedeckt.
Es war, als husche plötzlich ein heller Schimmer über die graue Hochebene, als alle die Kinder aus den umliegenden Dörfern sich darüber ergossen. Das war doch wieder etwas Fröhliches und Feines, Frisches und Rosiges, etwas Junges, das im Wachsen begriffen war. Vielleicht konnten sie der armen, verlassenen Gegend wieder etwas Leben schenken!
Als die Kinder ausgeruht und gegessen hatten, griffen sie nach Hacken und Spaten und begannen zu arbeiten. Der Waldwärter zeigte ihnen, wie sie es machen mußten, und dann steckten sie ein kleines Pflänzchen nach dem andern in alle die kleinen Fleckchen Erde, die sie entdecken konnten.
Während die Kinder pflanzten, schwatzten sie ganz altklug miteinander darüber, wie die kleinen Pflanzen, die sie in die Erde hineinsteckten, das Erdreich festhalten würden, so daß es nicht weggeweht werden könne. Und nicht genug damit, denn es würde sich auch neue Fruchterde unter den Bäumen bilden. Und dahinein fiel dann der Same, und in wenigen Jahren würden sie hier, wo jetzt nichts war als kahles Felsgestein, Himbeeren und Heidelbeeren pflücken können. Und die kleinen Pflanzen, die sie hier einsetzten, würden so nach und nach zu großen Bäumen werden. Man konnte vielleicht einstmals große Häuser und stolze Schiffe daraus bauen.
Wären aber die Kinder nicht jetzt auf den Berg hinaufgekommen und hätten gepflanzt, so lange noch ein wenig Erde in den Felsspalten lag, so hätten der Wind und das Wasser jede Möglichkeit zerstört, und es würde nie wieder ein Wald auf dem Berge gewachsen sein.
»Ja, es war wirklich Zeit, daß wir heraufgekommen sind,« sagten die Kinder. »Es war die höchste Zeit!« Und sie kamen sich ungeheuer wichtig vor.
Während die Kinder oben auf dem Berge arbeiteten, waren Vater und Mutter daheim, und als eine Weile vergangen war, sehnten sie sich danach zu erfahren, wie es den Kindern wohl gehen