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zog eilig die Jeans an und ihren blauweiß gestreiften Pulli, den sie unmöglich fand, den Pit aber mochte.

      An der Wohnungstür fand sie einen Zettel: Wohnungstür abschließen! Mutsch.

      Na, das klang nicht gerade sehr freundlich. Mutter hatte eben auch ihre Sorgen. Julia fiel einer der vielen Sprüche ein, die Großvater, wenn er zu einem kurzen Besuch kam, immer auf der Zunge hatte. Großvaters Vater war Hafenarbeiter in Hamburg gewesen, und sie waren sieben Kinder. Julia mochte den Großvater. Sie sprang die Treppen hinunter und sang: »Wird schon wieder wärn mit der Mutter Bärn. Mit der Mutter Horn ist's auch wieder geworn.«

      Auf der Straße schlug sich Julia den Anorakkragen hoch. Wenn sie ausatmete, sah es aus, als ob sie rauchte.

      Sie lachte, lief los, die Tasche unterm Arm, die rechte Hand führte sie zum Mund, atmete tief ein und stieß die Luft wieder aus. Unwillkürlich war sie in Vaters schweren Schritt verfallen. Sie hustete. So sehr hatte sie sich eingebildet, eine starke Zigarre zu rauchen. Jemand lachte. Julia sah sich nicht um.

      An der Kreuzung zeigte die Ampel natürlich wieder rot, wie immer, wenn sie es eilig hatte, und sie hatte es immer eilig. Sie sah auf die Uhr. Die erste Stunde war nicht mehr zu schaffen. Und Herr Rohnke konnte mächtig sauer werden, wenn man seinen Unterricht störte. Entweder ganz oder gar nicht, sagte er immer.

      »Also gar nicht«, sagte Julia. Sie sprang schnell noch in der anderen Richtung über die Straße. Es waren ja nur hundert Meter bis zur Brauerei. Sie wollte ihren Auftrag Vater gleich übergeben.

      Im Pförtnerhäuschen saß der strenge Herr Pöschke. Aber so streng er war, so müde war er auch. Julia hatte ihre Methode, ohne Betriebsausweis ins Werk zu kommen. Sie wusste, Herr Pöschke schwankte zwischen höchster Wachsamkeit und gähnender Langeweile. Sie kannte seinen Rhythmus: ein scharfäugiger, spähender Blick auf den Toreingang und ins Gelände - ein müdes Kopfnicken seinem Kreuzworträtsel entgegen. Diesen Moment passte Julia genau ab und huschte unter der Schranke durch ins Betriebsgelände.

      Sie lief etwas geduckt über den schmutzig nassen Hof, auf dem Lastkraftwagen mit Bierfässern und Limonadenkästen beladen wurden.

      Julia musste ins Sudhaus, wo der Vater und seine Kollegen mit der Herstellung der Würze beschäftigt waren. Das Sudhaus lag am unteren Ende des Werkes.

      Julia lief durch die langgestreckte Halle, wo Fässer und Flaschen abgefüllt wurden. Hier arbeiteten zum größten Teil Frauen. Die Halle war unfreundlich duster und kühl. Julia war froh, als sie wieder im Freien war. Vater sprach zu Hause manchmal von den Frauen, die oft unzufrieden mit ihrem Arbeitsplatz waren und bessere Arbeitsbedingungen verlangten.

      Aus der Tür des Sudhauses kam ihr Vater entgegen. In seinem Gesicht stoppelten die Barthaare. Über den grauen Schlosseranzug hatte er eine Gummischürze gebunden. An den Füßen trug er Gummistiefel. Er lachte, als er Julia sah.

      »Nanu, Tochter, ist schon wieder etwas passiert?«

      Julias Vater sah auf seine Uhr. »Wir haben jetzt eine Versammlung. Ganz kurzfristig einberufen. Ich glaube, diese Liste von Frau Saube, dieses Ultimatum ist der Grund. Können wir nicht später darüber reden, Julia? Mir sitzt jetzt wirklich die Zeit im Nacken.«

      »Nein, Nicht später. Jetzt«, sagte Julia.

      Der Vater legte ihr den schweren Arm um die Schulter und lächelte. »Du bist eben eine Leißner, wie sie leibt und lebt. Komm, gehen wir zur Verwaltung. Sagst mir unterwegs, was du willst.«

      Julia und ihr Vater gingen quer über den Hof zur Verwaltungsbaracke. Julia sagte: »Papsch, kannst du mit unserem Direktor wegen Herrn Rohnke sprechen? Du musst ihm sagen, dass wir ihn brauchen. Er darf uns unseren Lehrer nicht wegnehmen.«

      »Miteinander sprechen ist immer gut«, sagte der Vater. »Aber die Schule hat natürlich auch ihre Probleme, genauso wie wir auch. Aber ich verspreche es dir, Tochter, ich spreche mit Herrn Rohnke.«

      Julia und der Vater gaben sich die Hand. »Hast heut wieder verschlafen«, sagte der Vater noch. »Hat Pit dich nicht wach bekommen?«

      »Ich habe nichts gehört.«

      Der Vater ging eilig in die Baracke. Julia schummelte sich an Herrn Pöschkes Glaskasten vorbei.

      Sie musste sich beeilen, um noch rechtzeitig zur zweiten Stunde in die Schule zu kommen.

      Vor der Schule prügelten sich drei Jungen um eine Kastanie, obwohl überall Kastanien herumlagen. Julia trieb die Jungen auseinander. Das hätte sie sonst nicht getan. Aber jetzt hatte sie ihre Versöhnungsstimmung. Sie dachte: Vater wird Herrn Rohnke schon überreden, bei der 8b zu bleiben. Sie wollte sofort der Klasse davon erzählen.

      Die Tür zum Klassenzimmer stand offen. Julia hörte nicht wie sonst schon von weitem Liebschers Stimme und Gerda Munkschatz' Lachen.

      Als Julia ins Klassenzimmer trat, wurde sie nicht wie üblich, wenn sie zu spät kam, mit Scherzworten begrüßt. Die Jungen und Mädchen standen und saßen unruhig, als warteten sie auf etwas.

      Julia sah Pit auf seinem Platz sitzen. Er sah weg, als sie zu ihm schaute.

      Liebscher trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Als Julia sich setzte, kam er zu ihr.

      »Schon gut«, sagte Julia. »Bin wieder mal zu spät gekommen. Werde mir noch einen Wecker anschaffen müssen. Soll nicht wieder vorkommen.«

      Liebscher winkte ab. Er sah blass aus und unausgeschlafen. Die Haare fielen ihm in die Stirn.

      »Wo er nur bleibt«, sagte Liebscher besorgt. »Er hat uns doch noch nie eine Stunde warten lassen!«

      »Wo wer bleibt?«, erkundigte sich Julia.

      Ellen räumte ihre gut geordnete Schultasche auf. Sie sagte: »Du hast Nerven, Juli! Wir sitzen hier schon eine geschlagene Stunde und warten auf Herrn Rohnke! Es wird ihm doch nichts passiert sein! Also wenn ich mir das vorstelle - schrecklich!«

      »Du spinnst mal wieder«, entgegnete Julia. Sie tippte Pit auf die Schulter. »Wollte Herr Rohnke gestern nicht mit dir reden? Wegen eurer Übungsstunden?«

      »Na überhaupt? Und der Junge sitzt hier und lässt uns schwitzen! Warst du gestern noch mit Herrn Rohnke zusammen?«

      Liebscher war Pit nahe gerückt. Er hielt ihn an den Revers seiner Jacke fest.

      Pit schob Liebscher einen Meter von sich weg. Dann sagte er: »Wir haben nur kurz zusammen gesprochen. Gleich nach dem Sportfest.«

      Liebscher rückte Pit wieder näher. »Na und? Hat er etwa gesagt, dass er heute später kommen wird?«

      Pit sagte ruhig: »Bleib mir vom Leib, Liebscher! Von später kommen war überhaupt nicht die Rede. Er hat mir nur gesagt, dass er trotz des Lehrerwechsels weiter mit mir üben will.«

      Liebscher wandte sich enttäuscht wieder Julia zu. Er sagte: »Wenn er in der zweiten Stunde nicht kommt, gehe ich zum Direktor. Da ist doch etwas nicht in Ordnung, Leute.«

      »Nur die Ruhe, Werner«, versuchte Julia zu besänftigen. Dabei war sie selber aufgeregt.

      Pele balancierte sein Lineal auf der platten Nase. Mit irgendetwas jonglierte oder balancierte er fast immer. Er war einer der Kleinsten der Klasse. Er musste also etwas tun, um gesehen zu werden.

      Jetzt setzte er das Lineal ab und rief: »An allem hat diese Tante Schuld! Die Neue. Warum fängt die nicht an einer anderen Schule an, he!«

      Julia dachte: Das ist ungerecht, was Pele sagt. Irgendwo muss sie ja unterrichten. Aber sie stimmte in das allgemeine Beifallsgemurmel ein. Sie sagte: »Die Rosen können wir nicht gebrauchen. Über ihren Unterricht bei uns ist noch nicht das letzte Wort gesprochen, das verspreche ich euch! Komme gerade von meinem Vater. Er will sich darum kümmern!«

      Liebschers Gesicht bekam etwas Farbe. Er strich sich das Haar aus der Stirn, hob beschwörend die Hände und begann mit seiner eindringlichen Stimme zu sprechen: »Leute, erinnert ihr euch? Herr Rohnke hat selbst einmal gesagt: Wer·den Berg aus dem Weg haben will, der muss

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