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-Grauer- -Adane-. Gunter Preuß
Читать онлайн.Название -Grauer- -Adane-
Год выпуска 0
isbn 9783738009293
Автор произведения Gunter Preuß
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Noch zwei , dreimal habe ich den Grauen gesehen. Immer im Frühjahr, nachts. Wenn er in Kämpfe um seine Liebste verwickelt war. Viele Geschichten werden in Leuta von ihm erzählt. Wie er mit starken Füchsen und wildernden Hunden gekämpft haben soll. Manche der Alten sagen, es hätte ihn schon in ihrer Kindheit gegeben. Und ihre Eltern und Großeltern hätten schon vom ‚Freien‘ erzählt. Sie behaupteten, eigentlich sei der Graue ein Mensch. Der Wilderer Ernst Schulze solle er sein, der im vorigen Jahrhundert von der Herrschaft erschossen worden war. Der Ernst Schulze soll ein gerechter Mann gewesen sein, dem sein freies Waldleben über alles ging.
Nun, Kinder, das sind Geschichten. Eins kommt zum anderen. Aber ein Körnchen Wahrheit kann man immer darin finden.
Seht euch unsere Bunte an. Sie lässt es sich wohl gehen bei uns. Hat sich ans Hausleben gewöhnt, die Faule. Und dabei ist der Graue ihr Stammvater. Ja, so kann es werden, wenn der Bauch satt ist und das Fell trocken. Schau nur, Bunte, dummes Tier. Verwechselst den Ofen mit der guten Sonne.
Und nun ab in die Federn. Ich spüre meine Jahre, Kinder. Nein, der Graue ist nie wieder gesehen worden. Vielleicht begegnet ihr ihm einmal. Seht und hört nur genau hin.“
2.
Der Frühling fasste Fuß in Leuta. Die Tage wurden länger und die Nächte heller. Über den dunklen Spitzen der Felsen und Tannen bewegte sich die wärmende Sonne. Die alte Kastanie auf Mexikaners Hof bekam kräftige Knospen. Auf der Bahnhofstraße rann das Schmelzwasser in die Ebene hinunter.
Bunte war von Tag zu Tag unruhiger geworden. Nachts trieb sie sich auf den Dächern herum. Eines Morgens hatte die alte Paula von ihrem Fenster aus beobachtet, wie Bunte den Hof verlassen hatte. Fast eine ganze Woche blieb sie weg. Abgemagert und zerzaust kehrte sie zurück, leckte gierig die Milch, die Mexikaner ihr hinstellte, fraß Wurstzipfel, die die Kinder ihr reichten. Danach putzte sie sich lange, maunzte zum Fenster der alten Paula hinauf und dehnte und streckte sich wohlig.
„Hast dich wieder rumgetrieben, alte Dame“, sagte Mexikaner gutmütig. „Als ob es in Leuta nicht schon genug Katzen gibt.“
„Lass nur gut sein, Mexikaner“, sagte die alte Paula. „Gegen eine Katzennatur kommst du nicht an. Hab ich recht, Bunte?“
Nach zwei Monaten und ein paar Tagen fand eins der Kinder den Wurf der Bunten zwischen Gerümpel im Schuppen versteckt. Vier kräftige Junge lagen im Geheck, und die Kinder baten wie jedes Jahr um die Katzenleben.
„Seid vernünftig“, mahnte Mexikaner. „Elf Katzen haben wir auf dem Hof. Die im Dorf sind gar nicht mehr zu zählen. Wo soll das hinführen? Die Fremden haben recht, wenn sie Leuta das ‚Katzennest‘ nennen. Was sein muss, muss sein.“
Wenn Mexikaner so sprach, war seine Meinung endgültig. Dann gab es nur noch den Weg zur alten Paula. Obwohl ihre Füße sie kaum noch trugen und die Luft ihr immer knapper wurde, ließ sie sich von den Kindern in den Schuppen führen.
„Sieh doch nur, Urgroßmutter! Wie niedlich die Kätzchen sind! Du darfst nicht zulassen, dass sie umgebracht werden!“
„Nichts da“, rief Mexikaner, der mit einem Korb in den Schuppen kam. „Diesmal kann euch auch die Urgroßmutter nicht helfen. Alles muss in seinem Maß bleiben. Was sein muss, muss sein.“
„Mexikaner redet vernünftig, Kinder“, sagte die alte Paula. „Nun flennt nicht. Bald werden aus den Kätzchen Katzen. Und wenn es mit der Niedlichkeit und Neuheit vorbei ist, dann lasst ihr die Tiere links liegen. Aber die armen Kreaturen brauchen uns Menschen. Und für so viele können wir nicht sorgen.“
Die Kinder wussten, dass nun nichts mehr für die jungen Katzen zu tun sei. Sie rieben mit den Hemdsärmeln ihre Tränen vom Gesicht, die Sonne und ein Ball lockten, sie gingen nach draußen, und bald war ihr Lachen zu hören.
„Na siehst du“, sagte Mexikaner zur alten Paula, griff sich die Kätzchen und setzte sie in den Korb.
„Wie schnell vergisst es sich doch in der Kindheit“, sagte die alte Paula. „Selbst aus dem Schmerz wird Freude. Ja, das Leben liegt wie eine Ewigkeit vor ihnen.“
Mexikaner öffnete die Schuppentür, und das Sonnenlicht fiel in den Korb.
„Wart mal“, sagte die alte Paula. Sie ließ sich von Mexikaner auf den Hof führen und nahm aus dem Korb ein Kätzchen, das größer und schwerer war als die anderen, dichtes graues Fell und weiße Flecken an Kehle, Brust und Bauch hatte. Der Schwanz war kurz und abgestumpft. Die Iris leuchtete tiefgrün und dann wieder wie Bernstein.
Das Kerlchen fauchte und kratzte.
Den lässt du am Leben“, sagte die alte Paula.
„Aber warum?“
„Die Bunte war in den Wäldern. Es gibt den Grauen noch, Mexikaner. Ich sage dir, der Graue ist der Vater von dem hier. Er ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten.“
Mexikaner sah unwillig auf die Kinder, die, aufmerksam geworden, näher kamen. Er sagte: „Was sein muss, muss sein. Der Graue ist längst tot. Eine Ewigkeit hat hier keiner eine Wildkatze gesehen.“
Die alte Paula hatte sich das Kätzchen inzwischen genauer besehen und festgestellt, dass es ein Kater war. „Er bleibt“, sagte sie fest. „Grauer soll er heißen.“
Die Freude der Kinder war zurückhaltend; sie wollten den Großvater nicht verletzen. Sie trugen den Grauen, der noch immer fauchte, ins Geheck der Bunten zurück. Mexikaner stieß einen scharfen Pfiff aus und ging mit dem Korb zum Feuerwehrteich.
Es kam, wie die alte Paula vorausgesagt hatte. Mit dem Heranwachsen von Grauer kümmerten sich die Kinder nicht mehr um ihn. Grauer war auch anders als die Katzen, die sie kannten. So viele Leckerbissen sie ihm anfangs auch brachten, soviel Zärtlichkeit sie ihm auch schenkten, der Kater blieb misstrauisch und wenig geneigt, sich auf den Arm nehmen oder wie seine Mutter im Puppenwagen spazieren fahren zu lassen. Manche Kratzer und manche Bisswunde trugen die Kinder davon, wenn sie ihm ihren Willen aufzwingen wollten. Sie verstanden ihn nicht und gingen ihm aus dem Weg. Scheu und ernst beobachteten sie sein stolzes Wesen, das keine Unterwerfung und Anbiederung kannte. Waren sie gerade mitten im Spiel und der Graue strich über den Hof, wurden sie still und nachdenklich. Manchmal schossen sie aus einem Versteck mit dem Katapult nach ihm.
Sah das die alte Paula vom Fenster aus, sprach sie den Kindern zu, dem Grauen seinen Platz im Dorf zu lassen, wie auch sie den ihren behaupteten. „Weil er anders ist als ihr, darum ist er nicht schlechter“, sagte sie. „Ihr wolltet ihn haben. Nun kommt mit ihm aus.“
Aber die Kinder waren auf engen Kontakt aus; sie konnten nur lieben, was sich anfassen und seine Wärme spüren ließ. Später erst, als Grauer sich als mutiger Kämpfer erwies, achteten und bewunderten sie ihn wie einen fernen Freund.
Bunte war dem Grauen eine zärtliche und aufmerksame Mutter. Ihre ganze Zeit wandte sie auf für seine Pflege und Erziehung. Lange ließ sie ihn saugen, sie hatte Milch für vier, und sieben Wochen nach des Grauen Geburt schleppte sie ihm Wald- und Erdmäuse heran. Nun lehrte sie ihn im Spiel das Lauern, Schleichen, Springen und Töten. Sie ließ die noch lebendigen Mäuse aus ihrem Fang, und Grauer musste an ihnen seine Flinkheit, seine Krallen und seinen Biss ausprobieren. Er begriff schnell und spielte nicht lange mit der Beute. Als sein Sprung und Zugriff sicher war, tötete er die Mäuse sofort.
Der Mutter ließ er keine Ruhe. Wenn er nicht schlief, suchte er die Balgerei mit ihr. Bunte, die sich schon oft hatte ihrer Haut wehren müssen, zeigte ihm viele Tricks im Kampf, mit denen der Gegner einzuschüchtern und zu überwinden war, Drohgebärden, Scheinangriffe, gezielte Tatzenhiebe und vor allem den Nackenbiss.
Es dauerte nicht lange, und Bunte hatte alle Mühe, sich der klugen und gewandten Angriffe ihres Sohnes zu erwehren. Manchmal sprang sie ein paar Sätze davon, erschreckt von seiner Wildheit. Dann drückte Grauer schnurrend seinen Kopf in ihre Weichen, warf sich vor ihr auf den Rücken und streckte seine Tatzen nach ihr aus.
Mutterliebe