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      Unter der Dusche schoss es ihm durch den Kopf: Es könnte auch Sara gewesen sein, die zu seiner Mutter gesprochen hatte! War es nicht verrückt? Er kam hierher, um einen Verbrecher zu enttarnen, und die erste Person, die ihm begegnete, war ausgerechnet seine Tochter, die ihren Vater für einen Helden hielt. Wie sehr wünschte er sich jetzt, dass ihre Eltern damals tatsächlich auf der richtigen Seite gestanden hätten.

      Er rasierte sich und betrachtete sich aufmerksam im Spiegel. Der gleiche dunkelbraune Teint, die gleiche gerade und eher kleine Nase wie damals. Zwar trug er die Haare jetzt viel länger, aber sie waren immer noch lockig und pechschwarz. Wird Schulze ihn wieder erkennen? An seinen grünen Augen vielleicht, seinem auffälligsten Kennzeichen. Damals konnte er ja noch keinen Schnurrbart und keine dicken Koteletten tragen. Nein, Schulze würde ihn nicht erkennen. Damals war er noch ein Kind gewesen.

      Fastman strich sich noch einmal mit der Handfläche übers Gesicht, schaltete das Rasiergerät aus und legte es behutsam in das Fach unter dem Spiegel. Was für ein Mensch mochte Saras Mutter sein? Wie würde sie ihn empfangen? Eigentlich war es merkwürdig, dass er sie aus Saras Perspektive sah, als Saras Mutter und nicht als Schulzes Ehefrau. Als ob er Saras und nicht ihres Vaters Gast wäre. Er blickte auf die Uhr. Es war kurz vor halb elf. Die halbe Stunde war fast um.

      Fastman nahm die für Saras Mutter bestimmten Blumen, schloss die Haustür ab, steckte den Schlüssel in die Tasche und ging auf die Villa zu. Keine fünfzig Meter weiter, wie Sara gesagt hatte, erblickte er das zweistöckige Haus mit dem mächtigen Eingangsportal zwischen zwei dicken, etwa vier Meter hohen Säulen, die einen weiträumigen Balkon trugen. Zwischen allen Fenstern des Erdgeschosses, die ihrer Höhe wegen eher wie Terrassentüren wirkten, rankten sich Pflanzen empor, und das dunkelrote Dach schien die Größe des Gebäudes noch zu betonen.

      Sara erwartete ihn bereits lächelnd an der Haustür. Ohne ein Wort nahm sie ihn an der Hand und führte ihn in den riesigen Salon.

      Wieder erschien sie ihm merkwürdig vertraut, als würde er sie schon lange Zeit kennen. An wen erinnerte sie ihn nur?

      Im vorderen Teil des Salons war auf der linken Seite eine Sitzgruppe aus weißem Leder um einen Couchtisch aus demselben Material postiert, an deren rechter Flanke ein Zeitungstisch aus weißem Marmor stand, ganz bedeckt mit Tagespresse– und Illustrierten stapeln. Auch einige leinengebundene Bücher entdeckte er auf dem Tisch. Den Parkettboden bedeckte ein edler Teppich, dessen dunkelrote Farbe sehr gut mit dem weißen Marmor harmonierte. Zur Fensterfront hin wuchsen unzählige Pflanzen, sogar kleine Bäume, so dass die ganze linke Seite des Salons wie ein kleiner Vorgarten anmutete. Gegenüber der Eingangstür befand sich eine große, fast die ganze Wand einnehmende Glasfront, die durch verglaste Schiebetüren zur Terrasse führte. Davor stand ein schwarzer Steinwegflügel, hinter dem ebenfalls eine Schiebetür zu einem weiteren Raum führte. Die zwischen Schiebetür und Saloneingang gelegene Ecke war geradezu symmetrisch möbliert, nur dass hier bis auf den weißen Teppich alles in Lindgrün gehalten war. An den Wänden hingen schwere Gemälde, die meisten Porträts zeigten bedeutsam aus dem Rahmen schauende Personen. Obwohl er sich zwang vorbeizuschauen, zog ihn ein magischer Bann in ihr Blickfeld. Und auch hier glaubte er, einige der Porträtierten wieder zu erkennen wie aus den Tiefen eines Traums, in dem einem alles vertraut ist, ohne dass man es jedoch benennen kann.

      „Moni, das ist Mister David Fastman, Vaters Gast. Ich hoffe“, wandte sie sich jetzt an David, „es spricht nichts dagegen, dass Sie sich als Gast der ganzen Familie fühlen.“ Sie sah ihm einen kurzen Augenblick direkt in die Augen, ohne dass er allerdings ihren Blick zu deuten verstand. „Das ist meine Mutter, Monika Riddagshausen.“ Sie hielt immer noch Davids Hand.

      Es fiel ihm schwer, sich ihrem Händedruck zu entziehen und ihre Mutter mit dem offiziellen Blumenstrauß zu begrüßen.

      „Frau von Riddagshausen, freut mich, Sie kennen zu lernen. Und vielen Dank für die Einladung zum Frühstück. Ich hab’ Ihrer Tochter schon erzählt, dass ich im Flugzeug das Frühstück verschlafen habe.“

      „So? Dabei gibt es da doch so gute Sachen. Erst mal vielen Dank für die wundervollen Blumen. Wie ist denn der Service in dem neuen Riesenflieger? Ich hörte, Sie sind mit dem neuen Großflugzeug gekommen. Wie heißt es noch mal?“

      „Boeing 747.“

      „Nein, es hatte noch einen anderen Namen.“

      „Jumbojet.“

      „Genau.“

      „Der Service ist wirklich ausgezeichnet.“

      „Mit welcher Gesellschaft sind Sie geflogen?“

      „Mit der Pan Am.“

      „Schön. Und Sie haben das Frühstück verschlafen?“

      „Ja.“

      „Na, besser, als wenn Sie die Landung verschlafen hätten, nicht wahr?“

      Er lachte etwas bemüht. „Ja, da haben Sie recht.“

      Die blonde, schlanke, etwa einen Meter siebzig große, sehr gepflegte und elegante Frau – er schätzte sie auf höchstens Anfang vierzig –, fand Fastman verwirrend sympathisch. Aber was ihn besonders verwirrte, war die Tatsache, dass er auch bei ihr dieses merkwürdig vertraute Gefühl empfand, und er fragte sich, ob es vielleicht an dem Band der gemeinsamen Muttersprache liegen konnte, selbst wenn ihn diese Antwort nicht befriedigte. Aber welches andere geheime Band mochte sie dann miteinander verbinden?

      Seine Verwirrung schien nicht unbemerkt zu bleiben.

      „Fühlen Sie sich nicht wohl, Mister Fastman? Das kommt vor nach einem so langen Flug. Das kenne ich. Sehr gut sogar. Und wenn Sie noch nicht gefrühstückt haben, ist es erst recht kein Wunder.“

      Das Esszimmer hinter der weißen Schiebetür war sehr groß und hell. Die Mahagoni–Möbel, der dunkelrote Teppich und die schneeweißen Wände schienen den Gast geradezu offiziell zum Wohlfühlen zu verpflichten.

      Monika von Riddagshausen zeigte ihm seinen Platz und setzte sich mit Sara an dem großen ovalen Mahagoni–Esstisch nieder.

      „Bedienen Sie sich, Mister Fastman“, sagte sie und machte eine einladende Handbewegung. „Was darf ich Ihnen noch zum Trinken anbieten? Kaffee oder Tee? An das Wasser habe ich schon gedacht. Das kenne ich … Bei Ihnen in den Staaten muss immer Wasser auf dem Tisch stehen.“

      „Oh, danke, wenn ich das hier so sehe, kann ich nur sagen: Wie gut, dass ich das Frühstück verschlafen habe.“

      „Sie können sich nicht vorstellen, Mister Fastman, was Ihr Besuch für meinen Mann Albert bedeutet. Aus mehreren Gründen sogar. Ich hoffe …“ Sie unterbrach sich und sah zur Eingangstür, von wo ein leichtes Knarren zu hören war.

      Sein Herz galoppierte. Jetzt konnte er nicht mehr zurück! Bis zum offiziellen Begrüßungstag am Montag an jener Uni, an der auch seine Eltern gelehrt hatten, hieß es einen klaren Kopf zu bewahren! Vielleicht hat Albert von Riddagshausen noch das gleiche Arbeitszimmer wie sein Vater und arbeitet immer noch hinter dem gleichen Schreibtisch. Ein unerträglicher Gedanke. Er horchte. Was tut dieser Mann so lange im Flur? Das dauert ja ewig!

      „Hallo, Papa, da bist du ja endlich.“ Saras Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Als er seinen Kopf nach rechts drehte, stand von Riddagshausen in der Tür.

      „I’m so glad to finally meet you, Dr. Fastman“, sagte von Riddagshausen und ging mit ausgestreckten Händen auf David zu. „I am pleased to greet you as my visitor in our house.“

      David erhob sich von seinem Stuhl, drehte sich zur Eingangstür und ging einen Schritt auf den Mann zu. Ja! Das war diese sanfte Stimme, die er schon von den Telefongesprächen kannte. War es aber auch die Stimme des Hauptmanns Heinrich Schulze? Er vermied es, ihm direkt ins Gesicht zu schauen, und warf stattdessen einen kurzen Seitenblick auf Sara. Sie strahlte. Sie schien sich über dieses Treffen zu freuen. Offensichtlich hing sie sehr an ihrem Vater.

      Es kostete ihn große Anstrengung, sich auf den Beinen zu halten.

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