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Abend noch einmal telefonieren und unsere Strategie absprechen.“

      „Heute Abend habe ich aber keine Zeit. Meine Frau und ich haben Konzertkarten.“, erklärte Reimler trocken.

      Massmann sah ihn ungläubig an. Dann atmete er tief durch und sagte mit erzwungener Ruhe, aber einem unüberhörbar aggressiven Unterton: Dann rufen Sie mich nach dem Konzert zu Hause an, Herr künftiger Su-per-in-ten-dent!“

      Er rauschte aus dem Zimmer und ließ den verdutzten Reimler stehen. Frau Attig hatte die Unterlagen in Windeseile kopiert und Massmann kehrte in die Stadtverwaltung zurück. Die Papiere würde er sich nach Feierabend ansehen. Er ärgerte sich maßlos über Reimler. War er im ersten Moment froh gewesen, den durchsetzungsfähigen Volkmann nicht mehr vor der Nase zu haben – der zwar die gleichen Ziele wie er verfolgte, die Lorbeeren aber immer allein ernten wollte – und nun seine Lieblingsmarionette Reimler auf dem Sessel des Superintendenten steuern zu können, kam die Befürchtung auf, der Schuss könne nach hinten los gehen.

      Als Gemeindepfarrer in Marien hatte Reimler Massmann vorbehaltlos vertraut, und Massmann schätzte Reimler wiederum, weil er keiner von diesen Pfarrern war, die versuchten, einfach alles zu sein: Politiker, Sozialarbeiter, Psychologe, Schauspieler, Sänger, Künstler, Rebell und gleichzeitig Integrationsfigur. Nein, Reimler war das, was Massmann einen Volltheologen nannte: er beschäftigte sich ausschließlich mit Bibelkommentaren, widmete sich klassischen Themen wie Gottesdiensten, Gemeindegruppen, Diakonie und religiösen Bildungsveranstaltungen, hatte auch privat eine Vorliebe für klassische Kirchenmusik, zog sich anständig und seinem Amt angemessen an und verfügte über eine kultivierte Ausdrucksweise. Als Massmann merkte, wie leicht Reimler sich von ihm leiten ließ, ermutigte er ihn immer wieder für das Amt des Synodal-Assessors zu kandidieren. Schließlich hatte er es gewagt und gewonnen. Aber sein neues Amt stieg ihm offenbar zu Kopf. Er entwickelte ein Eigenleben, reagierte irgendwie bockig und war dabei aber offenkundig zu faul und zu dumm, um die Aufgaben, die auf ihn zukommen würden, im Alleingang zu bewältigen. Er brachte es fertig, in seiner naiven Selbstherrlichkeit alles vor die Wand zu fahren, wofür Massmann und andere jahrelang gearbeitet, gekämpft und taktiert hatten. Er musste diesen Kerl unbedingt wieder unter seine Kontrolle bringen. Ihm war nur noch nicht ganz klar, ob es klüger war, offen die Führung an sich zu reißen oder Reimlers Vertrauen durch schmeichlerisches Dienertum zurück zu gewinnen. Um das zu entscheiden, blieben ihm ja noch ein paar Stunden Zeit.

      13. Minden – Arche-Noah-Kita

      „Du musst mir die Kekse holen, ich bin die Prinzessin, du bist die Fee.“, befahl Jodie.

      „Muss ich nicht.“, widersprach Joelina. „Ich bin nämlich auch eine Prinzessin.“

      „Aber du bist doch die Fee.“

      „Ja, aber ich bin eine Feenprinzessin.“

      „Das gibt es nicht!“

      „Gibt es wohl. Karneval war ich auch eine Feenprinzessin.“

      „Das ist Quatsch! Das war nur, weil du gern beides sein wolltest. Fee und Prinzessin. Das geht gar nicht.“

      „Das geht wohl!“, erklärte Joelina. „In meinem Märchenbuch zu Hause da gibt es ein Feenreich, da gibt es auch einen Feenkönig und eine Feenkönigin und die haben eine Kind und das ist die Feenprinzessin.“

      „Ja, aber“, protestierte Jodie, „das ist ja im Märchen. Aber in echt gibt es keine Feenprinzessinnen.“

      „In echt gibt es aber auch keine Feen.“, erklärte Joelina.

      „Aber Prinzessinnen“, triumphierte Jodie. „Und darum musst du mir jetzt die Kekse holen.“

      „Aber in echt bist du ja gar keine Prinzessin.“, enttarnte Joelina ihre Spielkameradin, „nur im Spiel.“

      „Aber dann bist du auch keine Feenprinzessin.“

      „Eben.“

      „Hä?“

      „Ich hab' keine Lust mehr. Ich gehe nach draußen.“ Und schwups, entschwebte die Feenprinzessin in Richtung Schaukel. Jodie hielt indes Ausschau nach einem würdigen Ersatz, der gewillt war, den unterwürfigen Diener zu spielen.

      Regina Heuer hatte die Szene interessiert beobachtet, ebenso wie ihre Kollegin Sabine Krönke.

      „Die lieben Kleinen ziehen doch schon die gleichen Nummern ab wie die Großen.“, flüsterte Regina ihrer Kollegin zu.

      „Ja“, erwiderte diese leise. „Aber die haben viel mehr Möglichkeiten, sich cool aus der Affäre zu ziehen. Joelinas Abgang fand ich grandios.“

      „Stell dir mal vor, das hättest du bei Volkmann gebracht.“, phantasierte Regina. „Aber in echt bist du ja gar kein richtiger Superintendent, sondern nur ein aufgeblasene Wurst.“

      „Genau“, kicherte Sabine. „Ich hab' keine Lust mehr, ich geh' schaukeln.“

      „Arbeitslos in drei Minuten.“, erklärte Regina.

      „Aber vielleicht“, gab Sabine flüsternd zu bedenken, „hätte er auch vor Aufregung einen Herzinfarkt erlitten und jetzt müssten keine Steuergelder verschwendet werden, weil die Polizei seinen Mörder sucht.“

      Jodie kam auf die beiden Erzieherinnen zu. „Sabine, kannst du mir eine Krone aufmalen, zum ausmalen?“

      „Klar kann ich das.“, antwortete Sabine, „aber warum machst du das nicht selbst?“

      „Ich kann das nicht.“

      „Aber Prinzessinnen müssen gut malen können, sonst sind sie keine richtigen Prinzessinnen. Wenn du es nicht kannst, musst du es üben.“

      „Ich weiß aber nicht wie.“, maulte Jodie und formte mit dem Mund eine Schüppe.

      „Komm, wir malen die Krone zusammen.“, forderte Sabine sie auf. Regina ging in die Bauecke, einen Streit schlichten, um eine Prügelei zu vermeiden. Etwas später überließen sie Karin die Aufsicht und gingen in die Küche, um das Mittagessen bereit zu stellen.

      „Wann findet jetzt eigentlich der Ersatztermin statt für den, der wegen des Mordes an Volkmann ausgefallen ist?“, erkundigte sich Sabine.

      „Morgen um 17.00 Uhr.“, antwortete Regina. „Wird ein langer Tag.“

      „Du Ärmste.“

      „Ich werd's überleben. Hab' es ja selbst so gewollt. Als MAV-Vertreterin bin ich ja schließlich unkündbar. Ist das nichts?“

      „Bei deinen Dienstjahren bist du das auch so.“

      „Okay, ich bin Politik-süchtig.“

      „Na dann viel Vergnügen morgen Nachmittag.“

      „Werd' ich haben.“

      „Wer ist denn jetzt euer Verhandlungspartner?“

      „Reimler, der Schleimer:“

      „Ist der auch so ekelhaft wie Volkmann?“

      „Ja, und auch genauso machtgeil. Aber nicht so schlau. Und außerdem sitzt er nicht ganz so fest im Sattel. Er ist da nur reingerutscht. Niemand hätte ihn gewählt. Jetzt will er sich natürlich da halten. Wenn er das tut, indem er möglichst niemandem Ärger machen will, wird das gut für uns. Wenn er sich allerdings ein Denkmal setzen will, damit ihn alle begeistert wählen, wenn seine kommissarische Amtszeit endet, dann kommt viel Arbeit auf uns zu.“

      „Aber wenn die ihn damals zum Stellvertreter gewählt haben, dann werden die ihn doch jetzt auch sicher zum Chef wählen.“, gab Sabine zu bedenken.

      „Das glaube ich nicht.“, entgegnete Regina. „Die Wahl damals war zwischen Pest und Cholera: der dumme, faule Schleimer-Reimler gegen den psychopathischen, selbstverliebten Zimmer-Spinner.“

      „Der Typ, der damit angibt, dass die Konfirmanden in Socken und Schneidersitz in seinem Wohnzimmer abhängen?“

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