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Vom Hohen und Tiefen und dem Taumel dazwischen. E. K. Busch
Читать онлайн.Название Vom Hohen und Tiefen und dem Taumel dazwischen
Год выпуска 0
isbn 9783738078640
Автор произведения E. K. Busch
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
«Vielleicht liegt es auch nur an deinem Gesichtsausdruck», kommentierte Elena abschließend, die offensichtlich jegliche Hoffnung aufgegeben hatte. Darauf vollendete sie ihr sorgfältiges Make-up mit ein wenig rosafarbenem Lipgloss. Derartige Rituale beging Elena mir einer beinahe religiösen Feierlichkeit. Sie presste ein paar Mal die Lippen aufeinander, wandte sich dann von ihrem Spiegelbild ab und posierte in ihrem kurzen, lavendelfarbenen Kleid scherzhaft in der Mitte des kleinen Zimmers. «Und?», fragte sie zum Abschluss und drehte sich einmal um die eigene Achse.
Toni war sie sich nicht sicher, ob sie den Weg zu Fridas WG auch alleine auf Anhieb gefunden hätte. Sie wusste lediglich, dass es sich um eine der schmalen Gassen handelte, die in südlicher Richtung von der Hauptstraße abzweigten, und dass sich ein etwas dubioses Antiquitätengeschäft in derselben Straße fand, das weniger Antiquitäten als eine Menge unheimlichen Plunder feilbot. Dabei hatte Toni eigentlich einen sehr guten Orientierungssinn, der ihr selbst in Rom, Paris oder im tiefsten Wald noch niemals den Dienst versagt hatte. Es schien ihr also eher, als hätte es eine besondere Bewandtnis mit Fridas Wohnung. Als fände sich diese in einer Art Bermuda-Dreieck. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass sich Toni dort in der muffigen Wohnung immer ein wenig unwohl fühlte. Schließlich war Frida vor allem Elenas Freundin und im Grunde nicht mehr als eine flüchtige Bekannte.
Elena war guter Laune und ihre beschwingten Schritte hallten zwischen den Häuserwänden wieder. Nach Tonis unvermittelter Flucht aus der WG hatten sie und Raphael noch einen äußerst erfreulichen Nachmittag miteinander verbracht. Zumindest wenn man Elenas überschwänglicher Berichterstattung Glauben schenkte. Das Ganze lag nun bereits zwei Wochen zurück und Raphael und sie waren seitdem ein paar Mal in der Mensa essen oder abends gemeinsam feiern gewesen. Es war recht eindeutig, dass sich ihre Mitbewohnerin mittlerweile Hoffnungen machte, was Raphael und sie betraf, auch wenn sie das natürlich niemals zugegeben hätte. Stattdessen betonte sie immer wieder, es handele sich um eine rein freundschaftliche Beziehung. Schließlich hätten sich Raphael und sie mit Ausnahme dieses einen Freitagnachmittags immer auch in Gesellschaft weiterer Bekannter befunden. Zwar war Toni nicht ganz klar, in wie fern diese Gesellschaft ein Beweis oder Gegenbeweis sein konnte für irgendetwas, doch war es auch nicht ihre Art, derlei argumentative Mängel anzuprangern. Und vielleicht hatte sie auch wirklich keine Ahnung von diesen Dingen. Zudem konnte sie wirklich nicht sagen, ob Elena nun wirklich Gefallen an Raphael fand, oder ob sie nicht viel mehr Gefallen daran fand, Gefallen an ihm zu finden. Denn seit sie Elena kannte, schwärmte diese immer für irgendeinen Kerl. Sie schien dabei ein Faible zu haben für hübsche Gesichter und eine leichtfüßige Unentschlossenheit. Toni dagegen vermochte sich nicht zu erinnern, selbst auch nur ein einziges Mal für irgendjemanden geschwärmt hätte. Jegliche Glorifizierung war ihr suspekt. Im Gegensatz zu Elena konnte sie sich auch nicht vorstellen, dass zwei Menschen für einander bestimmt waren auf irgendeine Art. Dies schien ihr ein metaphysisches Gerücht, genährt von rührseligen Büchern und Filmen.
Toni war sich erst sicher, dass man in die richtige Gasse eingebogen waren, als man das Antiquitätengeschäft passierte und sie einen Blick in die dunkle Auslage werfen konnte. Beim Anblick einer alten Porzellanpuppe erschauerte sie unwillkürlich. Mehrere Fenster der WG waren auf die Straße hin geöffnet und es drang das dumpfe Pulsieren eines Basses hinaus auf die Gasse. Auf Elenas Klingeln ließ man sie ins Haus und kurz darauf betraten die beiden jungen Frauen die Wohnung.
Nachdem man sich einen Weg zu Frida in die Küche gebahnt und ihr herzlich zum 24. Geburtstag gratuliert hatte, suchte Elena recht entschlossen nach Raphael, auch wenn sie diese Suche als einen beiläufigen Spaziergang zu tarnen versuchte und hier und da mit einem alten Bekannten ein paar Worte und ein Lächeln wechselte.
Toni fühlte sich unbehaglich in Elenas Schlepptau. Wie ein Fisch, der einem Kutter folgte wegen der Speisereste, die hin und wieder über Bord geworfen wurden. Sie ließ sich daher unmerklich zurückfallen, bis sich der Abstand zu ihrer Mitbewohnerin soweit vergrößert hatte, dass niemand mehr eine Verbindung zwischen ihnen beiden hergestellt hätte. Nur aus der Ferne noch wurde sie Zeuge Elenas Triumphs: Sie hatte Raphael schließlich in seinem Zimmer entdeckt, wo er in einem von zwei abgewetzten Ohrensesseln saß. Das Bild erinnerte Toni an einen dieser uralten Schwarzweiß-Krimis.
Raphael unterhielt sich angeregt mit einem Kumpel, hatte die Beine dabei lässig übereinandergeschlagen. Es fehlte lediglich eine rauchende Pfeife in seinem Mundwinkel.
Ungläubig sah sie dabei zu, wie sich Elena nach einer flüchtigen Begrüßung auf die Armlehne neben ihn setzte. Da hockte sie nun in ihrem lavendelfarbenen Kleid wie ein zarter Vogel auf der Stange. Nur beim Lachen zeigten sich spitze Zähne. Toni wandte sich fast ein wenig ärgerlich ab von der Szene. Sie beschloss sich auf einen Streifzug durch die Wohnung zu begeben. Sie hatte immerhin ein Glas Caipirinha in der einen und einige Salzstangen in der anderen Hand und wäre somit für einige Minuten versorgt.
Jeder der drei Mitbewohner schien seine eigenen Freunde und Bekannten eingeladen zu haben und so war eine recht bunte Truppe zustande gekommen. Toni erkannte sogar einen Kommilitonen, traute sich jedoch nicht ihn anzusprechen. Sie war sich auch nicht sicher, ob er sie ebenfalls erkannt hatte. Im Hörsaal war es dunkel und es saßen dort viele Studenten. Man wechselte höchstens ein paar Worte mit seinen Sitznachbarn. Mit Namen kannte sie selbst deshalb nur ein Dutzend ihrer Kommilitonen. In den Übungsgruppen trat Toni zudem sehr zurückhaltend auf. Sie rechnete nur dann vorne an der Tafel, wenn der Tutor sie dazu nötigte. Sie sprach nicht gerne vor vielen Menschen, selbst wenn man ihre elegante Lösung lobte. Meist saß sie mit Benjamin und Dominik in der letzten Reihe. Wenn es schwierig war, machten sie sich eifrig Notizen. In der Hoffnung, später einmal aus diesen schlau zu werden. War es einfach, hörten sie nur halbherzig zu. Dann trugen Benjamin und Dominik eines ihrer kindischen Turniere aus und malten im Wechsel Kreise und Kreuze aufs Papier, während Toni gedankenlos aus dem Fenster starrte oder frühzeitig nach Hause ging, um dort in Ruhe ihre Aufgaben zu lösen. Im Gegensatz zu ihren Kommilitonen lernte und rechnete sie immer allein.
Nachdem Toni ihren ersten Caipirinha ausgetrunken hatte, bereitete sie sich nach Gutdünken einen zweiten zu. Obwohl sie selbst es gewesen war, die Limetten und Cachaca auf die Party mitgebracht hatte, wusste sie nicht genau, wie das optimale Mischungsverhältnis der Zutaten war. Von dem freundlichen Studenten, den Elena vorhin so charmant zur Hilfe gerufen hatte, fehlte nun jede Spur.
Toni dachte sich, dass es wohl nicht so schwierig sein konnte, aus Zucker und Schnaps einen vernünftigen Drink zu mixen. Sie fand dann jedoch, dass ihr selbst zubereiteter Cocktail grauenhaft schmeckte. Und auch als sie ein zweites Mal an dem Strohhalm sog, konnte sie nur angewidert den Mund verziehen. Sie versuchte den bitteren Geschmack durch Zugabe von weiterem Rohrzucker aufzuheben. Diese Strategie erwies sich allerdings als wenig zielführend. Schließlich entschied Toni, dass sie sich mit der Zeit schon an den ekelhaften Geschmack gewöhnen würde, und nahm tapfer einen weiteren Schluck, ehe sie ihren Streifzug durch die Wohnung fortsetzte.
In einem der Zimmer stand ein altes, verstimmtes Klavier. Zwei Studenten waren bemüht, die Titelmusik verschiedener Action-Filme zu rekonstruieren. Da Toni nicht wusste, was sie sonst hätte tun sollen, hörte sie den kläglichen Mühen halbherzig zu und besah sich währenddessen die Bücher im Bücherregal. Das Klavier gab derweil die schauerlichsten Laute von sich. Toni musste an ein fauliges Grinsen denken. Überhaupt hatte sie bei den weißen Tasten schon immer an Zähne denken müssen. Wenn man es genau bedachte, waren sie das ja auch einmal gewesen, zumindest was die alten Klaviere betraf.
Toni hätte sich niemals getraut, selbst einmal so wild und gefühllos auf den Tasten zu hämmern, und die Grobheit der beiden Studenten versetzte ihr einen Stich. Den Flügel ihres Vaters hatte sie als kleines Kind kaum zu berühren gewagt. Und auch als sie dann selbst Klavierunterricht erhalten hatte, war sie dem Instrument immer etwas ehrfürchtig entgegengetreten und hatte Angst gehabt, Fettflecken auf den polierten Tasten zu hinterlassen. Seitdem sie ausgezogen war, gab es weder einen Flügel noch ein Klavier, auf dem sie hätte spielen können. Im Grunde war sie erleichtert deswegen.