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du ab!“, schrie der Fremde zurück.

      Ein Traktor ratterte um die Ecke. Die beiden Kater ließen voneinander ab und sprangen auseinander, der eine nach links, der andere nach rechts. Keine Sekunde zu früh, denn wo sie sich eben noch gewälzt hatten, machte der Traktor die Grashalme platt.

      Kaum war der Trecker vorbeigefahren, sammelte sich Robin mit aufgestellten Rückenhaaren zum Angriff und machte sich zum Sprung bereit. Der Schwarz-Weiße aber leckte sich eine Pfote und fuhr mit ihr über sein verletztes Ohr. Von ihm war im Moment nichts mehr zu befürchten.

      Jetzt war der richtige Zeitpunkt gekommen.

      „Weißt du nicht mehr, wer ich bin?“, fragte Robin.

      Der andere schaute ihn aus schmalen Augen an.

      „Wer solltest du schon sein?“

      Robin konnte es kaum glauben. Sie waren wie Vater und Sohn gewesen.

      „Im Tierheim Amalienhof, ich habe mich um dich gekümmert.“

      Der Schwarz-Weiße schwieg. Dann miaute er heißer:

      „Das kann jeder sagen.“

      Robin miaute empört.

      Ohne ein weiteres Wort drehte sich sein früherer Schützling um und trottete langsam davon.

      „Aber woher sollte ich wissen, was im Tierheim geschehen ist, wenn ich nicht selbst dabei gewesen wäre?“, schrie Robin ihm hinterher.

      „Ich habe viele schlimme Sachen erlebt. Ich lasse mich nicht mehr hereinlegen. Ich passe jetzt auf mich selbst auf, niemand anders“, rief der Eindringling zurück und reckte seinen Kopf, den er gerade noch vor Schmerzen gesenkt hatte, stolz in die Höhe. Dann trabte er mit weit ausgreifenden Schritten erhobenen Kopfes um die Ecke des Reitstalls.

      Robin hatte sich für zwei Stunden in die Sonne gelegt. Auf einen Strohballen mit dem Rücken zur Stallwand: Von dort hatte er sein Mauseloch im Blick. Der Kampf hatte ihn angestrengt, und er war fest eingeschlafen. Er streckte sich und spürte, wie hungrig er war. Schließlich hatte er auf seine Mäusemahlzeit verzichten müssen. Der Kater umrundete den Stall einmal, bevor er sich auf den Heimweg machte. Den Schwarz-Weißen roch er an den Strohballen vor dem Hallentor und an den Pfosten der Pferdekoppeln. Aber er sah ihn nirgendwo.

      Als sich Robin den Kastanienbaum hocharbeitete, rutschte er mit den Hinterbeinen ab. Der Kampf steckte ihm noch in den Knochen. Die Balkontür war offen und er lief schnurstracks in die Küche, weil er sich sein Mittagessen von Johanna erhoffte. Doch dort stand nicht Johanna, sondern die Frau mit dem Lappen. So nannte zumindest Robin sie, denn sie hatte immer einen Lappen in der Hand. Sie kam dreimal in der Woche, immer vormittags und lief ständig mit diesem Ding durch die Wohnung, wischte hier über Regale, dort über den Fußboden und dann und wann auch über die Fensterscheiben. Er merkte sich ihren Namen nicht, was nicht zum unerheblichen Teil daran lag, dass er sie nicht leiden konnte. Es war einfach so, dass sie den großen Kater gar nicht wahrnahm. Wenn es an der Zeit war, gab sie ihm Futter. Mehr nicht. Robin war es nicht gewohnt, ignoriert zu werden.

      Nachdem sie ihm ohne Worte das Futter hingestellt hatte, schlang er es hinunter. Er wollte ihr möglichst schnell aus dem Weg gehen. Die Lappenfrau war ihm unheimlich. Wer wusste schon, was sich hinter der stillen Fassade verbarg?

      Robin sprang auf den Kratzbaum und streckte seine schmerzenden Beine. Der Kampf hatte ihn müde gemacht. Doch er musste nachdenken. Auch die Tierheimmitarbeiter glaubten, dass Floras Fehlgeburt – nun schon die zweite – von außen nachgeholfen worden war, hatte Johanna aus der Zeitung vorgelesen. Wer würde ihm bei der Aufklärung des Falles helfen? Er hatte große Hoffnung gehegt, zusammen mit seinem früheren Schützling wieder ein Team sein zu können. Zur Not würde er sich alleine an die Aufklärung machen oder andere Unterstützer suchen, wenn der Schwarz-Weiße nicht zu ihrer alten Freundschaft zurückfand.

      Jäh war mit dem Nachdenken Schluss. Etwas hob ihn in die Luft. Er fauchte und strampelte. Stefan stand auf einem Stuhl und hielt ihn mit weit ausgestreckten Armen von sich. Auf dem Boden stand der Korb mit geöffnetem Deckel. Die Tierärztin! Er hatte vergessen, dass sie heute Abend mit ihm dort hinfahren wollten. Panisch fuhr er seine Krallen aus, spreizte alle Viere und klammerte sich an den Rand des Katzenkorbs.

      „Nun mach schon“, forderte Johanna Stefan auf.

      „Du hast gut reden“, sagte Stefan. Immer wieder wurde Robin hoch gehoben und jedes Mal, wenn Stefan ihn in den Korb setzen wollte, krallte er sich an dessen Rand fest.

      „Ich dachte, der Überraschungseffekt würde ihn weniger aggressiv machen. Aber … au!“, rief Stefan und ließ den Kater los. Er blickte auf die blutigen Streifen auf seinem Handrücken.

      Robin hatte sich in den Spalt hinter das Sofa gedrückt und brummte laut. Normalerweise knurrte er Johanna und Stefan nicht an. Aber der Gedanke an die burschikose Tierärztin Eva Zack mobilisierte in ihm jedes Mal die Furcht, buchstäblich das Fell über die Ohren gezogen zu bekommen. Denn die Frau hatte einen Griff, aus dem selbst er sich nicht herauswinden konnte. Sie fasste fest in seinen Nacken, griff dort eine dicke Falte und hob ihn hoch. Nur noch mit den Hinterpfoten stand er auf dem kalten Metalltisch in der Praxis. Wenn er fauchte, schüttelte sie ihn so stark hin und her, dass ihm ganz wirr im Kopf wurde. Zack – schon hatte sie ihm eine Spritze verpasst. Und Stefan beschwerte sich, dass er aggressiv war? Robin fühlte sich gründlich missverstanden und beschloss, die Nacht hinter dem Sofa zu verbringen.

      „Und jetzt?“, fragte Johanna.

      „Versuch´s doch selbst mal“, antwortete Stefan. „Mir reicht es.“

      „Tja. Das hilft alles nichts.“ Johanna ging in den Flur und kam mit Handschuhen zurück. Robin legte die Ohren an. Die Tierärztin würde ihm nicht erspart bleiben. Dem groben Leder der Handschuhe konnte er nichts anhaben. Egal, wie stark er seine Krallen hineinschlug, egal, wie fest er sich darin verbiss: Sie zogen ihn unbarmherzig aus seiner schützenden Höhle.

      In der Praxis warteten nur eine Katze und ein Mann. Es war die gut aussehende Katze aus dem Nachbardorf Griedel, mit der er sich vor einem Jahr schon einmal hier unterhalten hatte.

      „Hallo“, sagte die Katze durch das Gittertürchen in ihrem Bastkorb hindurch.

      „Hallo“, antwortete Robin. „Warum bist du hier und nicht bei deinem Tierarzt?“ Er war froh, dass er sich mit anderen Dingen beschäftigen konnte als mit dem Gedanken an den tierärztlichen Nackengriff.

      „Oh, mit geht es gut. Danke der Nachfrage“, antwortete die weiße Perserkatze erfreut. „Mein Tierarzt ist krank. Und er ist zu alt. Er macht Fehler bei der Arbeit.“

      „Was macht er denn?“

      „Es geht nicht darum, was er tut, sondern was er nicht tut.“ Die Katze machte eine kunstvolle Pause und schaute Robin wissend an.

      Der wusste, worauf die Katze wartete. Er sollte weitergehendes Interesse zeigen.

      „Was macht er denn nicht?“, fragte er deshalb.

      Sie hatte begonnen, ihren Schwanz zu pflegen. Jetzt unterbrach sie ihre Tätigkeit und blickte Robin aus blauen Augen an.

      „Er behandelt uns falsch. Meine Freundin hatte kürzlich eine Frühgeburt. Zum Glück haben ihre vier Welpen überlebt. Wie konnte das passieren, frage ich dich, wo sie doch regelmäßig bei unserem Tierarzt war, der sie untersucht hat?“

      In Robins Kopf jagten sich die Bilder. Er sah die Pflegerin aus dem Amalienhof, die erschreckt das tote Kätzchen im Arm hielt. Er sah den Kleinen, der wimmernd auf dem kalten Betonboden lag. Und er sah die Katze Flora, die ein totes Junges zur Welt gebracht hatte. Aber eines hatte noch gelebt! Weil Flora sich nicht darum gekümmert hatte, wäre es fast gestorben. Und wenn sie ihren Nachwuchs nicht absichtlich ignoriert hatte? Die Tierheimmitarbeiter gingen von „äußeren Einflüssen“ aus, hatte Johanna heute Morgen vorgelesen.

      „Hat sich deine Freundin um ihre Welpen gekümmert? Hat sie sie gesäugt?“

      „Komisch, dass du das fragst.“

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