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Vater. Du wärst einer der bekanntesten Sternforscher. Und es ist gut, daß ich nach Jena komme, hat der Großpapa gesagt, denn da wären immer die berühmtesten Männer der Naturwissenschaft gewesen.«

      Dem Professor machte die Unterhaltung mit seinem Jungen Spaß. »Kennst du denn einen, Herbert?«

      »Natürlich, Alexander von Humboldt und Professor Ernst Haeckel, die habe ich mir doch als Vorbild genommen.«

      »Ein besseres Vorbild brauchst du nicht«, lachte der Vater und wandte sich suchend nach seinen Damen um. Die waren mit Bubi bereits vorausgegangen.

      Die Mutter zeigte Suse gerade das Lyzeum, in dem sie schon als Schülerin angemeldet war. In acht Tagen begann das Wintersemester.

      Suse betrachtete das Gebäude, das von schönen Anlagen umgeben war, mit geteilten Gefühlen, teils neugierig, teils beklommen. Die Schule spielt im Leben eines jeden Kindes die Hauptrolle. Nun war sie über ein Jahr dem deutschen Unterricht entfremdet. Sie hatte in Neapel eine italienische Schule besucht. Ob sie da in der vierten Klasse mitkommen würde? Zwar hatte sie und Herbert während ihres Sommeraufenthalts in Freiburg bei den Großeltern in Deutsch, Rechnen und Geschichte Privatunterricht gehabt, um die Lücken auszufüllen. Aber ob das genügte?

      Herbert war selbstbewußter. Als der Vater ihm sein unweit davon gelegenes Gymnasium, das den stolzen Namen Carolo-Alexandrinum trug, zeigte, meinte er: »Die werden sich wundern, wie fein ich italienisch spreche.«

      »Dazu wirst du vorläufig wenig Gelegenheit haben, mein Sohn. Auf Latein und Griechisch wird hier der Hauptwert gelegt. Ich habe lange geschwankt, ob ich dich lieber in ein Realgymnasium geben soll. Aber da du bereits in Neapel Latein getrieben hast, mochte ich das schon einmal Gelernte nicht brachliegen lassen.« Der Vater wies auf einen bergwärts führenden Weg. »Hier geht es zum Ernst-Abbe-Jugendheim und weiter zum Landgrafenberg hinauf. Von dort hat man einen Blick auf das Schlachtfeld.«

      »Auf welches Schlachtfeld?« fragte Suse.

      »Menschenskind, bist du vernagelt. Wenn du hier in Jena bist, wird es wohl nicht das Schlachtfeld von Leipzig sein.« Herbert tippte zum Überfluss noch mit dem Finger gegen die Stirn.

      »In welchem Jahre war denn die Schlacht bei Jena, Herr Besserwisser?« fragte die Mutter.

      Eine peinliche Frage, wenn man sie nicht zu beantworten weiß. Aber Herbert war so leicht nicht aus der Fassung zu bringen.

      »Das – das muß vor der Schlacht von Leipzig gewesen sein. Bei Jena hat doch Napoleon über die Deutschen gesiegt. Und nachher haben die Deutschen bei Leipzig sich von der Fremdherrschaft Napoleons wieder freigemacht.«

      »Richtig. 1806 war die Niederlage bei Jena und 1813 die Völkerschlacht bei Leipzig. Suschen, das mußt du in der Schule wissen«, meinte die Mutter bedenklich.

      Ach, Suse machte ein noch viel bedenklicheres Gesicht. Sie wußte es schon im voraus, daß auch sie in Jena eine Niederlage erleben würde.

      »Vater, gehen wir hinauf auf den Berg, das Schlachtfeld anzusehen?« erkundigte sich Herbert.

      »Nein, mein Sohn. Man sieht nichts mehr davon, wie böse es da hergegangen, wieviel Blut hüben und drüben geflossen ist. Wir wenden uns lieber Werken des Friedens zu. Der Krieg reißt ein, was Kultur aufbaut. Kommt, ich zeige euch die Stätten friedlicher Arbeit. Dort drüben sind die physikalischen Institute. Da ist auch die Hauptstation für Erdbeben, der ein Teil meiner hiesigen Arbeit gilt.«

      »Erdbeben – bebt es hier etwa auch?« Suse war die einzige, die bebte. Sie hatte in Italien ein Erdbeben erlebt. Das hatte auf das zarte Kind einen furchtbaren Eindruck gemacht. Der Vater beruhigte sie.

      »Jetzt sollst du den Prinzessinnengarten zu sehen bekommen, Suse«, lenkte er ab.

      An einer alten Friedhofsmauer führte der Weg entlang.

      »Vater, hier gibt's ja Zypressen wie in Italien«, wunderte sich Suse.

      »Die Zypresse mit ihrer niederhängenden, düsteren Benadelung ist der Baum des Todes. Man findet ihn auf allen Kirchhöfen, Kind.«

      Und nun stand man an der Pforte des Prinzessinnengartens. Wie ein alter verwunschener Märchengarten öffnete er sich. Altmodisch verschnörkelte Heckenwege, purpurnes Blutbuchengezweig umspann das weinumrankte Sommerschlösschen, das da mit seinem Blumenrondell still von Zeiten träumte, in denen Goethe und Wieland hier ein und aus gegangen.

      »Seht ihr den Obelisk dort neben dem Hause, Kinder? Er trägt drei Goethesche Sprüche als Inschrift. Hier ist das Reich der Musen, und dort drüben seht ihr das Neuland der Technik – das Zeiß-Planetarium.« Durch buntes Herbstlaub wurde die gewaltige Kuppel sichtbar.

      »Vater, hießen die Prinzessinnen, die früher hier gewohnt haben, Musen?« Suse konnte sich von dem verwunschenen Schlößchen nicht so rasch trennen.

      Herbert, der gerade spornstreichs zum Planetarium wollte, hemmte den eiligen Schritt.

      »Ist es denn die Möglichkeit – die Suse – kennt keine Muse!« zog er sie schon wieder auf.

      »Na, kennst denn du se?« reimte die Mutter lachend weiter.

      »Natürlich.« – Das klang sehr großartig. »Das waren doch 'ne ganze halbe Mandel – nee, nee –.« Er sah, daß der Vater die Augenbrauen hochzog. Da stimmte irgend was nicht. »Nee, ich weiß schon, alle neune waren das. Neun griechische Weiber, jede hatte einen andern Beruf. Eine war Schauspielerin, und eine war Tänzerin. Und dann gab's welche, die hatten Geschichte, Musik und die Sterne studiert. Und die heißen Musen.« Diesmal mußte es sich Herbert gefallen lassen, ausgelacht zu werden. Die Eltern konnten nicht ernst bleiben bei dieser merkwürdigen Erklärung.

      »Herbert, Junge – nach Mandeln hat wohl noch keiner die Musen gezählt.« Die Mutter lachte, daß sie Tränen in den Augen hatte.

      »Alle Neune gibt's beim Kegelspiel, Herbert, aber nicht bei den alten Griechen. Die neun Musen waren griechische Göttinnen, die Kunst und Wissenschaft verkörperten. Das muß ein Quartaner wissen. Ich habe euch doch in Italien Marmorbildnisse gezeigt, welche die Musen darstellten.«

      »Ach, Vater, die sehen ja alle gleich aus.« Für Kunst hatte Herbert noch nicht viel übrig.

      »Weißt du denn wenigstens, was nach der Muse der Sternkunde heißt, Junge?«

      Eigentlich wußte es Herbert nicht. Aber da er das um keinen Preis zugestehen mochte, sagte er auf gut Glück: »Das Planetarium.«

      »Falsch! Planetarium kommt von Planet her. Man überlegt erst, und dann spricht man. Na, Suschen, vielleicht weißt du's?«

      »Nee, wenn der Herbert es nicht weiß, brauche ich es auch nicht zu wissen.« Suse hatte absolut nicht den Ehrgeiz, mehr zu wissen als ihr Zwillingsbruder. Von klein auf war sie daran gewöhnt, daß er alles besser wußte.

      »Die Muse der Sternkunde heißt Urania.«

      »Ach, nun weiß ich«, fiel Suse erfreut ein. »Danach heißt die Urania in Berlin, wo wir mal die feine Reise in die Wüste von Afrika gemacht haben.«

      »Jedes Institut für Sternenkunde heißt Urania, Suschen. Wir haben hier in Jena auch eine Urania-Sternwarte. Aber du hast recht, Kind. Ich habe euch damals in die Berliner Urania zu einem Reisevortrag mit Lichtbildern mitgenommen.«

      »Kientopp ist viel interessanter«, meinte Herbert. »Vater, wann dürfen wir ins Kino gehen?«

      »Hier habt ihr das schönste und gleichzeitig lehrreichste Kino«, sagte der Professor. Sie standen vor dem Planetarium. Der Vortrag war zu Ende. Das Publikum strömte heraus.

      »Ein Kino ist das Planetarium – ach, Vater, du machst uns bloß was weis«, rief Herbert.

      »Das Planetarium ist ein Film, in dem sich die Himmelskörper bewegen, ein Theater, in dem Sterne die Schauspieler sind, und gleichzeitig ein Schulsaal unter dem Gewölbe des Himmels, in dem man seine Kenntnisse bereichert«, setzte der Professor seiner Familie auseinander. »Alles dies schließt das Planetarium in sich.«

      Es

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