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Cornelius saß plötzlich kerzengerade wie ein Zinnsoldat auf seinem Platz, doch auch Caros und meine Aufmerksamkeit soll fairerweise nicht unerwähnt bleiben. Es war schon sehr spät geworden und ich war mir ganz sicher, die Kinder hatten wirklich genug für heute gehört.

      Lisa und ich gingen anschließend schlafen. Nochmals zog der Tag an mir vorbei. Die Tage, an denen ich bisher erzählte, vollzog sich etwas Besonderes. Caroline und Cornelius hatten einen Teil ihrer Familiengeschichte nun bewusst verinnerlicht. Ihre eigene Identität und ihre Prägung würden damit verbunden sein, und der nächsten Generation mit individuellem Anstrich weitergegeben werden. Wunderbar!

      4. Der Beschluss

      Wenige Tage später saßen wir nach getaner Arbeit wiederum auf dem Dachboden, weil noch längst nicht alles Wichtige erzählt worden war, was sich damals nach der Ankunft der Konstanze ereignete. An jenem Abend versuchte ich eingangs resolut meine Vorstellungen des Weitererzählens umzusetzen, weil ich das Gefühl hatte, mir liefen die Fäden auseinander.

      „Kinder, die letzten Tage kamen immer öfter einzelne Fragen von euch, was mir erfreulicherweise euer Interesse zeigte. Deshalb sollte ich jetzt weiter erzählen, damit wir mit der Vergangenheit geordnet zu einem Ende kommen können.“

      „Wie erging es Julie und Jacob?“, fragte Cornelius eifrig und Caroline stand ihrem Bruder um nichts nach:

      „Und wie ging es mit Peter, Irina, Dr. Fabius, Alex, Maurice, Jean-Claude, Louis und Jean, den Dubois` und den anderen weiter, von denen du erzähltest, Vater?“

      „Wenn du mir so wuchtig vor Augen führst, was ich noch alles erzählen muss, dann überlege ich mir es noch mal, Caroline!“

      „Nein, nein. Du machst das gut. War nicht so gemeint. Lass dir Zeit. Womit fangen wir an?“

      Mit leicht verwirrtem Blick suchte ich nach dem Anfang. Sie hatten mich nicht verstanden. Der Anfang musste das Resümee des zuletzt Erzählten sein.

      Nachdem Jacob in Amerika als verschollen galt, eure Großmutter verstorben und Josephine aus unserem Leben verschwunden war, wurde es sehr still im Hause Johann Ludwig Kock. Der einzige Lichtblick zu diesem Zeitpunkt war die wieder erstarkte Verbundenheit zwischen Hinrich und mir. Lange suchten wir nach einem geeigneten Kontoristen, der Josephine ersetzen konnte. Die familiäre Lücke, die sie hinterließ, war freilich nicht zu füllen. Dann wurde Tante Konstanze mit Jost-Gunnar schwanger und schon bald sollte wieder ein wenig Freude einkehren und neues Leben in die Katharinenstraße einziehen. Sieht man von alledem ab, plagte mich seit der Ankunft des Walfängers nur ein einziger Gedanke: Wie können wir Jacobs unglückliches Schicksal und das seiner Freunde, die mit ihm verschwanden, noch zum Guten wenden? Sollten wir die Verschollenen einfach aufgeben? Nein! Nein und nochmals nein! Tante Nathalie und Onkel Clemens hatten inzwischen zurückgeschrieben. Sie waren sehr bestürzt und würden mich in meinem Vorhaben, etwas zu unternehmen, mit allen erdenklichen Mitteln unterstützen. Dieser Brief untermauerte mein Bestreben geeignete Maßnahmen zu ergreifen und half mir, mit dem Schuldgefühlen Lisa gegenüber, besser fertig zu werden.

      Im strengen Winter des Jahres 1756/57 schmiedete ich an dem Plan, Jacob suchen zu wollen. Immer wieder verwarf ich meine Ideen und es machte mich ganz krank, keinen sprühenden Funken in mir wahrzunehmen, als Basis eines angemessenen Rettungsplanes. Noch einmal müsste ich Lisa zurücklassen, obwohl ich wusste, wie sehr sie darunter leiden würde. Noch einmal bestünde die Gefahr, der Familie viel Kummer zu bereiten. Schließlich hatte ich doch eine einigermaßen brauchbare Idee und rief sogleich in vollem Eifer die Familie zusammen.

      „Ich möchte euch heute meinen Plan vorstellen, Jacob zu retten und ihn wieder nach Europa zu bringen.“ Ein Raunen ging durch die große Diele, bis hin zu Marias gläsernen Kontor. Die Dienstmagd tauchte augenscheinlich in ihrem Glaskasten ab, als wolle sie im Boden versinken. Aber Maria sammelte nur ihr Strickzeug auf, das sie vor Schreck fallen gelassen hatte. Sie wusste den richtigen Moment abzupassen, denn sie ahnte den weiteren Verlauf des Zusammentreffens voraus. Darauf verließ sie eilig den gläsernen Anbau und das familiäre Geschehen.

      „Soll das heißen, dass du nochmals nach Amerika willst? Ein Land im Krieg, nach all den mörderischen Erfahrungen, die du dort gemacht hast“, empörte sich Lisa gleich anfangs, die durch den Brief aus La Rochelle längst wusste, was auf sie zukommen würde.

      „Wer außer mir sollte es sonst tun? Überlege, Onkel Clemens muss im Kontor in La Rochelle bleiben. Ich muss ihn bei der Suche nach seinem Sohn vertreten. Mit meinen Erfahrungen bin ich der Einzige, der eine Chance hat, Jacob dort zu finden!“

      „Wie stellst du dir das vor? Du hast doch sicher bereits eine Idee“, wollte Vater wissen, während Lisa kleine Tränen über die Wangen liefen und sich auf ihrer Stirn kleine Falten bildeten, wie immer, wenn es für sie schwierig wurde.

      „Ich fahre mit den schlesischen Leinen nach London. Doch diesmal segeln wir mit der Konstanze! In London frage ich unseren langjährigen Partner, Peter Fishbone, ob er uns eine Ladung in die Neue Welt organisieren kann. Ich bin sicher, dass er mir helfen wird. Er kennt Jacob und wird mich schon deshalb unterstützen. Dann segeln wir ziemlich gefahrenlos nach Boston oder New York. Dort wird die Ladung gelöscht und ich bleibe zurück und werde mich auf die Suche nach Jacob begeben. Die Konstanze wird zum Walfang ins Eismeer segeln und mich noch vor dem Winter wieder aus den englischen Kolonien abholen. Ich werde mich auf sicheren Pfaden durch die Kolonien bewegen und diesmal das Pferd von hinten aufzäumen! Eine weitere Anreise über das französische Quebec erscheint auch mir auch als zu riskant, da gebe ich dir Recht, Lisa. Das war auch der entscheidende Punkt bei meinen Überlegungen. Es gibt über Maine einen Korridor ins Quebecer Hinterland über das Kennebectal, einem großen Fluss. Lediglich ein kleiner Gebirgszug trennt die Kolonien der Briten und Franzosen.“ Der kleine Gebirgszug stellte sich später als etwas größer heraus – die Appalachen.

      „Kapitän Broder und ein Großteil der Mannschaft hatten bereits für März zugesagt ins Eismeer zu segeln, aber unter diesen Umständen…?“, sagte Hinrich, der skeptisch drein schaute, genauso wie die Namensgeberin des Walfängers Konstanze, die neben ihm saß.

      „Ich habe mit einem solchen Vorschlag nicht gerechnet, Caspar. Ich muss darüber nachdenken und du solltest mit Lisa nochmals gründlich darüber reden. Ich möchte nicht, dass wir erneut Anlass zum Streit innerhalb der Familie haben werden. Die letzten Monate waren für uns alle schwierig genug gewesen.“

      „Gut Vater, ich werde deinem Wusch entsprechen und mit Lisa ausführlicher darüber reden.“

      „Wir sehen uns alle sonntagmittags zum Essen in der Katharinenstraße und dann besprechen wir über alles Weitere. Vielleicht haben wir bis dahin neue Vorschläge zu machen“, erwiderte Vater, dem deutliches Unbehagen in der Stimme lag, und plötzliches Unwohlsein anzusehen war.

      Lisa hatte sich ihren Frontalangriff diesbezüglich für zuhause aufbewahrt. Sie hatte als kluge Frau immer vermieden, unsere Meinungsverschiedenheiten vor der Familie oder gar vor anderen auszutragen.

      „Es war Jacobs Entscheidung in Quebec bei seiner Julie oder wie sie heißt, zu bleiben“, fing sie harmlos an. „Er hat dich wegen ihr mit dem ganzen Geld alleine quer durch Amerika ziehen lassen! Deshalb ist es albern zu behaupten, einer Verpflichtung nachgehen zu müssen. Ich empfinde für Jacob genauso Zuneigung wie du, doch eine Risikoabwägung, wenn es um das eigene Leben geht, muss wohl erlaubt sein! Vielleicht kümmern sich die Angehörigen von den anderen um die Verschollenen oder meinst du, alles wartet nur auf Caspar Kock und seiner internationalen Truppe?“

      Bei ihren Ausführungen wegen der Verpflichtung war vielleicht ein Hebel anzusetzen noch manierlich, doch der Rest ging mir entschieden zu weit:

      „Wie stellst du dir die Unternehmung des Gastwirts Monsieur Leroux vor, Lisa? Soll er seine Herberge schließen und zu den Irokesen verreisen. Vor Ort würde er vermutlich sagen; liebe Wilde, gebt mir meine Tochter und ihren Knecht zurück, dann bekommt ihr ab nächste Woche die Suppe de Jour zum ermäßigten Preis in meinem Gasthaus!“

      „Deinen grässlichen Spott kannst du dir sparen,

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