Скачать книгу

hat eine Menge Prophetien gegeben, bei uns und in den Schwestergemeinden, und alle laufen darauf hinaus, dass der Herr uns braucht für Ruanda. Wir bauen eine Missionsstation auf, mit Krankenstation und Schule und…“

      „… und der Herr braucht ausgerechnet dich dort.“

      Gabi seufzte theatralisch. „Das ist wieder mal typisch für dich. Du lässt einfach dem Geist keinen Raum für sein Wirken. Hannes, Er hat mich gerufen, mich! Wie könnte ich mich da widersetzen?“

      „Du könntest einfach daran denken, dass du zwei kleine Kinder hast, die dich brauchen.“

      „Wenn der Herr mich in Afrika braucht, dann wird Er sich auch um die

      Kinder kümmern. Sie haben doch dich. Oder… soll ich Mama fragen, ob sie sie nimmt?“

      Nie und nimmer! So sehr Hildegard Koschnick ihn ins Herz geschlossen hatte, solange er ihr Schwiegersohn war, so radikal hatte sie ihn abgeschrieben, als er sich von ihrer Tochter getrennt hatte.

      „Ganz sicher nicht. Gabi, wenn du wirklich weggehst und die Kinder im Stich lässt, bin ich natürlich für sie da. Selbstverständlich. Das kriege ich schon hin. Deine Mutter lass bitte aus dem Spiel.“

      Er kannte Gabi gut genug um zu wissen, dass er sie nicht würde umstimmen können, wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Die einzige Chance war, auf Zeit zu spielen. Vielleicht überlegte sie es sich noch einmal. Außerdem schien noch gar nicht sicher zu sein, ob sie wirklich für das Projekt angenommen würde.

      „Also, du holst die Kinder am Freitag hier ab, abgemacht!“

      Er konnte sich nicht erinnern, zugestimmt zu haben. Aber gegen diese Energie war er machtlos. Und er wollte um jeden Preis verhindern, dass Gabi die Kinder als Waffen im Kampf gegen ihn missbrauchte. Außerdem hatte er am Wochenende sowieso nichts vor. Eigentlich war er froh, die Kinder um sich zu haben.

      Manchmal war es verdammt einsam in seiner Bude. Das hatte er sich so gar nicht vorstellen können, an jenem Sonntag, als er den Kanal entlanggewandert war, bis hin zum Nymphenburger Schlosspark, weiter am Kanal durch den Park und immer weiter bis Obermenzing, wo ein paar Jahre später Jeannie ihre Wohnung fand. Aber das wusste er natürlich nicht. Trottete weiter, spürte die Müdigkeit in den Beinen, immer weiter. Nur gehen. Gehen.

      Und im Inneren das Chaos. Das Karussell der Gedanken, der Sturm der Gefühle. Er konnte nicht mehr. Die Geschichte mit Tobias, der blanke Hass in Gabis Augen, hatten seine Liebe endgültig zerbrochen. Wenn er nicht vor die Hunde gehen wollte, musste er aussteigen.

      Allmählich wurden seine Gedanken klarer, und auch seine Emotionen. Das Chaos lichtete sich. Sechs Jahre hatte er durchgehalten, sechs Jahre ihre Rachsucht, ihren immer unverhohlener hervortretenden Hass ertragen. War geblieben nicht nur der Kinder wegen, sondern auch aus Sturheit. Oder, freundlicher ausgedrückt, aus Treue. Treue zu ihr und zu seinem Versprechen.

      Und es war ihm sauer geworden. Gabi kam ihm keinen Fußbreit entgegen. Nach einem kurzen anfänglichen Versuch, die tödliche Kränkung zu vergeben oder irgendwie zu verarbeiten, hatte sie seine Liebe und seinen Treueschwur nur noch mit Füßen getreten. Und jetzt ging es nicht mehr. Die Einsicht war unausweichlich: Seine Kraft war zu Ende.

      Er versuchte sich vorzustellen, wie ein Leben ohne Gabi wäre, und ohne die Kinder. Auf Gabis Gesellschaft konnte er gut verzichten, allein schon dass er diesen Gedanken zulassen konnte, machte die Last auf seinen Schultern um ein paar Tonnen leichter. Aber die Kinder… Gabi würde sie ihm nie überlassen, er würde schon um das gemeinsame Sorgerecht kämpfen müssen. Und, ehrlich gesagt, er würde sie auch nicht nehmen können. Er arbeitete Vollzeit, da konnte er nicht noch zwei Kinder erziehen. Wenn er auf Teilzeit ginge und Gabi ihm Unterhalt zahlte… Genauso gut konnte er darauf zählen, dass die Isar irgendwann bergauf floss. Sich ein Leben ohne die Kinder auszumalen fiel ihm schwer, war schier unmöglich. Aber was hatten die Kinder davon, wenn ihr Vater psychisch vor die Hunde ging. Oder wenn er, wie in seinen schwärzesten Fantasien, ihre Mutter totschlug.

      Es würde hart sein, die Kinder nicht jeden Tag um sich zu haben, sehr hart. Er würde vor Schuldgefühlen nicht mehr aus noch ein wissen. Und doch wurde ihm bei diesem Fußmarsch klar, dass es nicht anders ging. Er wollte sich gar nicht damit rechtfertigen, dass es für die Kinder vielleicht auch besser wäre, nicht in einer Atmosphäre von ständigem Streit und Unfrieden aufzuwachsen. Seine Kraft war schlicht aufgebraucht.

      Er erinnerte sich an die Zugfahrt nach Ebenstädt, zu Jürgens Hochzeit, unterwegs in die Vergangenheit. Wie ihn das Gefühl überfallen hatte, er sei nur noch ein Schatten seiner selbst. Wie ihm klar wurde, dass er sein ganzes Leben aufgegeben hatte.

      Genug.

      Irgendwie war er am Pasinger Bahnhof gelandet. Er nahm die Tram, irgendwo würde er umsteigen können in Richtung Rotkreuzplatz. Noch eine Schonfrist, bevor er Gabi gegenübertreten musste.

      ***

      Dann stand er in der Wohnung. Nahm all seinen Mut zusammen. Trat Gabi entgegen, schnitt ihr das Wort ab, als sie ihn mit ihrer Tirade empfangen wollte, wo er so lange bleibe und was er sich eigentlich denke.

      „Gabi, es reicht. Deine Gemeinheiten will ich nicht mehr ertragen. Dass du so über Tobias hergezogen bist, das hat dem Fass den Boden ausgeschlagen. Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr. Und darum trenne ich mich von dir. Punkt.“

      Er ließ Gabi, die plötzlich keinen Ton mehr herausbrachte, mit offenem Mund da stehen. Holte aus dem Garderobenschrank die Reisetasche, sammelte seinen Kulturbeutel ein, ein paar Kleidungsstücke und die Arbeitsunterlagen, die er mit nach Hause genommen hatte, stopfte alles in die Reisetasche. Dann fiel es ihm siedend heiß ein: seine Stratocaster! Er traute Gabi ohne weiteres zu, dass sie sie zu Klump schlug wie die Schallplatte vor ein paar Wochen, oder verbrannte, als puren, gemeinen Racheakt, nicht als musikalische Performance, sie war ja nicht Jimi Hendrix.

      Er kehrte ins Wohnzimmer zurück, griff hinters Bücherregal, holte den flachen Gitarrenkoffer hervor, der dort vor sich hin staubte. Packte den Koffer, hängte sich die Reisetasche über die Schulter und ging zur Tür.

      Gabi stand davor, mit dem Rücken zur geschlossenen Tür, versperrte mit ausgebreiteten Armen den Weg wie ein Verkehrspolizist.

      „Spinnst du? Du bleibst“, zischte sie.

      „Mach Platz“, fauchte er zurück. Was du kannst, kann ich auch. Auge in Auge standen sie da. Eine Ewigkeit, wie ihm schien. Dann ließ Gabi die Arme sinken. „Okay“, flüsterte sie tonlos. „Hau ab.“ Sie trat zur Seite. „Hast du es endlich geschafft!“

      Im Vorbeigehen blieb er stehen, die Klinke in der Hand. „Nein, Gabi“, sagte er, auf einmal unendlich müde. „Du hast es endlich geschafft. Ich gebe auf. Du hast gewonnen.“

      Während er die Stufen hinabstieg, hatte er keine Ahnung, wohin. Zu Tobias? Nein. Zu seinen Eltern? Sein Vater hatte seit drei Jahren eine Professur an der Hochschule in Augsburg, da wäre er in einer Dreiviertelstunde mit dem Zug. Nein. Undenkbar. Wie Hänschen klein, das in der weiten Welt nicht zurechtkam… Unschlüssig stand er auf der Straße herum.

      Und nun? Wohin? Das Auto musste er Gabi lassen, das war klar. Mit der Reisetasche über der Schulter und dem Gitarrenkoffer in der Hand stand er da, in den Eingeweiden das Grundgefühl des Blues: No place to go… Er hatte immer noch nicht die geringste Ahnung, wohin er jetzt gehen sollte. Schließlich suchte er sich ein Zimmer in einer Pension, für dreißig Mark die Nacht. Morgen würde er weiter sehen.

      ***

      Keine Erleichterung. Kein Gefühl von Freiheit und Abenteuer. Hannes saß auf dem Bett in dem kahlen Pensionszimmer und fühlte sich nur mies. Fremd im eigenen Leben. Es war so plötzlich gekommen, er stand selbst unter Schock. So plötzlich… er hatte sich nicht einmal von den Kindern verabschiedet. Andererseits, wie hätte das gehen sollen! Meine Lieben, euer Papa zieht jetzt mal eben aus, tschüs dann! Unmöglich. Es war unmöglich. Was Gabi ihnen erzählen würde?

      Einfach im Stich gelassen hatte er sie. War Knall auf Fall abgehauen, hatte sich aus dem Staub gemacht,

Скачать книгу