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Wie ein Dornenbusch. Wilfried Schnitzler
Читать онлайн.Название Wie ein Dornenbusch
Год выпуска 0
isbn 9783847659693
Автор произведения Wilfried Schnitzler
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Deutschland verwandelte sich nach dem Krieg zwischen Frankreich und Preußen im neu gegründeten Deutschen Reich rasch von einem armen Bauernstaat in eine Industrielandschaft. Statt bitterer, überall verbreiteter Armut, setzte allmählich ein gewisser Wohlstand ein. Viele Menschen waren vom Land in die Städte gezogen und suchten nach Arbeit. Große Wohnghettos entstanden ohne Freiräume für die Kinder, ohne Grün. Man sehnte sich nach Platz, Licht und Luft, gewohnt, von wo man herkam. Ein Dr. Schreber setzte sich bei der Stadt Leipzig für den Bau von Spielplätzen nahe den Behausungen ein, die rasch zu Refugien, nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Eltern wurden, raus aus ihren tristen Wohnungen. Um die Spielplätze konnten die Kinder Beete mit Gemüsepflanzen anlegen, daraus wurden Beete von den Eltern, was sich allmählich in kleine Gartenanlagen mit Lauben entwickelte. Die Stadt erkannte schnell die Annehmlichkeiten, die ein gehegter Garten mit sich brachte und begann sich darum zu kümmern, dass Kleingartenvereine gegründet wurden. Unerwartet wuchs aus Spielplätzen willkommener, zusätzlicher materieller Nutzen durch die Ernte von Obst und Gemüse für den eigenen Haushalt. Die Lust auf Natur und das Familienleben wurde gefördert. Es entstand so ganz nebenbei ein neuer staatstragender Zusammenhalt.
Viele Amateurgärtner suchten nach Anleitung, damit die Pflänzchen auch richtig wuchsen. Stadtverwaltung und Kleingartenverein fanden in Jakob Jung den richtigen Idealisten, den Enthusiasten, der mit großer Hingabe und Geduld den Freizeitwerklern das Gärtnern beibrachte.
Cornelius musste Jakob eingestehen, dass er von diesem neuen Zeitgeist in Leipzig nichts mitbekommen hatte. Er wuchs in einer Straße auf, nicht gesäumt von Bäumen, sondern von Reihenhäusern, deren Wohnungen seine Stadt, den kinderreiche Familien für billige Miete zur Verfügung stellte. Da war kein Raum für einen Spielplatz oder Gärtchen vorm Haus. Welch ein Traum! Seine Familie hätte sich in einem solchen Umfeld ganz anders entwickelt.
»Jakob, du hast also auch so einen Kleingarten gehabt, du Glücklicher?«
»Nein, nein, Cornelius, ich habe den Leuten geholfen, wie man am besten einen Garten anlegt und bewirtschaftet. Dazu gehörte auch sie zu lehren, wie man Pflänzlein anziehen und pflegen soll, welche Pflanzenorgane zum guten Wachsen und Gedeihen wichtig sind, ich meine die Aufgabe der Wurzeln, des Stängels oder des Stamms, der Blätter, der Blüten und der Samen.«
»Nimm die Blätter, die bilden im Einklang mit den Wurzeln die hauptsächlichsten Ernährungsorgane der Pflanzen. Sie sind die Lunge und der Magen der Pflanze, denn durch die Poren an den Blättern wird im Sonnen-licht die für uns giftige Kohlensäure eingesaugt, welche in den Zellen der Pflanze in Kohlenstoff und Sauerstoff zersetzt wird. Der Kohlenstoff wird gespeichert, den Sauerstoff haucht die Pflanze zum größten Teil wieder durch die Blätter aus. Das Blatt ist also Atmungsorgan der Pflanze, die ebenso gut wie wir Menschen, zur Atmung des Sauerstoffes bedarf, der aus der Luft aufgenommen, im Blattinnern teilweise mit dem Kohlenstoff verbrennt und als Kohlensäure im Schattendunkel ausgeschieden wird. Die Blätter nehmen auch noch andere Gase und wässerige Düfte auf und lassen das überschüssige Wasser entweichen.«
»Stopp, stopp, Jakob, das war für mich zu viel auf einmal. Das weißt du alles? Da bist du ja ein richtiger Botaniker!«
»Also, ich will nicht unbescheiden sein, aber ich möchte anmerken, dass ich da noch eins drauf setzten kann. Ich bin mehr als nur ein studierter Pflanzenheini, denn ich weiß auch, wie Pflanzen kultiviert werden, welchen Boden und welche Nahrung sie brauchen, wie man sie gesund erhält und welche Arten sich am besten vertragen und zusammengepflanzt werden.«
»Das ist wirklich faszinierend und bei alledem lebst du als Gärtner noch in der Natur mit den Vögeln und den Schmetterlingen.«
»Ja, Cornelius, aber bei aller Romantik, die du da gerade verbreitest, vergiss bitte das schlechte Wetter nicht, das wir doch recht häufig in unserem geliebten Deutschland haben. Und das Bücken, da ist mir so manches Mal das Kreuz abgebrochen.«
»Du hast Recht, Jakob, ich habe in Gedanken nur die schönen Blumen und den großen Gärtnerhut gesehen. Das alles ist sehr weit weg von mir. Ich bin in meinem jungen Leben, und auch noch heute, immer ein Stubenhocker gewesen. Aber du solltest mit deinem Wissen ein Buch darüber schreiben, oder hast du das schon? Denk dir nur, du könntest mit einem Buch so viel mehr Menschen mit deinem Wissen erreichen und beglücken, als nur die paar Leute, mit denen du dich im Kleingartenverein abgegeben hast.«
Jakobs Augen waren wieder melancholisch geworden. Er hatte seine linke Faust in seine rechte Handfläche gelegt und presste einen Finger nach dem anderen, bis es laut knackte. Er konnte das prächtig, Cornelius aber bereitete es Unbehagen und machte ihn nervös. Jakob schien das aber zu helfen beim heftigen Nachdenken.
»Nein, Cornelius,« erwiderte er endlich zögerlich und mit leiser Stimme, die gar nicht mehr so euphorisch klang, wie noch vor einem kurzen Augenblick. »Nein, ich bin eher ein praktischer Mensch, könnte mir nicht vorstellen lange mit einem Griffel in der Hand herumzusitzen. Da ist mir der Spaten und ein Schweißtuch doch lieber.«
Cornelius streckte impulsiv seine Hand über den Tisch, presste Jakobs Arm verständnisvoll und nickte. »Kann ich mir vorstellen, jeder soll das machen, was er am besten zu können glaubt und was einem Spaß macht. Ohne Spaß sollte man erst gar nichts anfangen.« Im selben Augenblick, wo er diese, ach so lebenskluge Floskel von sich gab, da wurde ihm klar, wie seine eigene, noch nicht einmal begonnene Lage, unweigerlich enden würde. Er hatte sich selbst mit seiner Bewerbung ad absurdum geführt, wusste aber keine Lösung für den Konflikt, in den er sich mit seinem Entschluss nach Panama aufzubrechen, gebracht hatte.
Ihre Umgebung wurde lebhafter, andere kamen in die Küche und setzten sich mit gefüllten Blechnäpfen um den Tisch. Die Erholung nach der rauen See hatte also eingesetzt. Ein Blick in die Schüsseln und eine Nase voll des Odeurs genügte, um ihnen den Appetit vergehen zu lassen. In der Kantine konnten sich Passagiere des Zwischendecks für ein paar Groschen ein warmes Abendessen kaufen. Heute gab es ein grau-grünes Gestampftes – dem penetranten, angebrannten Geruch nach war es wohl Kohl – offensichtlich zu Tode gekocht, in dem ein Stück sehr fetter Schweinebauch eingebettet lag. Im Aufstehen überhörten beide, wie einige sich darüber beschwerten, dass das Gepökelte furchtbar salzig sei.
Ziemlich angewidert von diesem kulinarischen Angebot verließen sie schwankend die Kombüse zurück zu ihren Kojen; Seegang hatte wieder eingesetzt, das Schiff rollte stetig.
»Komm Cornelius, ich hab noch eine schöne, große Gurke, die teilen wir uns, bevor sie verdirbt. Ist nun schon eine Woche alt, aber ich hatte sie ganz frisch geerntet.«
»Und ich habe für uns noch Brot und Schmalz und sogar Salz dafür.«
Die beiden hatten sich so richtig daran gewöhnt ihre Vorräte zu teilen. Ganz nebenbei machte es auch Spaß gemeinsam zu essen, auch wenn es nicht gerade viel und abwechslungsreich war.
In ihrer Kajüte hatten sich tatsächlich einige nützlich gemacht und auf den Gängen das Sägemehl ausgestreut. Der Mief war ziemlich verflogen, aber die Kabine glich nun mehr einem Stall. Cornelius versuchte seine Schuhe so vorsichtig es ging von den Füßen zu streifen, um die Streu nicht auch noch auf seiner Matratze auszubreiten. Er wollte ja seine Koje nicht in einen Pferch verwandeln. Neugierig beäugte er das Bändchen, in dem Jakob blätterte. Mehrere rot gebundene Büchlein lagen um ihn verstreut.
»Was liest du denn da, Jakob?«
»Hier, nimm dir ein Buch, das ist 'Die Gartenlaube', da ist richtig kurzweilige Lektüre drin. Die Zeitschrift wird in meiner Heimatstadt aufgelegt. Habe mich damit reichlich vor meiner Abreise eingedeckt. Ist ja auch hübsch