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Der harte Engel. Adrian Plitzco
Читать онлайн.Название Der harte Engel
Год выпуска 0
isbn 9783847632825
Автор произведения Adrian Plitzco
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Und das Baby?“, fragte Eric und versuchte gleichzeitig von ihr wegzurutschen.
„Das habe ich ausgetragen.“
„Ich wusste nicht, dass sie ein Kind haben.“
„Kind?“ Sie lachte. „Einen alten Mann! Er steht kurz vor der Pensionierung. Er arbeitet schon vierzig Jahre bei derselben Telefongesellschaft und lebt mit seiner langweiligen Frau im langweiligsten Vorort von Brisbane.“
Sie streichelte Erics Hand. Ihre Haut fühlte sich weich an, und die Wärme, die von ihr ausging, kroch trotz der erdrückenden Hitze wohltuend durch seinen Körper. Auf einmal war es ihm angenehm, an diese alte Frau geschmiegt auf einem engen Sofa zu sitzen.
„Alles habe ich versucht“, fuhr sie etwas wehmütig fort, „ich habe mich gezwungen, ihn zu lieben. Immerhin bin ich seine Mutter. Aber es wollte nicht klappen. Ich habe den Jungen nie gemocht. Trotzdem klebt er an mir wie eine Klette. Er ruft jeden Tag an und erzählt mir seine langweiligen Geschichten.“ Plötzlich sprang sie auf. „Kommen Sie in die Küche. Ich wärme uns die gute Suppe auf.“
Eric hatte keine Chance, die Einladung auszuschlagen, denn Frau Oldenburg war bereits in die Küche verschwunden. Es war vier Uhr morgens, und heiße Suppe war das Letzte, was er sich antun wollte. Widerwillig stand er auf, warf sich das Bettlaken über die Schulter und folgte ihr an den Statuetten und Eingeborenenmasken vorbei in die Küche. Wenigstens wollte er endlich wissen, was Frau Oldenburg im Botanischen Garten zu suchen hatte.
Der Mikrowellenofen klingelte. Die Suppe war fertig. Zucchini mit etwas Reis und Hühnerfleisch. Nachdem Eric den ersten Löffel gekostet hatte, begann Frau Oldenburg endlich.
„Ich war neugierig, ob sie das Emotionsecho wirklich sehen können. Und ob ich es selber auch würde sehen können.“
„Und?“
„Ich habe Sie nirgends finden können.“
„Ach ja?“, sagte Eric ungeduldig, „haben Sie denn das Echo gesehen?“
Frau Oldenburg zuckte mit den Schultern. „Vielleicht“, sagte sie spitz und zog die Schultern noch weiter hoch. Trotz der stickigen Hitze in der Küche und trotz des heißen Dampfes, der von der Suppe aufstieg und kleine Schweißperlen aus Erics Stirn trieb, fröstelte ihn plötzlich.
„Vielleicht? Haben Sie es gesehen oder nicht?“
„Ja, aber nicht im Botanischen Garten“, gab sie zur Antwort. Sie nahm einen Löffel Suppe und redete mit vollem Mund weiter. „Ich war in der Nähe vom Südeingang, als mir plötzlich eine große dunkle Gestalt entgegenkam. Sie hatte keine Augen, bloß schwarze Löcher. Besonders das eine war so groß, dass eine Faust darin Platz gehabt hätte. Als sie auf meiner Höhe war, grinste sie mich an. Das unheimlichste Grinsen, das ich je gesehen habe. Dann ging sie durch mich hindurch und verschwand im Dunkeln.“ Frau Oldenburg leckte den Löffel ab und sah Eric ernst an. „Und wissen Sie was? Irgendwie kam mir diese Gestalt bekannt vor. Ja, ich habe sie schon mal gesehen, ich weiß nur nicht mehr, wo. Dabei müsste ich es doch wissen. Dass jemand ein großes schwarzes Loch im Gesicht hat, sieht man ja auch nicht alle Tage.“ Sie trug Suppenteller und Löffel zum Spülbecken und ließ Wasser ein. „Ich weiß, dass ich sie kenne. Aber es will mir nicht in den Sinn kommen.“
Eric kam sich auf einmal lächerlich vor: hörte sich von einer verrückten Nachbarin eine haarsträubende Geschichte an, während er nur in Unterhose und einem gestohlenen Bettlaken in ihrer Küche stand. Er bereute es, Frau Oldenburg von seinen Erfahrungen am Mount Buller erzählt zu haben, und fühlte sich beinahe schuldig, sie mit der Theorie des Emotionsechos verwirrt zu haben.
„Ich gehe jetzt“, sagte er, „es ist schon spät. Danke für die Suppe.“
Frau Oldenburg aber schien ihn nicht mehr zu hören. Sie rieb mit bloßer Hand den Teller und murmelte pausenlos vor sich hin.
Kapitel 9: Waratah Bay
Noch in derselben Nacht rief Elizabeth mehrmals bei Eric an, und jedes Mal, wenn das Piepsen des Anrufbeantworters ertönte, hängte sie den Hörer ein. Sie war erleichtert, dass er nicht zu Hause war. Was hätte sie ihm sagen sollen? Dass sie ihn liebte? Dass sie immerzu an ihn denken musste? Dass sie für den Rest des Lebens mit ihm zusammen sein wollte? Nein, das hätte sie nicht getan, auch wenn alles in ihr danach strebte, ihm ihre Gefühle zu gestehen. Außerdem hätte sie sich bloß mit ihm gestritten, weil sie verwirrt und wütend war darüber, dass er sie im Taxi zurückgelassen hatte. Daher spielte ihr CD-Player jedes Mal, bevor sie Erics Nummer wählte, dieselbe Passage aus Salomé. Elizabeth stimmte in den hemmungslos sinnlichen Gesang der Interpretin ein. Sie stellte sich vor, Salomé zu sein, und Erics Kopf lag in der Silberschüssel. Hättest du mich angesehen, du hättest mich geliebt, sang sie und drückte ihre Lippen auf die seinen, um die Rache zu besiegeln. Doch bevor die Schilder der Garde sie zermalmten, stellte Elizabeth die Musik ab. Mit dem Singen verschaffte sie ihrer Wut Luft.
Nach dem fünften Anruf legte sie sich auf den kühlen Wohnzimmerboden und roch an ihren Händen, an denen noch der Duft von Eric hing. Sie wünschte sich, die vergangenen zwölf Jahre hätten nie existiert, Eric läge bei ihr und draußen vor dem Zelt schlügen die Wellen über den Sand.
Eingebettet zwischen nackten Felshügeln und bröckelnder, von Kapuzinerkresse und Meerdisteln überwucherten Steilküste lag Waratah Bay. Elizabeth und Maryanne verbrachten ihr Sommerferien am südlichsten Zipfel Victorias, wie viele andere Teenager auch, und hier an diesem Ort war es, an dem sie Eric kennen lernten, in einer mondhellen Nacht, als sie am Strand saßen und er plötzlich vor ihnen aus dem Meer stieg. Im Glauben, alleine zu sein, warf Eric das Surfbrett in den Sand und begann den Wetsuit-Anzug auszuziehen. Schließlich stand er nackt vor Elizabeth und Maryane, schneeweiß und leuchtend wie ein Elfenwesen, das durch ein Loch aus der Finsternis gekrochen war. Elizabeth folgte gebannt seinen anmutigen Bewegungen, seinem stillen, unbeschwerten Gang, fließend wie Strom, der träge ins Meer mündete. Er sah aus wie ein Engel, zumindest wie Elizabeth sich einen Engel vorstellte. Dann plötzlich rannte Eric los und hechtete mit einem Sprung in die Wellen. Prustend kam er wieder an die Oberfläche, stapfte aus dem Wasser, schnäuzte sich die Nase mit der Hand, spuckte und rülpste, Laute, die man eher von einer niederen Kreatur als von einem Himmelswesen erwarten würde. Schließlich drehte sich Eric nochmals den Wellen zu und pisste ins Wasser. Elizabeth und Maryanne kicherten. Im gleichen Augenblick merkte Eric, dass er nicht allein war. Das war der Anfang ihrer Freundschaft.
Am nächsten Tag schlüpften Elizabeth und Maryanne in Erics kleines Zelt. Bei Marihuanajoints und zwei Flaschen billigem, warmem Sekt verbrachten die drei die aufregendste Nacht ihres Lebens. Am nächsten Morgen hatte sich Maryanne aus dem engen Zelt gestohlen. Elizabeth war froh, denn so konnte sie Eric für sich alleine haben.
„Wo ist Maryanne?“, fragte er, doch Elizabeth drückte ihm den Zeigefinger auf die Lippen, dann küsste sie ihn. Sie liebten sich, schliefen ein und wachten auf, um sich erneut zu lieben. Elizabeth konnte sich nicht vorstellen, jemals wieder einen Schritt zu tun ohne Eric an ihrer Seite. Ein Leben ohne ihn wäre verschwendet. Sie fühlte, dass er das Gegenstück