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sich die Mutter.

      Nein, Suse hatte nichts gesehen. »Ich will das auch gar nicht ohne meinen Herbert sehen. Wenn Herbert wieder da ist, gucken wir es uns zusammen an.« Das große Mädel begann jetzt wirklich mitten auf dem Marktplatz von Jena vor Aufregung zu weinen.

      Wie peinlich – alle vorübergehenden Studenten blickten lächelnd oder mitleidig auf das weinende Professorentöchterlein. Der Vater nahm einen Wagen, um der auffallenden Situation ein Ende zu machen.

      »Na, Kinder, ihr seid nett«, sagte er halb im Ernst, halb im Scherz. »Der eine ist unsichtbar, und die andere fällt durch ihr Geheul auf. Das ist ja ein vielversprechender Anfang.«

      Auch die Mutter meinte: »Suse, erst zankt ihr euch heute morgen, und nun tust du, als ob einer nicht ohne den andern leben kann. Paß auf, Herbert sitzt seelenvergnügt im Sternenhaus und lacht uns alle aus.« Die Mutter wollte sich wohl selbst beruhigen.

      Still lag das Sternenhaus in der Mittagssonne. Kein Herbert ließ sich sehen. Nur Piccola mauzte verlassen.

      »Was nun, Paul?« Frau Professor Winter bekam rote Backen vor Erregung.

      »Passieren kann ihm hier nichts. Er ist ja auch schon groß. Er wird allein auf Entdeckungsreisen ausgegangen sein. Aber komm' du mir nur nach Hause, mein Junge!« Der Professor hob vielsagend die Hand.

      Ach, was kam es denn auf ein paar väterliche Katzenköpfe an. Die machten dem Herbert nicht viel aus. Wenn er nur endlich kommen wollte! Suse guckte sich die Augen nach ihm aus.

      »Decke den Tisch, Suschen«, rief die Mutter aus der Küche, wo sie das Essen wärmte, zu der vom Balkon Ausschau haltenden Tochter hinauf. »Inzwischen kommt der Herbert. Er weiß, daß wir pünktlich um zwei essen.« Der Tisch war gedeckt, wenn auch mangelhaft. Suse verwechselte heute alles. Zwei Messer hatte sie dem Vater hingelegt anstatt des Suppenlöffels. Und das Salzfass hatte sie ganz vergessen. Und war doch sonst so sorgsam und gewissenhaft.

      Es schlug zwei. Wer nicht da war, war Herbert.

      »Nun fängt die Sache an, mir rätselhaft zu werden«, meinte die Mutter kopfschüttelnd. Die Suppe wollte nicht rutschen.

      »Er wird sich verlaufen haben. Er kennt die Entfernungen noch nicht in Jena.« Beruhigend klang des Vaters Stimme.

      »Am Ende ist er zum Prinzessinnengarten zurückgegangen und wartet da auf uns«, überlegte die Mutter, den Braten tranchierend.

      »Oder er ist ins Planetarium hineingegangen.« Wie eine Erleuchtung kam es plötzlich über Suse. Sie war ja auch sein Zwilling.

      »Das ist lange geschlossen. Halt – – –.« Der Professor überlegte einen Augenblick. »War nicht der Vortrag gerade zu Ende, als wir dort waren? Richtig – so wird's sein. Der Schlingel ist heimlich ins Planetarium hineingegangen und sitzt jetzt wahrscheinlich da drin fest während der großen Mittagspause. Daß ich auch nicht eher darauf gekommen bin. Na, viel Vergnügen, mein Junge, laß dir nur die Zeit da im Dunkeln nicht lang werden.« Der Professor lachte belustigt.

      »Im Dunkeln ist mein Herbert?« Suse blieb der Happen in der Kehle stecken. »Warum kommt er denn nicht wieder heraus?«

      »Weil das Planetarium zwischen zwölf und vier Uhr geschlossen ist. Wahrscheinlich ist der Schlingel mit eingeschlossen worden. Ist ihm ganz gesund, die unfreiwillige Haft.«

      »Und zu essen kriegt er da auch nichts.« Suse legte plötzlich Messer und Gabel hin. Als Zwilling mochte sie dann auch nicht mehr essen.

      »Laß ihn nur hungern, den Banditen, geschieht ihm schon recht.«

      »Aber Paul, du weißt ja gar nicht, ob er wirklich im Planetarium eingeschlossen ist.« So schnell war die Mutter nicht zu überzeugen. »Wir wollen doch erst mal nachschauen.«

      »Verdienen tut er, daß er bis vier in Gefangenschaft bleibt. Nur um dich zu beruhigen, Fränzchen, werde ich nach Tisch nachsehen.«

      »Vati, komm gleich, bitte, bitte. Die Schokoladenspeise essen wir nachher lieber mit Herbert zusammen. Mutti hat sie uns zu Ehren gemacht. Und Herbert ißt sie so gern. Komm, Vatichen«, drängte Suse. Sie hatte bereits den Hut wieder auf.

      »Was – auch noch Schokoladenspeise zur Belohnung – daraus wird nichts.« Trotzdem griff der Vater ebenfalls nach Hut, Stock und dem Planetariumschlüssel. Bubi ließ sich nicht bei seinem Futternapf stören. Er war ja auch nicht Herberts Zwilling. Erst als die beiden schon den Berg hinunter waren, schoß Bubi von dem geleerten Futternapf fort wie ein Pfeil hinter ihnen her.

      Die Mutter stand auf dem Balkon und sah ihnen nach. Sie war im Sternenhaus geblieben, falls Herbert sich inzwischen einfinden sollte. Wenn sie ihn nur mit heimbrächten, ihren Jungen. Dort unten floß die Saale – der Herbert war manchmal so tollkühn ...

      Inzwischen hatte sich der junge Held nach einigen vergeblichen Tobsuchtsanfällen, die er an der unschuldigen Tür ausließ, allmählich in sein Schicksal ergeben. Ach, daheim saßen sie gewiß schon bei der Schokoladenspeise. Sein Magen begann laut zu knurren. Das hörte sich in der Stille ganz schaurig an. Warum hatte er auch Suse immer wegen ihrer Angst ausgelacht? Jetzt starrte er selbst mit furchtsamen Augen in die undurchdringliche Finsternis. Wie lange saß er denn schon hier gefangen? Sicher schon seit Stunden. Ihm fehlte jede Zeitberechnung. Ob das Planetarium heute überhaupt nicht mehr geöffnet wurde? Dann mußte er die ganze lange Nacht hier sitzen. Wie würden sich die Eltern, wie würde sich Suse um ihn bangen.

      Alles still. Alles dunkel. Kein Hoffnungsstern wollte ihm im Planetarium aufgehen.

      Erschöpfung trat nach der Erregung und dem Weinen ein. Die Augen fielen dem Jungen zu.

      Da – fuhr er hoch. Was war das? Hatte da nicht irgendwas geraschelt? Eine Maus – gar eine Ratte?

      Nein, der Schlüssel im Schloß war's, der sich drehte – Lichtschein fiel in die Finsternis. Gottlob, er war erlöst!

      »Herbert, bist du hier?« Das war des Vaters Stimme. Da hatte der Professor seinen Jungen bereits am Schlafittchen. »Na warte, Schlingel, wenn du dich wieder heimlich ins Planetarium einschleichen wirst. Bist du mir auch nicht an den Zeißschen Apparat gegangen?« fragte der Vater, während Suse dem Wiedergefundenen jubelnd um den Hals fiel.

      Ein recht kleinlautes, verweintes Bürschchen kam zum Vorschein, das ganz gegen seine Gewohnheit diesmal den Mund gar nicht voll nahm. Zwar blinzelte der Herbert, als ob ihn nur das Tageslicht nach der Dunkelheit blendete, aber man brauchte nicht sein Zwilling zu sein, um zu sehen, daß er geweint hatte.

      So endete Herberts erster Besuch in Vaters Planetarium.

      5. Kapitel

      Schulfieber und Thüringer Klöße

      Die neue Minna hatte nun auch ihren Einzug ins Sternenhaus gehalten. Sie war ein blondes, frisches Ding aus der Gegend von Ruhla. »Minna, ist Ihr Vater Schmied?« erkundigte sich Herbert sogleich.

      »Nu nä, mein Vater ist Schneider. Warum soll er denn Schmied sein, junger Härr?« Die Minna hatte eine eigenartig singende Sprechweise.

      Der »junge Härr« sprang mit einem Satz auf den Küchentisch. »Nu, wenn er Schmied gewäsen wäre, hätte er vielleicht den Landgrafen von Thüringen hartgeschmiedet.« Der Frechdachs machte der Minna ihre singende Sprechweise nach. »Oder kennen Sie etwa die Erzählung vom Schmied von Ruhla nicht?«

      Die Minna hielt im Aufwasch inne. »Nu freilich, das lernt man doch schon in der Schule, wie der Schmied zu Ruhla den Landgrawen von Dieringen hartgeschmiedet hat.« Sie begann wieder ihre Töpfe zu scheuern, ohne zu merken, daß Herbert sie aufzog, daß Suse sich das Taschentuch vor den Mund halten mußte, um nicht loszulachen.

      »Wie war die Geschichte eigentlich mit dem Schmied, Minna?«

      »Nu, wie wird sie gewäsen sein. Der Landgraw von Dieringen, der ein gar weichmüdiger Härr war, hatte sich bei der Jagd verirrt und bat den Schmied von Ruhla um Nachtquardier. Der wußte nicht, daß es der Landgraw sei und ließ ihn eindräden. Da

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