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nehmen würde. Er hatte mit vielem gerechnet, nur nicht mit dem gewaltsamen Tod des Superintendenten. Er ging in die Teeküche, um Heißgetränke für die Sitzung zu bereiten, stellte Tassen, Löffel, Milch, Zucker und ein paar Plätzchen auf ein Tablett und wartete gedankenverloren auf das Klicken des Kippschalters am Wasserkocher. Er hatte sich immer gewünscht, dass Norbert Volkmann abgesetzt würde, aber jetzt war natürlich die Frage, wer danach kam. Sebastian Reimler hatte aufgrund seines Postens als Assessor nun die einmalige Chance, sich als vorläufiger Superintendent zu beweisen und sich schließlich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode wählen zu lassen. Ohne diese Fügung hätte er kaum eine Chance; niemand traute ihm dieses Amt zu. Und so wie Jens Carstensen ihn einschätzte, wäre er kein Segen für den Kirchenkreis, schon gar nicht für die Jugendarbeit.

      „Hallo Jens.“, eine gutaussehende Frau in den Vierzigern betrat die Teeküche. Jens Carstensen drehte sich um. „Ach Hallo, Regina. Du bist aber überpünktlich.“

      Regina Heuer grinste. „Ich musste noch ein paar Spezialanschaffungen fürs Osterbasteln tätigen, damit die lieben Kleinen auch die Herzen ihrer Eltern erfreuen können. Ging schneller, als ich dachte.“

      „Hast du eigentlich schon gehört, was hier heute Morgen passiert ist?“, fragte Jens Carstensen.

      „Nein. Wieso? Gab's Bombenalarm?“

      „Nein. Volkmann ist ermordet worden.“

      „Was?“, rief Regina Heuer. Dann stand sie einfach nur da mit großen Augen und offenem Mund. Als sie sich wieder gesammelt hatte, fragte sie: „Und? Weiß man schon wer's war?“

      „Nein.“, erwiderte Jens Carstensen, „Er ist ganz stickum in seinem Büro erstochen worden, und keiner hat etwas gemerkt.“

      „Wie schrecklich.“, sagte Regina Heuer.

      „Im Prinzip schon.“, bemerkte Jens Carstensen. „Aber es eröffnen sich jetzt natürlich ganz neue Perspektiven.“

      „Bist du sicher?“, gab Regina zu bedenken. „Reimler sitzt doch sicher schon in den Startlöchern. Am Ende wird’s noch schlimmer, als es sowieso schon war.“

      „Das habe ich allerdings auch schon gedacht.“, gab Jens zu und füllte das kochend heiße Wasser in eine Thermoskanne. Regina stellte eine Box mit Teebeuteln aufs Tablett und sagte: „Den Kaffee können wir ja später holen, die Maschine braucht sicher noch ein paar Stunden.“

      Jens trug das Tablett und Regina öffnete ihm die Türen. Im MAV-Zimmer saßen schon drei Kollegen: Der Küster der Mariengemeinde, Siegfried Wischmeier, die Gemeindebüro-Leiterin Ursula Koch aus Dankersen

      und der Kantor Friedrich Ortmann, ebenfalls Mariengemeinde. Regina Heuer leitete den Arche-Noah-Kindergarten in der Mindener Innenstadt, und um die Angelegenheiten zweier ihrer Mitarbeiterinnen ging es heute Nachmittag.

      „Der Kaffee braucht noch ein bisschen.“, sagte Jens Carstensen. „Über den aktuellsten Vorfall seid ihr alle informiert?“

      „Wenn du das tragische Dahinscheiden unseres geliebten Superintendenten meinst, ja, wir wissen alle Bescheid.“, erwiderte Friedrich Ortmann.

      „Die Frage ist, ob wir unter diesen Umständen überhaupt noch etwas zu besprechen haben.“, gab Ursula Koch zu bedenken.

      „Naja, diese widerwärtige Personalpolitik geht sicher nicht allein auf Volkmanns Konto.“, widersprach Regina Heuer. „Wenn wir jetzt nichts unternehmen, fährt Reimler diese Linie weiter. Volkmanns Tod war ja kein selbst gewähltes Opfer. Jemand war richtig sauer auf ihn.“

      „Oder er war jemandem im Weg.“, sagte Ursula Koch.

      „Der Assessor.“, stieß Jens Carstensen über akzentuiert hervor. „Super Krimi-Titel.“

      „Jetzt werden wir aber etwas pietätlos.“, mahnte Friedrich Ortmann.

      „Ja, aber nur ein bisschen.“, beschwichtigte ihn Siegfried Wischmeier.

      Regina Heuer legte einen Stapel Papiere auf den Tisch. „Ich finde, wir sollten nicht locker lassen. Meine Mitarbeiterinnen haben beide ein Protokoll der Vorfälle angefertigt und unterschrieben. Soll ich euch das mal vorlesen?“

      Alle Anwesenden nickten zustimmend.

      „Am Dienstag, den 8.10.2013 bat mich Herr Superintendent Norbert Volkmann zu einem Gespräch ins Kreiskirchenamt. Er teilte mir mit, alle Mitarbeiterinnen, die weniger als fünf Jahre bei einer Gemeinde des Kirchenkreises beschäftigt seien, bekämen jetzt neue Verträge, und ich solle bitte unterschreiben. Auf meine Frage, was denn an dem Vertrag anders sei, erwiderte er, ich würde in eine neue Gehaltsgruppe eingeordnet. Auf meine Frage, wie sich das effektiv auf mein Gehalt auswirken würde, erwiderte er, so genau wisse er das nicht, es würde sich aber nur geringfügig verändern. Ich bat mir Bedenkzeit aus. Er sagte daraufhin wörtlich: 'Sie müssen das unterschreiben, Sie haben gar keine andere Wahl. Es sei denn... es steht Ihnen selbstverständlich frei, jederzeit unseren Betrieb zu verlassen.'

       Ich weigerte mich dennoch und sagte, dass ich die Unterlagen zur Überprüfung mit nähme und mich noch im Laufe der Woche bei ihm melden würde. Darauf antwortete er wörtlich: 'Sie werden schon sehen, was Sie davon haben.'“

      „Mehr Geld.“, unterbrach Jens Carstensen die Lesung und alle lachten.

      Regina Heuer fuhr fort: „Nachdem ich mich von der Gehaltsabrechnungsstelle beraten lassen habe, fiel mir auf, dass sich mein Einkommen durch diesen neuen Vertrag um etwa 200 Euro verringern würde. Ich schaltete die MAV ein, die mir bestätigte, dass nichts und niemand mich zwingen könne, diesen Vertrag zu unterschreiben. Ich unterschrieb nicht und brachte Herrn Volkmann die Unterlagen zurück. 'Das wird noch ein Nachspiel haben'., sagte dieser nur. Danach ist nichts weiter geschehen.“

      „So und jetzt das zweite Protokoll.“, fuhr Regina Heuer fort.

      „Am Donnerstag, den 10.10.2013 wurde ich zum Superintendenten in sein Büro im Kreiskirchenamt bestellt. Er legte mir einen Stapel Papiere vor mit den Worten:' Als Mitarbeiterin, die weniger als fünf Jahre bei uns beschäftigt ist, werden sie neu eingruppiert und müssen daher diese neuen Verträge unterschreiben. Das ist nur eine Formsache. An ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis ändert sich nichts. Wenn Sie bitte zuerst hier unterschreiben würden.'

       Er hielt mir einen Stift hin und zeigte auf das Unterschrift-Feld für die Mitarbeiterin. Ich wies ihn darauf hin, dass sich mit diesem Vertrag sehr wohl etwas ändere, nämlich das Gehalt und dass ich nicht bereit sei, freiwillig und ohne jede rechtliche Grundlage auf 200 Euro monatlich zu verzichten. Er wurde daraufhin laut und antwortete, dass meine Kenntnis der rechtlichen Zusammenhänge jeglicher Grundlage entbehre und dass meine Verweigerung der Unterschrift weitreichende Konsequenzen für mich hätte. Auf meine Frage, was für Konsequenzen das seien, erhielt ich keine Antwort. Ich fragte, ob ich an meinen Arbeitsplatz zurückkehren dürfe und Herr Volkmann antwortete: „Vorläufig ja. Wir hören sicher noch voneinander.'

       Seitdem ist nichts mehr vorgefallen.“

      Regina Heuer ließ das Papier sinken.

      „Gab es noch Fälle, in denen Mitarbeiterinnen sich haben breitschlagen lassen?“, fragte Friedrich Ortmann.

      „Soweit ich weiß, haben zwei Kolleginnen aus anderen Einrichtungen widerspruchslos unterschrieben, aber sie wollen nicht drüber reden.“

      „Angst vorm bösen Wolf:“, bemerkte Jens Carstensen.

      „Ja, aber der Wolf ist tot.“, gab Ursula Koch zu bedenken.

      „Sie haben ja jetzt nichts mehr von Volkmann zu befürchten. Vielleicht sollten wir sie noch einmal ansprechen.“

      „Da hängen aber noch mehr Strippenzieher drin als Volkmann.“, widersprach Jens Carstensen. „Reimler fährt garantiert auf demselben Gleis und wenn ich mich von Volkmann einschüchtern lassen würde, hätte ich vor Reimler erst recht Angst.“

      „Das sind wohl auch generell so kleine Mäuschen,

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