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Goner's Girl. Jules Lux
Читать онлайн.Название Goner's Girl
Год выпуска 0
isbn 9783847642428
Автор произведения Jules Lux
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Am Hauptbahnhof besorge ich mir das 134. Käsebrötchen mit Salatblatt und Tomatenscheibe und flüchte anschließend ins Pornokino. Den letzten archaischen, ironiefreien Ort. Richtige Sexkinos mit 90-Minuten-Filmen, Nonstopeinlass und 250 Plätzen gibt es leider nicht mehr. Nur noch Einzelkabinen oder 30-Personen-Säle, die per Videobeamer versorgt werden. Durch einen schweren dunklen Vorhang geht es hinein. Ich wate durch die Oase der schönen nackten Körper, die zugleich der Sumpf der armen Wichte ist. Männer und Frauen stehen hilflos vor unzähligen Bildern kopulierender Pärchen. Sie drehen Videokassetten um, als würde es sich um Tiefkühlgemüse oder abgepackten Käse handeln. Ihre Gesichter sind ernst. Man begegnet den anderen Besuchern vorsichtig, aber höflich. So als würde man durch eine Kirche spazieren und niemandem zu nahe treten wollen. Ein paar blättern bedächtig in Zeitschriften, andere sperren sich schnurstracks in Kabinen ein.
Ich atme tief ein und aus. Obwohl es nach billigen Putzmitteln riecht, meine ich auf einem Berg in den Alpen zu stehen. Am liebsten möchte ich auf die Knie fallen und den Boden küssen. Der Pornoladen ist ein Ort der Ruhe. Die letzte Zufluchtsstätte für Menschen, die der Religion des Arbeitens wenigstens für ein paar Minuten entfliehen wollen. Pornoläden kommen gleich nach der Kirche. Priester und Bischöfe wissen das. Überall penetrierte Münder, Scheiden und Hintern, in einander verkeilte Leiber, Schweißperlen und Körpersäfte, geöffnete, lustverzerrte Lippen und Zungen an Schwänzen. Wie in den größten Kathedralen. Zwei Geschäftsmänner wissen gar nicht, wo sie zuerst hinschauen sollen. Oh, mein lieber Mann, was diese Mädchen und Jungs da machen, ist ja ganz vorzüglich. Oh, du liebe Zeit, sie hat sein Ding im... Nein, das kann doch nicht sein. Unmöglich. Und hier diese Mädchen. Warum machen sie das? Warum macht man selber etwas anderes? Warum sitzt man vor dem Schreibtisch und glotzt in seinen Computer, während andere auf dem Tisch liegen und sich begatten? Warum, warum, warum? Ich schließe mich in eine Kabine ein und gehe die Programme durch. Fühle mich wie im Brutkasten. Nervös starre ich auf den Monitor vor mir. Zwei blonde Mädchen auf dem Boden, zwei blonde Männer auf dem Sofa, ein Dreier im Garten, ein Vierer in der Sauna, Mädchen, die pinkeln, Omas, die sich mit Dreck einreiben. Über meinem Kopf sind die Lautsprecher. Überall wird gestöhnt und geschrien. Will ich jetzt die zwei Frauen, die zwei Männer oder alles durcheinander? Bevor ich mich für einen der Filme entschieden habe, ist das Geld alle. Ich habe kaum etwas gesehen. Immer nur Ausschnitte. Ein paar Brüste, Genitalien, Hintern. Wo aber war der Zusammenhang? Also noch mal von vorn. Das Ansehen eines Pornostreifens funktioniert nur, wenn man sich für einen der Filme entscheiden kann, und nicht hin und her zappt. Wer zu nervös ist, sich auf eine bestimmte Szene oder Paarung einzulassen, sieht am Ende gar nichts und muss ordentlich blechen. Die gerechte Strafe für alle Hektiker, Querleser und Allesfresser. Ich bleibe bei zwei netten Blondinen hängen, die sich auf einer grünen Wiese befriedigen und dabei viel zu laut stöhnen. Ganz klar nachsynchronisiert. Aber egal. Nachdem ich mir die Hose aufgemacht habe, suche ich in der Papiertüte nach dem Käsebrötchen. Andere quatschen in der Mittagspause mit Kollegen, lesen Witzseiten oder machen Kreuzworträtsel. Die Jungen lesen sogar schon wieder die Bild-Zeitung. Ich lehne mich entspannt zurück. Die zwei Damen küssen sich gerade und bohren sich mit ihren langen Fingern in ihren rasierten Scheiden, als ich links neben mir ein merkwürdiges Geräusch vernehme.
Es klopft an der Tür. Wie bitte? Seit wann wird man in einer Videokabine gestört? Vor der Tür steht eine Person und will hinein. Es klopft noch einmal. Ich verstaue schnell meine Sachen und öffne.
„Guten Tag.“
„Bitte?“
Eine magere Rentner in blickt mir ins Gesicht. „Dürfte ich hier schnell einmal durch?“
„Durch?“
Durch was will Mutti bitte durch? Das hier ist eine Videokabine mit einem großen Sessel, auf dem man Platz nimmt, um Pornofilme zu gucken.
„Dürfte ich schnell einmal durch?“
Es ist nicht zu glauben. Die Alte zwängt sich zu mir in die Kabine. Das, obwohl es ausdrücklich verboten ist, eine solche Kabine zu zweit aufzusuchen.
„Ich erledige nur meine Arbeit. Sie können ja gleich weitermachen.“
„Weitermachen?“
Die Alte entgegnet nichts und fährt mit ihrem nassen Lappen einmal über den Boden und unter die Stuhllehnen. Dann wringt sie den Lappen über einem Eimer aus und schmeißt ihn noch einmal auf den Boden. Mit Fensterputzmittel sprüht sie den Bildschirm ein und rubbelt alles mit einem Einmaltuch ab. Ihre Augen verharren auf den Bedienungsknöpfen unter dem Fernseher. Mit ihren langen Fingernägeln kratzt sie etwas Dreck ab. Sie betrachtet sich den Finger und wischt ihn an ihrer Schürze ab. E-k-e-l-h-a-f-t.
Ich sehe auf die Uhr. Noch zehn Minuten. Ich muss zurück. Zurück zu Schmidt. Ich muss die heiligen Hallen der Pornoindustrie verlassen, um zu einem dicken schwitzenden Ungetüm zurückzukehren. Das darf nicht wahr sein. In jeder zivilisierten Gesellschaft würde man mich ins Irrenhaus sperren oder erschießen.
Ich lasse Mama stehen und eile mit der üblichen Ich-komme-gerade-aus-dem-Pornokino-aber-eigentüch-bin-ich-ein-total-seriöser-Typ-Miene ins Freie. Statt nackten Blondinen habe ich einen Staubwedel und eine Oma im Kopf. Bin ich dafür in den Sexshop gegangen? Ich sollte mein Geld zurück verlangen. Mit dem Taxi fahre ich zurück ins Büro. An meinem Schreibtisch mache ich um 13 Uhr 12 Kassensturz. Die Kosten für die Mittagspause belaufen sich auf 53 Mark und 40 Pfennig.
C
Wir haben heute wieder Wetter, Wetter, Wetter. (Die Wochenshow)
Es gibt Tage, an denen nichts funktioniert. Alles geht schief. Wo man auch rumhört, überall nur Unglücke, Schweiß und Tränen. Ich habe mir einen kleinen Kreis von Freunden herangezogen, mit dem ich regelmäßig telefoniere. Zum Beispiel dienstags. Der Dienstag ist ein Tag, an dem immer viele schreckliche, unschöne Dinge passieren. Die Leute sind fertig. Sie sind gestresst, bekommen die Rechnungen vom Montag, stolpern, haben Ärger mit der Bank, mit den Kollegen undsoweiter. Studenten stürzen sich aus den Fenstern der Studentenheime, Mitten-im-Leben- Stehende springen von Parkdecks, Rentner kippen sich in die Gleisanlagen. Je genauer man hinsieht und herumhört, desto furchtbarer sind die Hiobsbotschaften. Der Dienstag ist der schlimmste Tag der Woche. Ich telefoniere.
Bei Manfred hat sich der Teufel seit Wochen eingerichtet. Frau weg, Kind noch da, Steuernachzahlung fällig. Fünfundzwanzig Minuten erzählt er mir von seinen Ängsten und Problemen. Dem Abwasch, der kaum zu bewältigen ist, der Philosophie, dass doch eigentlich nur die Liebe zählt. Ich nicke und sage alle zwanzig Sekunden: „Ja, natürlich, du hast ja recht.“ Dann das mit seiner Frau. „Wir haben uns nur verletzt. Erst ich sie, dann hat sie mich zurück verletzt.“ Manfred beschreibt den täglichen Psychokram als ein blutiges Duell. Verletzt. Zurück verletzt. Verletzt. Wieder zurück verletzt. Dann ist er zur Freundin seiner Frau gegangen, um sich auszuheulen. Ja, sicher, das mögen die Frauen nicht. Was soll er denn nur machen? Wie wird er mit dem ganzen Zeug fertig? Es könnte schon sein, dass sie gerade jetzt durchklingeln will, gebe ich zu bedenken.
„Meinst du wirklich?“
„Ja, klar. Jede Minute, die wir länger sprechen...“
Kurz nachdem ich aufgelegt habe, ist Meike am Apparat.
„Hallo Peter. Wie geht’s?“
„Danke, alles okay.“
Dann geht es los. Meike wird in der Firma gemoppt und bricht in Tränen aus. Was für eine Vorstellung. Sie wimmert, schluckt und prustet, dass es mir fast den Hörer aus der