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Sie war allein. Nie wieder würde Christof sie in die Arme nehmen. Mit ihm hatte sie ihre Stimme und ihre Zukunft verloren.

      Du musst aufstehen, es nützt nichts, dir das Kissen über den Kopf zu stülpen.

      Sie hörte ihr eigenes Kinderlachen, wenn sie am Morgen mit Emma in den Garten ging. Vorbei an der Sandkiste und der hohen Schaukel, die auch jetzt noch an dem alten Apfelbaum hing. Floria konnte hören, dass Katja darauf saß. Das leise Knarzen der Seile am Ast des Baumes verriet es ihr.

      »Wir müssen sie für den Winter abnehmen, Katja.«

      »Warum, Emma?«

      »Damit die Seile, wenn es friert, nicht brechen.«

      »Kannst du da hochklettern?«

      Emmas Lachen.

      »Nein, Katja. Tim nimmt sie ab, und nächstes Jahr im Frühjahr hängt er sie für dich wieder auf.«

      Jedes Jahr hatte Floria sehnsüchtig auf die Schaukel gewartet. Der Baum, glaubte sie damals, wartete mit ihr. Er sah doppelt kahl aus, ohne seine Blätter und ohne die starken Seile, die ihre Schaukel hielten.

      »Sei ruhig, Ramses. Das ist doch nur Tim.«

      Katjas Stimme wurde leiser. Das Bellen des Hundes brach ab.

      »Moin, Emma.« Die tiefe Stimme des Gärtners klang wie immer, fröhlich und gelassen.

      »Moin, Tim.«

      »Wir kriegen Schnee.«

      »Wann?«

      »In den nächsten Tagen.« Tim war so wortkarg wie alle hier.

      »Du musst meine Schaukel abnehmen, Tim, hat Emma gesagt.«

      »Dann wollen wir mal, Mädchen. Nimm mir den Höllenhund von den Füßen, damit ich die Leiter anstellen kann.«

      »Mach auch gleich den Schnitt.«

      »Alles klar, Emma.«

      »Tut das weh?«

      »Ne, Mädchen, ist wie Haare schneiden.«

      Floria hörte das metallene Scheppern der Leiter, die Tim unter dem Baum aufbaute. Tim, dachte sie, war schon immer Emmas Helfer gewesen.

      Er konnte alles und ihn als Gärtner zu bezeichnen, griff viel zu eng.

      Er strich Emmas Haus an, deckte das Dach, falls es durchregnete und kümmerte sich um alles, was anfiel. Tim hatte ihr auch gezeigt, wie man Würmer ausgrub und auf den Angelhaken spießte.

      Wenn sie einen oder zwei winzige Fische aus dem Kanal gezogen hatte, schabte Emma die Schuppen ab, nahm sie aus, rieb sie mit Kräutern und Gewürzen ein und briet sie in Butter. Floria lief unwillkürlich das Wasser im Mund zusammen.

      Die Haustür ging auf und klappte wieder zu. Floria warf Kissen und Daunendecke zur Seite und stellte die bloßen Füße auf den kalten Fußboden.

      In der Küche roch es nach Hefeteig und schwarzem Kaffee. Frische Rosinenschnecken standen auf der Anrichte und die Kaffeekanne stand dampfend auf dem Tisch.

      »Guten Morgen.«

      Floria küsste Emma auf die Wange. Sie war eiskalt.

      »Du bist ja ganz kalt, Emma.«

      »Kein Wunder, ich war bis eben draußen. Tim ist da.«

      »Ich weiß, hab Katja und ihn gehört.«

      Emma stellte die Schnecken auf den Tisch und schenkte Floria Kaffee ein.

      »Wir müssen den Garten auf den Winter vorbereiten.«

      »Ja, den Apfelbaum beschneiden, Rosen abdecken und sicher hast du noch ein oder zwei Zwiebeln im Keller, die vor dem Frost in die Erde müssen?«

      Emma sah ihre Enkelin amüsiert an. »Du hast ja doch aufgepasst.«

      Floria sah Emma nach. »Ich will nur eben noch Tim ein bisschen unterstützen.«

      Sie kannte diesen Satz. Wenn Emma ‚ein bisschen’ in den Garten ging, konnte das bedeuten, dass sie erst nach Einbruch der Dunkelheit wieder hereinkam.

      Sie aß eine der Rosinenschnecken und trank ihren Kaffee. Floria blätterte durch die Gartenprospekte auf dem Tisch. Ganz zuunterst fand sie eine Zeitschrift.

      Trauer um Christof Corman

      Die Schlagzeile flimmerte vor ihren Augen. Sie sah nach dem Datum des Artikels. Die Zeitschrift war drei Wochen alt. Exakt der Tag, an dem sie in ihren Fieberträumen versank. Die Trauerfeier hatte in seiner Heimatstadt ohne sie stattgefunden. Sie hatte sich nicht einmal verabschieden können. Schwerfällig stand sie auf. Warum hatte niemand sie benachrichtigt?

      Susan

      Floria stieg die Treppe nach oben, ließ sich auf ihr Bett sinken und starrte an die Decke. Ihr Handy lag nutzlos und leer auf dem Tisch, auf dem sie es vor Wochen abgelegt hatte. Die Stimmen von Emma und Tim klangen zu ihr hinauf. Katjas Lachen und Ramses verhaltenes Bellen.

      Würde sie je wieder singen? Im Moment würden sie keine zehn Pferde auf eine Bühne bringen. Sie zitterte, wenn sie nur daran dachte, wieder auftreten zu müssen. »Sie müssen ihre Trauer zulassen, Ihr Problem ist nicht so sehr ein physisches als vielmehr ein psychisches.« Ihr Arzt in New York war sehr deutlich geworden. »Solange Sie nicht auf Ihre Seele hören, werden Sie nicht auftreten können.«

      Floria schlief ein und erwachte Stunden später. Aber ihr Schlaf war kein erholsamer. Sie wachte, wie immer in den letzten Wochen, verspannt und verschwitzt auf.

      »Floria?« Sie schlug die Augen auf.

      »Susan!« Floria streckte die Arme nach der Freundin aus. »Du bist da. Ich dachte, ich hätte dich verloren.«

      »Du siehst furchtbar aus.« Susan nahm sie in die Arme. Sie hatte eine sehr direkte Art, die Dinge auszusprechen. »Warum kann man dich nicht erreichen? Ich habe geschrieben, du weißt, dass ich in China war. Ein furchtbares Volk, aber wahnsinnig interessiert an westlicher Musik. Sie haben dort so viele unglaublich begabte junge Leute. Das kannst du dir nicht vorstellen. Ich konnte deiner Mutter nur eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, aber die Frau ruft ja nicht zurück.«

      Susan holte Luft, was Floria in die Lage versetzte zu antworten.

      »Susan bitte …«

      »Ich weiß, ich rede zu viel.« Sie lachte.

      »Steh auf! Ich seh mal nach Emma. Ich glaube, sie kocht. Außerdem brauche ich einen von ihren grässlichen Kräuterschnäpsen.« Im Vorbeigehen schnappte sie sich Florias Handy, sah kurz auf das dunkle Display und meinte: »Das solltest du vielleicht mal aufladen.«

      Susan, dachte Floria, glich einem freundlichen Sturmwind, der allen Kummer wie Herbstblätter hochwirbelte und vor sich her trieb.

      Kaum war ihre Freundin aus dem Zimmer, überfiel sie der Wunsch, in ihrem Bett zu bleiben.

      Steh auf, sagte sie sich, lass dich nicht hängen, reiß dich zusammen.

      Floria schloss ihr Handy an und lief die Treppe hinunter, in eine warme gemütliche Küche. Susan saß, die Füße hochgezogen, in einer Ecke des Sofas. Sie hielt ein Glas mit einer grünlich schimmernden Flüssigkeit in der Hand.

      Emma stand am Herd und rüttelte an einer Pfanne.

      »Es gibt Apfelpfannkuchen mit Zimt und Zucker.« Emma brachte eine große Platte, beladen mit einem Turm von duftenden Pfannkuchen, an den Tisch.

      Susan unterhielt sie mit Tratsch aus der Theaterszene. Florias Probleme wurden nicht angesprochen. Als Emma sich erhob, um abzuräumen, schickte Susan sie ins Bett.

      »Geh schlafen, Emma, Floria und ich erledigen den Abwasch.«

      »Deine Großmutter gefällt

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