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meinen Bart abrasieren“, antwortete er scherzhaft.

      „Genau“, sagte der Beamte und nickte.

      „Ich verspreche, dass ich mich darum kümmern werde“, sagte Winner und passiere die Kontrollstelle.

      Vier Stunden später schwebte Winner bereits im Landeanflug über Lanzarote.

      Aus der Vogelperspektive bot die Insel ein überwältigendes Bild. Wenn die vielen kleinen weißen Häuser nicht wären, könnte man meinen auf dem Mond zu landen, so zerklüftet und eintönig sah das Land aus. Braun war die beherrschende Farbe. Ein Aschekegel reihte sich an den anderen und dazwischen gähnten die leeren Trichter der erloschenen Vulkane. Kaum etwas Grünes war zu sehen, stattdessen spiegelte sich die Sonne in den türkisfarbenen Swimmingpools der Ferienhäuser und der Touristenanlagen. Von einem Swimmingpool hatte Jan de Fries nichts gesagt, oder?

      Winner erinnerte sich gerade an eine der Nachbarinseln: Teneriffa. Dort hatte er vor Jahren einmal vier Wochen im Rahmen eines Amtshilfeersuchens bei der Polizei gearbeitet. Es ging damals um deutsche Touristen, die mehrere krumme Dinger gedreht hatten. Bei den Verhören hatten sie sich in solche sprachlichen Spitzfindigkeiten geflüchtet, dass selbst ein guter Dolmetscher an seine Grenzen gekommen war. Aus dieser Zeit stammten auch Winners bescheidene Kenntnisse der spanischen Sprache. Er hatte zwar schon als junger Mann einen Spanisch-Grundkurs bei der Volkshochschule absolviert, aber das war lange her und es war nicht mehr sehr viel davon hängen geblieben. Er kannte ein paar der gängigen Redewendungen und einige Sätze, die zum Einkaufen reichten oder um in einem Restaurant die Speisekarte zu lesen und das Essen zu bestellen. Aber es machte ihm Spaß, in einem Restaurant oder an einer Bar anscheinend unbeteiligt neben anderen Gästen zu sitzen und zu lauschen. Immerhin reichte sein Sprachverständnis dann oft dazu aus, wenigstens zu verstehen, worum es in deren Gespräch ging.

      Eine „Unsitte“ der Spanier konnte er allerdings überhaupt nicht leiden, nämlich dass sie seiner Meinung nach viel zu schnell sprachen und dann oft auch noch die Endungen der Wörter verschluckten. Manchmal konnte man den Eindruck haben, dass ein Satz aus einem einzigen sehr langen Wort bestand. Außer, wenn sie das Wort „pero“ – also „aber“ – einschoben. Dann machten sie immer eine kurze oder etwas längere Pause, um nachzudenken oder um Luft zu holen und dann mit unverminderter Geschwindigkeit fortzufahren. Der spanische Kollege auf Teneriffa hatte damals gesagt: „Meinst du, dass es uns mit der deutschen Sprache anders ergeht?“

      Die Kontrolle am Flughafen Lanzarote war eigentlich ziemlich unproblematisch. Man ging einfach zwischen zwei Schaltern hindurch und dann war man auf der Insel. Gelegentlich wurde zwar ein Fluggast gefragt, ob er etwas zu verzollen habe, aber kontrolliert wurde selten.

      Als Winner den Schalter bereits passiert hatte wurde er von einem Beamten der Polizei angesprochen: „Bitte, folgen Sie mir“, sagte er auf Deutsch und führte Winner in einen kleinen Nebenraum.

      Was war das? Lag es an seinem kleinen Gepäck? So reist doch kein echter Urlauber. War er aufgeflogen oder war er nur zufällig die Nummer soundso, die routinemäßig kontrolliert wurde?

      Bei ihm wurde eine Leibesvisitation durchgeführt und sein Koffer wurde einmal aus- und wieder eingepackt. Dann sagte der Beamte: „Entschuldigen Sie bitte die Störung“, und Winner durfte gehen.

      Draußen machte er sich allerdings noch einige Gedanken. War man ihm auf der Spur oder war es nur eine Stichprobenkontrolle, die ihn zufällig getroffen hatte? Oder war der kleine Ganove aus Deutschland, dessen Identität er benutzte, hier doch bekannt? Oder war alles doch nur reiner Zufall? Aber als Kriminalhauptkommissar mit etlichen Dienstjahren auf dem Buckel hatte er es sich eigentlich abgewöhnt an Zufälle zu glauben.

      Er kaufte sich am Flughafen einen deutschen Reiseführer für Lanzarote und stellte fest, dass man den Ort Mala mit einem öffentlichen Bus erreichen kann. Den nahm er dann auch, denn er wollte sicher gehen, dass man seine Spur nicht über die Taxizentrale verfolgen konnte.

      E-Mail

      Von: Flughafenpolizei Arrecife

      An: Polizeistation Haria

      Betreff: Amtshilfeersuchen zwecks Überprüfung einer

      Person

      Haben soeben einen deutschen Fluggast

      kontrolliert – nennt sich Sebastian Sommer,

      ist nach Mala gefahren, bitte observieren.

      Antwort: Wir kümmern uns darum.

      Winner bog beim Restaurant „Don Quijote“ rechts ab und folgte der Straße, so wie sein Freund Jan de Fries es ihm beschrieben hatte. Und schon nach wenigen Minuten erreichte er das Haus, das zu der Beschreibung passte. Er klingelt an der Tür des Nachbarhauses. Eine Frau mittleren Alters und typisch spanischem Aussehen öffnete und sagte: „Ach ja, Sie sind wohl Herr Sommer aus Deutschland. Jan hat mir angerufen und chesacht, dass Sie koomen. Hier ist die Schlüssel und wenn Sie etwas brauchen, koomen Sie einfach ßu mich.“

      Winner war froh, dass die Frau Deutsch sprach, wenn auch mit deutlich holländischem Akzent. Na, wen wundert‘s.

      Winner fand das Haus gleich sehr sympathisch. Neben einem kleinen Flur war gleich links die Küche, gegenüber Bad und WC und geradeaus kam man ins Wohnzimmer und hinten links zum Schlafzimmer. Das Wohnzimmer war recht groß und hatte auf der Südseite eine Glasfront mit einer Tür, die direkt auf die angrenzende Terrasse führte. Im gesamten Haus gab es keine Gardinen. Das war zwar ungewohnt, aber Winner wusste, dass es typisch holländisch war. Denn von seinen Besuchen in Holland erinnerte er sich daran, dass es dort kaum Gardinen gab, und wenn doch, dann nur halbhohe. Meist konnte man vom Bürgersteig aus durch das ganze Haus hindurchsehen.

      Neben dem Haus gab es einen kleinen Anbau, den man wohl als Garage hätte nutzen können. Aber er war leer, bis auf ein Fahrrad, das einsam an der Wand lehnte. Das kam Winner gerade recht, denn er fuhr gerne mit dem Rad, auch wenn er sich hier ein wenig vor den bergigen Straßen fürchtete. Er machte sich gleich auf den Weg und fuhr nach Guatiza, dem Nachbarort, in dem er an der Straße einen „Supermarkt“ gesehen hatte.

      Als er dort ankam stellte er fest, dass die Bezeichnung „Supermercado“ wohl ein bisschen übertrieben war. Aber das Angebot war überraschend reichhaltig und man konnte dort so ziemlich alles kaufen, was man zum täglich Leben brauchte: Brot, Gemüse, diverse Konserven, Butter oder Margarine, Käse, Getränke aller Art, vor allem Wasser – denn das Leitungswasser auf Lanzarote war nicht zum Verzehr geeignet - Tiefkühlkost in einer Gefriertruhe und sogar eine Frischfleischtheke mit diversen Fleisch- und Wurstwaren.

      Winner kaufte erst einmal alles, was er zum Frühstück brauchte: Kaffee, frische Brötchen, Marmelade und Milch. Dann überlegte er, was er in den nächsten Tagen kochen wollte, denn er war ein leidenschaftlicher Hobbykoch und hatte ja in seiner Ferienwohnung eine komplett eingerichtete Küche. Warum also nicht? Aber das Gemüse gefiel ihm gar nicht: Die Paprika waren schrumpelig, der Salat welk und die Tomaten überreif. Darum fragte er den Verkäufer, wann es frisches Gemüse gäbe. „Mañana“, sagte er. Aber Winner wusste, dass das Vieles bedeuten konnte. Es hieß nicht unbedingt „morgen“, also am nächsten Tag, sondern es konnte auch „demnächst“ meinen oder sogar letztendlich „in undefinierbarer Zukunft“, so wie in Griechenland das Wort „awrio“, das eigentlich „morgen“ meint, aber auch durchaus „in den nächsten Tagen“ bedeuten kann.

      Winner gab sich mit der Antwort zufrieden und kaufte lediglich Kartoffeln, Zucchini, Zwiebeln und zwei Putensteaks. Daraus ließe sich seiner Meinung nach durchaus ein schmackhaftes Gericht zubereiten. Aber heute nicht mehr. Stattdessen beschloss er im „Don Quijote“ essen zu gehen. Das war zu Fuß gut zu erreichen und sah einladend aus. Außerdem hatte ihm der Name schon bei seiner Ankunft mit dem Bus gefallen.

      Isabel

       Isabel spielte am liebsten mit Diego. Er war der Sohn des Nachbarn und etwas älter als sie. Isabels Vater sah es allerdings

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