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merkwürdige Gefühl, dass er sie schon zeit seines Lebens kannte.

      „Waren Sie schon mal in den Staaten?“ fragte er, um sich abzulenken.

      „Nein. Ich bin aber ziemlich sicher, dass ich es irgendwann nachholen werde.“ Ihr Gesicht wirkte ratlos, als ob sie sich schuldig fühlte, noch nicht dort gewesen zu sein. „Meine Freundin versucht schon seit längerer Zeit, mich zu überreden. Sie fliegt öfter hinüber. Ich wollte schon längst mit, aber es kam immer etwas dazwischen. Gerade am Dienstag, also vorgestern, ist sie wieder geflogen. Beinahe hätte ich sie begleitet.“

      „Und wieso haben Sie nicht?“ wollte er wissen und schob schnell hinterher: „Ich bin natürlich froh, dass Sie es sich anders überlegt haben, sonst hätte ich ja nicht das Vergnügen gehabt, Sie kennen zu lernen.“

      „Ganz meinerseits“, lächelte sie verbindlich. „Vor acht Wochen, als Annika, so heißt meine Freundin, die Tickets buchen wollte, hatte ich mich schon fast entschlossen, Anfang November mit der Arbeit im Krankenhaus anzufangen. Sie können es ja nicht wissen: Ich bin vor kurzem mit meinem Medizinstudium fertig geworden. Fast bis Ende Oktober hat es gedauert, bis ich mich dazu durchgerungen hatte, mich selbst nicht zu betrügen.“

      „Was für einen Selbstbetrug meinen Sie?“

      „Ich wollte zwar immer Medizin studieren, aber nie eine Ärztin werden, die kranke Menschen behandelt.“

      „Wie bitte?“ fragte er überrascht. „Die gesunden Menschen brauchen doch keinen Arzt.“

      „Den Arzt nicht! Den Mediziner aber wohl“, sagte Sara nachdrücklich. „Ich bin fest davon überzeugt, dass die Rolle der Medizin besser verstanden und neu überdacht werden muss. Nicht nur das Heilen ist Aufgabe der Medizin, sondern auch die wissenschaftliche Erforschung der naturgesetzlichen Heilungszusammenhänge.“

      „Sie wollten also Medizinerin und nicht Ärztin werden, wenn ich Sie richtig verstanden habe.“

      In diesem Augenblick konnte er sich merkwürdigerweise ganz genau daran erinnern, wie sein Vater seine Mutter ständig davon überzeugen wollte, dass gerade die Physiker und die Mediziner, nicht jedoch die Ärzte, wie er immer betonte, in der Entwicklung der Medizin eine entscheidende Rolle spielten, und wie seine Mutter immer zustimmend lachte, weil sie ebenfalls davon überzeugt war.

      Die junge Frau blieb vor einem roten VW-Käfer stehen.

      „Das ist mein Wagen“, sagte sie.

      „Dann haben wir etwas gemeinsam“, sagte David.

      „Ja?“ Sie drehte sich interessiert zu ihm um.

      „Das Auto. Ich fahre auch einen Käfer. Allerdings einen weißen. Einen Weißkohlkäfer gewissermaßen“, sagte er lachend.

      „Dann wissen Sie auch, dass Ihr Reisekoffer zu groß ist.“

      „Ja, das weiß ich. Aber die Rückbank ist groß genug.“

      Sara öffnete den Wagen, und David verstaute seinen Reisekoffer und seine Tasche.

      Während der Fahrt überfiel ihn wieder die alte Unruhe: Nach sechsundzwanzig Jahren war er wieder in Deutschland, ohne sich verstecken zu müssen! War das überhaupt möglich? Vergeblich versuchte er, Straßen und Häuser zu erkennen. Hatte er alles vergessen? Er war überrascht, keine Ruinen zu sehen. Die Häuser hier schienen schon seit Ewigkeiten zu stehen. Es war noch nicht lange her, dass in den amerikanischen Medien Bilder eines total zerstörten Deutschlands in Umlauf gewesen waren, und er hatte sich damals bei dem irritierenden Gefühl ertappt, dass er sich innerlich darüber freute.

      „Übrigens“, riss ihn Sara aus seinen Gedanken, „wie kommt es, dass Sie unsere Sprache so perfekt beherrschen? Fast akzentfrei, würde ich sagen.“

      „Na ja, es ist schließlich meine Muttersprache“, sagte er schlicht.

      „Ihre Muttersprache? Davon hat mir mein Vater ja gar nichts erzählt. Im Gegenteil, er war froh, dass ich gut genug Englisch spreche, um mich mit Ihnen zu unterhalten. Dann sind Sie tatsächlich Deutscher?“

      „Ob ich Deutscher bin? Meine Eltern waren damals jedenfalls der festen Überzeugung, der gleichen Nation wie Heine, Schiller, Goethe oder Mendelssohn anzugehören. Als ich aber 1935 geboren wurde …“

      „Gott sei Dank, dass Sie damals nicht hier waren“, unterbrach sie ihn, „sonst hätte Ihre Familie die Hölle miterlebt. Ich habe Sie aber unterbrochen. Entschuldigung.“

      „Ich wollte nur sagen, dass meine Familie aus Deutschland kommt und ihr die Hölle leider nicht erspart blieb. Egal. Das ist jetzt sowieso schon so lange her. Ich bin ein deutscher Jude. Jetzt ist es wirklich nicht mehr so wichtig, und ich möchte Sie damit auch nicht belästigen.“

      Sie warf ihm einen nachdenklichen Seitenblick zu und konzentrierte sich eine Weile schweigend auf den Verkehr.

      Plötzlich kam ihm die Gegend, durch die sie fuhren, bekannt vor. Das weiß gestrichene Haus dort auf der linken Seite, war es nicht das Haus, in dem Hans Martens gewohnt hatte? Und gleich daneben stand der kleine Kiosk, wo sein Vater immer auf dem Wege zur Uni die Zeitung und Zigaretten kaufte. Der Kiosk war jetzt nicht mehr grau wie damals, sondern hätte mit seiner bunten Werbefassade genauso gut in Princeton oder New York stehen können. Gleich würden sie an der Stelle vorbeifahren, wo ihn damals der Lastwagen überfahren und beinahe getötet hatte. Hundert Meter weiter, auf der rechten Seite, stand wie damals das Gymnasiumsgebäude. Das Gymnasium, das er unbedingt besuchen wollte …

      „Über dieses Thema müssen wir uns aber noch mal unterhalten. Wenn Sie meine Familie, die damals Gott sei Dank auf der richtigen Seite gekämpft hat, kennen gelernt haben, werden Sie auch verstehen, wieso das für mich so wichtig ist. Versprochen?“

      Sie bog nach links ein, überquerte eine schmale Straße und fuhr durch ein großes Eisentor auf ein Grundstück. Nach etwa zwanzig Metern hielt sie auf der rechten Seite des gepflasterten Weges, direkt vor einem kleinen, weiß gestrichenen, offensichtlich erst kürzlich erbauten Haus mit hellrotem Ziegeldach.

      „Das ist Ihre Bleibe während Ihres Aufenthaltes in Frankfurt. Herzlich willkommen!“

      Zuerst führte sie ihn in ein helles Wohnzimmer mit einem großen Fenster und einer Terrassentür. Eine Sitzgruppe aus schwarzem Leder fügte sich harmonisch zu einem rechteckigen weißen Couchtisch, einem Zeitungsständer und einem Bücherschrank in gleicher Farbe. Ebenso wenig fehlten eine weiße Braun–Stereoanlage und ein schwarzes Loewe–Opta–Fernsehgerät. Auf dem Parkettboden lag ein roter Teppich. Die Tür auf der rechten Seite führte in ein kleines Esszimmer, das von der schmalen Küche nur durch eine Theke getrennt war. Sie gingen die Treppe hinauf. Sara zeigte ihm das überwiegend lindgrün möblierte Schlafzimmer, in dem ein großer Schrank und ein Doppelbett standen. Vom Schlafzimmer führte die Tür in das ebenfalls lindgrün geflieste Bad. Gegenüber lagen zwei Gästezimmer mit je einem kleinen Bad. Wieder in der Küche, zeigte ihm Sara kurz die Bedienung der Haushaltsgeräte.

      „Ich bin sicher, dass das Häuschen Ihnen gefallen wird und Sie Ihren Aufenthalt genießen werden.“

      Genießen? dachte er irritiert. Aber woher sollte sie wissen, dass womöglich etwas ganz anderes dabei herauskommen würde?

      „Meine Mutter wartet auf uns“, fuhr sie fort. „Ich hoffe, Sie werden nicht nein sagen, wenn ich Sie auch in ihrem Namen zum Frühstück einlade.“

      „Mit Sicherheit werde ich nicht nein sagen“, sagte David. „Und das aus einem einfachen Grund: Ich habe im Flieger nämlich das Frühstück verschlafen. Und mein Sitznachbar dachte, wer so selig schlummert, den darf man nicht wecken. Aber ich muss mich erst mal etwas frisch machen und umziehen. Ich beeile mich. Eine halbe Stunde. Ist das okay?“

      „Natürlich. Soll ich Sie abholen?“

      „Nicht nötig. Sie haben ja gesagt, dass Ihre Villa keine fünfzig Meter von hier entfernt ist. Spätestens in dreißig Minuten werde ich bei Ihnen anklopfen.“

      „Dann

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