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kommt auch noch dieser unfreundliche Mann aus dem Norden daher, mit seiner beängstigenden Entdeckung. Seline spürte, dass dieser Mann sie auf unbestimmte Weise ablehnte. Und das schon vom ersten Augenblick an. Es hatte sie tief verletzt, so grundlos abgeurteilt zu werden. Schlimm genug, doch nun musste sie ihm auch noch dauernd begegnen. Und dabei dann jedes Mal diesen abschätzigen, bemessenden Blick von ihm ertragen. Ich bin zu mir selbst schon hart genug, dachte Seline traurig. Da brauche ich Niemanden, der mir diese Aufgabe auch noch abnimmt. Doch jetzt nicht mehr, schöpfte Seline neue Hoffnung. Vorerst war sie also zumindest davon erlöst, jubilierte sie innerlich. Dabei bemerkte sie gar nicht, wie sie vor lauter Vorfreude angefangen hatte, still vor sich hin zu lächeln. Bis sie plötzlich ein Räuspern hinter sich vernahm. Es war Trahil. Er fing Selines erschrockenen Blick ein und gab ihr kaum merklich ein Zeichen. So, dass nur sie es sehen konnte, deutete er mit geweiteten Augen auf die schweigend wartende Menge der Boten zu ihrer Linken. Oh nein, dachte Seline beklommen und konnte es gerade noch vermeiden, sich vor Schreck mit der Hand an die Stirn zu fassen. Doch ein schneller Blick hinauf zur Sonne zeigte ihr, dass es auch erst jetzt an der Zeit war für den Segen. Zufrieden seufzend bestieg Seline das Holzpodest vor ihr. Und wie sie es gelernt hatte, atmete sie tief durch, um ihren Geist zu beruhigen und ihre Gedanken zu klären. Doch als sie in all die Gesichter sah, die schweigend und erwartungsvoll zu ihr aufblickten, da wurde ihr das Herz von ganz alleine weit und jeglicher Kummer verflog. Sie lächelte voller Liebe. Denn sie spürte die Furcht, aber auch den Mut und die bereitwillige Entschlossenheit, die hinter den ernsten Gesichtern der zum Aufbruch bereiten Boten verborgen lag. Und auch in den Gesichtern der hinter ihr stehenden Ratsmitglieder und Bürger von Melan konnte sie Furcht, Hoffnung und Schicksalsbereitschaft erkennen. Tiefes Mitgefühl für alles Lebendige durchflutete Seline. Alles Lebendige, das sich Tag um Tag mühte. Bereit das Leben zu leben, immer auch in letzter Ungewissheit und letztlich auch immer in der Angst vor dem Tod. Und mit einem Mal erkannte Seline auch das wahre Wesen Trismons. Seine Härte, nur erwachsen aus einem tiefen sorgenvollen Bemühen. Unfreundlichkeit, letztendlich nur erwachsen aus dem Wunsch, alles möge sich doch noch immer wieder zum Guten wenden. Das helle Licht der Sonne schien Seline mit einem Mal so gleißend und strahlend, dass sie kaum mehr sehen konnte. Alles wurde von dieser Helligkeit überstrahlt. Seline musste ihre Augen schließen. Unvermögen, drang es durch ihren Geist. Alles, was Lebewesen einander antun, ist nur erwachsen aus ihrem Unvermögen dem Leben gegenüber. Aus der Angst eines beängstigend ungewissen Lebens. Tränen rannen Seline über die Wangen, als sie ihre Arme dem Himmel entgegenstreckte, um den Segen für alle Anwesenden hier zu erflehen. Vermutlich waren ihre Augen von dem unglaublich hellen Licht zu stark geblendet worden. Was sie jedoch nicht wusste war, dass das Licht für alle Umstehenden nicht anders wirkte als sonst. Seline fühlte, wie die Liebe, gleich dem wärmenden Licht der Sonne, vom Himmel herab in ihren Körper drang, ihn anfüllte bis er davon überfloss und sich dann auf die Umgebung ergoss. Seline fühlte Liebe und Mitleid für das Land, das sich ewig Wandelnde. Fühlte Liebe und Mitleid für alle Pflanzen, Tiere und Balinen, die immer aufs Neue wurden und vergingen. Und sie bewunderte den tiefen unendlichen Mut des Lebens zu leben. Seline merkte gar nicht, welch tiefen Frieden sie auf die Umgebung verströmte. Einige der Kinder hatten sogar angefangen zu schnurren. Und mit gelöst entrückter Stimme sprach sie: „Reitet nun. Reitet mit unser aller Segen. Reitet mit dem Segen des Allliebenden!“ Und der aufbrandende Donner in ihren Ohren, der darauf folgte, das Vibrieren des Bodens zu ihren Füßen und der Wind auf ihrem Gesicht, als die Limtaane an ihr vorbeistürmten, waren ein Zeichen dafür, dass das Leben selbst, Selines Ruf beantwortet hatte. Mit all seiner berstenden Kraft.

      21. Kapitel

      „Schau nur, wie prachtvoll schon alles aussieht, Lethon!“, sagte Tiria. „Das Frühlingsfest zu Ehren des neu beginnenden Kreises ist mir immer eines der Liebsten!“ Der junge Mann mit den kurzen, glatten schwarzen Haaren lächelte. Seine schwarzen Raubtieraugen funkelten vergnügt und sein schmales, eher nachdenklich sanftes Gesicht entblößte weiße, spitze Zähne. Er antwortete: „Tiria du bist wie immer zu ungeduldig. Du musst mit deiner Beurteilung warten, bis sich heut Abend die ersten Sterne am Himmel zeigen. Wenn dann die Lagerfeuer entzündet werden und alles erstrahlen lassen, das nenne ich prachtvoll!“ „Oh, das wird ja noch schöner sein.“, hauchte Tiria verzückt. Geistesabwesend hob sie die Hände an ihr Kinn und stieß dabei gegen einen Korb mit Blumen und Kräutern. Der Korb wackelte und fiel, noch bevor Lethon ihn abfangen konnte, vom Holztisch an dem die beiden gerade Girlanden fertigten. Ein bunter, wohlriechender Teppich aus verschiedensten Pflanzen lag nun vor ihnen auf dem Boden. „Oh nein!“, jammerte Tiria. „Auch das noch, wo wir doch sowieso schon viel zu langsam mit dem Festschmuck vorankommen. Seline hatte mich gefragt, ob wir noch mehr Hilfe brauchten. Aber ich habe behauptet, wir schaffen das allein.“, erklärte sie kleinlaut und warf einen flüchtigen Blick zu Seline. Die war jedoch weiter entfernt damit beschäftigt, mit vielen anderen Melanen, die Lagerfeuer vorzubereiten. Rund um den Festplatz auf der großen Wiesenfläche vor Melan wurden große Haufen von dicken Holzscheiten, gespickt mit kleinen Ästen, aufgeschichtet. Seline war vollauf beschäftigt und hatte nichts bemerkt. Tiria seufzte erleichtert, denn schließlich hatte ihre Freundin schon mehr als genug um die spitzen Ohren. „Ach so war das!“, grinste Lethon breit. „Und ich hatte mich schon gewundert, warum Seline uns soviel Arbeit alleine aufgehalst hat.“ Tiria schien mit einem Mal sehr verlegen und darum fügte Lethon schnell hinzu: „Wir schaffen das schon! Allerdings müssen wir uns dann nun wirklich beeilen.“ Das war den beiden nur recht, herrschte doch plötzlich eine so seltsam angespannte, verkrampfte Stimmung zwischen ihnen beiden, wie noch nie. Schließlich kannten sie sich mehr oder weniger schon seit Kindertagen. Schnell knieten sich die Beiden auf den Boden und rafften alle Blumen und Kräuter wieder in den Korb. Dabei vermieden sie jedoch sorgsam jeglichen Blickkontakt. Und durch das laute Schweigen zwischen ihnen, wurde so viel Kraft freigesetzt, dass sie nun in Windes eile alle Girlanden fertig bekamen. Allerdings war es in der angespannten Hast zu einigen Fehlern gekommen. Wodurch nun viele der bunten Blumenköpfe im dichten Grün steckten und nur ihre grünen Stielenden verwundert aus der Girlande hervorlugten. Als sich die Beiden ihr fertiges Werk betrachteten, trug Tiria deshalb einen Ausdruck tiefster Verzweiflung zur Schau. Lethon jedoch musste bei ihrem Anblick, wie sie da so stand, die Girlande in der Hand, mit einem Blick, als wäre ihr Leben nun verwirkt, anfangen zu lachen. Er konnte gar nicht mehr aufhören und war bemüht, sich nicht gleich auch noch auf dem Boden zu wälzen vor lachen. Tiria war von seinem Verhalten zunächst verblüfft. Dann jedoch wurde sie wütend auf ihn. Aber schließlich musste sie auch selber lachen. Damit war dann auch endlich wieder die Spannung zwischen ihnen beiden gelöst. Beide hatten sich gerade wieder gefangen und Lethon wischte sich noch die Tränen von den Augen, als plötzlich einige dunkle Gestalten am Rand des Waldes seine Aufmerksamkeit erregten. Sie traten aus den Baumschatten hervor und überquerten rasch die große Wiesefläche, die Melan vom Wald trennte. „Leguren!“, rief Lethon freudig aus. Und zu Tiria gewandt, sagte er strahlend: „Das bedeutet mehr Milch für unser Festessen!“ Tiria freute sich ebenfalls, hielt sich jedoch lieber im Hintergrund. Denn die Leguren schienen ihr für wahr imposante, Respekt einflössende Erscheinungen. Ausgewachsen so groß wie ein Mann, hatten die in etwa die gleiche Körperform wie ein Limtaan. Nur ihr Kopf und ihre Ohren waren kleiner. Dafür hatten sie jedoch einen langen, unbehaarten, spitz zulaufenden Schwanz, den sie zumeist hinter sich her über den Boden zogen. Am Eindrucksvollsten, so fand Tiria, waren jedoch die langen, weißen Schneidezähne, die ihnen vorne aus dem Maul ragten und viel spitzer zuliefen, als bei einem Limtaan. Auch waren Leguren viel flinker und wendiger als die Reittiere der Balinen. Ihre wachen, klugen, runden dunklen Augen und die immer in Witterung zuckende spitze Schnauze, zeugten von dem wachen Verstand dieser geselligen Tiere. Hier näherte sich Lethon und Tiria nun eine Gruppe von Muttertieren mit ihren Jungen. Das kurze, schimmernde, hellgraue Fell der Tiere wirkte sanft und weich. Zu gerne hätte Tiria es einmal berührt. Aber es war nicht sie, zu der die Leguren wollten, es war Lethon. Seine herausragenden Fähigkeiten im Umgang mit Tieren, er war ein Tierempath und manche behaupteten sogar, er sei der Tierempath schlechthin, hatten ihm in Melan die Stellung Meister der Tiere eingebracht. Auch Tiria hatte sich schon als Kind für den Umgang mit Tieren begeistert. Leider waren ihr aber die dafür notwendigen Fähigkeiten versagt geblieben. Ja viele Tiere hatten sogar eher Angst vor ihr oder zeigten bei ihrem Erscheinen gar Fluchtverhalten. „Das muss an deiner Art liegen, dich immer so schnell und

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