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       Victor Ast

      

      

       In der Schlinge

      ® by Christine Lipowicz

       Imprint

      In der Schlinge

       Victor Ast

       published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

       Copyright: © 2014 Victor Ast

       ISBN 978-3-8442-8453-9

      

       Vorwort

      Am Anfang der Geschichte meint man, ein beinahe übliches Klischee vor sich zu haben: Wie es in der bisherigen Literatur, deren Verfilmung und anderen Filmen fast immer der Fall ist, kehrt das Opfer des Holocaust nach Deutschland zurück und erkennt den Täter von damals, dessen sehr anständige Familie aber nichts von den Geschehnissen der Vergangenheit weiß.

      Das scheinbare Klischee verschwindet fast sofort, als der Täter aus seiner eigenen Perspektive gezeigt wird. Immer sympathischer erscheint er, und immer klarer erkennt man auch ihn als Opfer. Auch seine Geschichte ist grausam. Ein moralisch hochstehender Mensch, der auch und gerade aufgrund seiner hohen Moral zum Täter werden konnte und damit gleichzeitig zum Opfer.

      Die Geschichte soll schildern, wie leicht man einen Menschen eines Kriegsverbrechens beschuldigen kann, der in Wahrheit nach dem Prinzip des kleineren Übels handelnd, sich einerseits schuldig gemacht, andererseits aber zahlreiche Menschenleben gerettet hat. Bei dem hier angeschnittenen Schuld-Problem handelt es sich um die große tragische Verkettung des “Unschuldig-schuldig Werdens”, die seit Ewigkeiten aktuell ist und auch bleiben wird. Und zwar unabhängig davon, um was für ein Land es sich handelt.

      Zudem möchte die Geschichte zeigen, dass es nicht stimmt, dass die Deutschen Nazis waren, sondern dass die Nazis damals die Deutschen waren. Es hätten auch die anderen sein können. Es ist immer nur eine Frage der Situation, des Machthabers und der Zeit.

      Die in die Story eingefügten kleinen Anspielungen an den Vietnam – Krieg können hierfür als Beispiel dienen. Die Nebengeschichten über die Geheimdienste, die auch für Spannung sorgen, zeigen ebenfalls, dass sogar das Ende des grausamsten aller Kriege, des zweiten Weltkrieges, kein Ende des Kampfes um die Weltherrschaft war und dass dieser Kampf nie enden wird, wenn die Menschen nicht anfangen umzudenken.

      Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, eine spannende, aber gleichzeitig auch sehr ernsthafte Geschichte auf eine Weise zu erzählen, dass jede Gesellschaftsschicht sie interessant finden wird.

      Ich hoffe auch, mit dem Buch etwas dazu beizutragen, die Opfer, aber auch die Täter jedes unsinnigen Krieges aus einer anderen Perspektive als bisher zu sehen und zu erkennen, dass jeder Krieg nur Opfer bringt und dass die wirklichen Täter nicht die ganzen Völker sind, sondern diejenigen, die über diese Völker herrschen.

      Victor Ast.

      

       Kapitel 1

      Der Reiz des Neuen, als einer der ersten Passagiere mit dem Jumbojet der Boeing 747 über den Atlantik zu fliegen, war für David Fastman inzwischen verflogen. Nun kehrte er aus der Gegenwart der Neuen Welt in die Vergangenheit der alten Heimat, nach Deutschland, zurück, und der Gedanke daran schnürte ihm den Hals zu.

      Die grell durch das Seitenfenster schießende Sonne hatte ihn hochschrecken und eher instinktiv als bewusst auf die Uhr sehen lassen. Hatte er sie auf mitteleuropäische Zeit umgestellt? Ja doch, kurz nach dem Start. Fast neun Uhr. Er warf einen erschrockenen Blick auf seinen Nachbarn, einen bulligen Typ im blauweiss gestreiften Hemd mit breiten roten Hosenträgern, der schnaufend die Frankfurter Allgemeine las. Ludwig Wenger war Deutschamerikaner und stammte eigentlich aus Kaufering, war aber bereits im Alter von vierzehn mit seinen Eltern nach San Diego gezogen, wo sein Vater die technische Leitung eines graphischen Betriebes übernommen hatte. Dank seines barocken Mitteilungsdrangs, der Fastman allerdings schnell ermüdet hatte, hatte er das Gefühl, jetzt mehr über Ludwig Wenger zu wissen als dieser selbst. So wusste er, dass er in San Diego eine Fleischerlehre absolviert hatte und schon früh mit einer Steakhouse–Kette viel Geld verdiente. Jetzt wollte er auch in Frankfurt ein Steakhouse eröffnen.

      „Und am Römerberg tut sich was. Die wollen die historische Häuserzeile wieder aufbauen und eine Fressgass in die Schneise schlagen. Und bei der Messe und beim Flughafen lässt sich auch noch was machen. Wer zuerst kommt, verstehen Sie?“ hatte er grinsend wie ein Breitmaulfrosch getönt, in seine Hosenträger–Takelage gegriffen und die Bänder knallen lassen, dass jeder Widerspruch zwecklos war. Wozu auch widersprechen? Als Mann des Geistes und der Wissenschaft wusste Fastman, dass man fleischgewordenen Profitkolossen am besten aus dem Wege ging. Aber es war ja nicht möglich: das Los der Reichen hatte ihm in der Businessclas nun mal diesen primitiven, unsympathischen Profitgeier aus Kaufering beschert, und für zehn Stunden war er unausweichlich an seiner Seite.

      Der Breitmaulfrosch grinste ihn süffisant an. „Na, Rausch ausgeschlafen? Ist schon alles vorbei. Was sollte ich Sie zum Frühstück wecken? Ich hab’ der Stewardess gesagt: Lass ihn schlafen. Wer weiß, in welch seligen Armen er schlummert. Der frühstückt sowieso in Frankfurt.“

      „Danke“, sagte Fastman. Er hatte ja recht.

      Mit Bestürzung sah er, dass Wenger die Zeitung zusammenfaltete. In wenigen Minuten würden sie bereits in Frankfurt am Main landen! Er geriet in Panik. Am liebsten wäre er jetzt auf seinem Platz geblieben und wieder zurück nach New York geflogen. Hatte diese Reise überhaupt einen Sinn, oder war es vielleicht doch ein Fehler, hierher zu kommen? War er überhaupt fähig, sich noch einmal der Vergangenheit zu stellen? Wollte er es denn tatsächlich?

      Hätte ihm Bill Harley die Fotos von der Europareise nicht gezeigt, und besonders dieses eine Foto nicht, könnte er jetzt noch einige Stunden bequem in seinem Bett schlafen und sich während des Frühstücks in Ruhe überlegen, mit wem er am kommenden Wochenende Tennis spielen wollte. Immer wieder geisterte das Foto vor seinen Augen herum, selbst in seinen Träumen. Es zeigte einen Mann, der wie er Professor der Physik war und an der Frankfurter Johann–Wolfgang–Goethe–Universität lehrte. Es war der Mann, dem sein Besuch galt. Der Mann, der sich jetzt Albert von Riddagshausen nannte und vor sechsundzwanzig Jahren und vier Monaten, im Juli 1943, Hauptmann Heinrich Schulze gewesen war. Das Foto war ja deutlich genug, dass man sein Gesicht eindeutig erkennen konnte! Das große braune Muttermal an der linken Wange und die nachdenklichen blauen Augen unter der hohen Stirn eines Intellektuellen. Nur seine Haare waren nicht mehr so blond wie damals. War es überhaupt möglich, dass dieser Hauptmann Heinrich Schulze und Professor Albert von Riddagshausen ein und dieselbe Person waren? Er rief sich die Telefonate mit Albert von Riddagshausen und besonders das letzte ins Gedächtnis. Wie höflich und sanft, beinahe schüchtern er geklungen hatte, als er ihm vor drei Tagen anbot, über sein Gästehaus zu verfügen. Wie begeistert und geehrt er war, ihn seinen Mitarbeitern und Studenten vorstellen zu können und ihn auch privat im Kreise seiner Familie begrüßen zu dürfen. Das war doch nicht die Stimme eines Mörders, eines Kriegsverbrechers, der ihm zuschrie: „Nutz die Gelegenheit und hau ab! Verdammt noch mal, hau ab, Junge! Worauf wartest du? Verschwinde! Sonst muss ich dich auch erschießen! Tu es mir nicht an, verdammt noch mal! Vergiss deine Überraschung! Vergiss mein Gesicht! Vergiss alles, was du hier siehst, und hau endlich ab!“ Diese Worte hatten ihn mehr als ein Vierteljahrhundert verfolgt, und bis zu dem ersten Telefonat hätte er Stein und Bein schwören können, die Stimme dieses Mannes jederzeit wieder zu erkennen. Aber seitdem fragte er sich: War das wirklich die gleiche Stimme?

      „Please fasten your seat–belt, Sir“, bat ihn die Stewardess.

      Oh, er hatte sich noch nicht angeschnallt.

      „Sorry!“

      Sie schenkte ihm

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