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Der harte Engel. Adrian Plitzco
Читать онлайн.Название Der harte Engel
Год выпуска 0
isbn 9783847632825
Автор произведения Adrian Plitzco
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Nein“, antwortete Elizabeth überrascht, „bei mir ist sie nicht. Sie ist kurz vor Mitternacht gegangen.“
„Hat sie gesagt, wohin sie geht?“, fragte Eric.
„In die Dogs Bar natürlich. Sie wollte dich doch dort treffen.“
Eric rief die Polizei an, die wollte aber nichts unternehmen. „Zwei Stunden sind zu wenig, um als vermisst zu gelten“, hieß es.
„Ich habe Angst, dass ihr etwas zugestoßen ist.“
„Beruhigen Sie sich, sie wird schon noch auftauchen. Wer weiß, was in ihrem Kopf vorgeht. Solche Fälle haben wir öfter. Spätestens zum Frühstück kommt sie angekrochen und bittet um Vergebung.“
Das war zu viel für Eric. Er schrie in den Hörer. Er verbat es sich, dass derart über Maryanne geredet wurde, und ließ nicht locker, bis die Personenbeschreibung aufgenommen wurde.
„Was werden Sie unternehmen?“
Der Polizist ließ sich Zeit mit der Antwort. „Alles, was ich tun kann, ist die Vermisstenmeldung an meine Kollegen im Streifenwagen weiterzugeben. Die werden Ihre Frau hoffentlich irgendwo auflesen und gesund wieder nach Hause bringen. Das ist alles, was ich tun kann.“
So lange wollte Eric nicht warten und bat Elizabeth um Hilfe. Zusammen streiften sie im Auto durch das ganze Quartier, hinterließen den Kellnern in der Dogs Bar Maryannes Beschreibung, kehrten mehrere Male zurück - ohne Erfolg.
Bei Tagesanbruch war die Polizei endlich willig, eine offizielle Vermisstenmeldung aufzunehmen. Elizabeth begleitete Eric nach Hause und kochte einen starken Kaffee. Er erzählte ihr von dem Streit mit dem Polizisten und dessen Unverfrorenheit, Maryanne der Untreue zu bezichtigen.
„Glaubst du, sie würde mir das antun?“, fragte er, und im gleichen Atemzug erschien ihm diese Frage albern. Elizabeth aber gab keine Antwort und durchforstete ungeduldig den Kühlschrank nach Essbarem.
„Du verschweigst etwas“, sagte er fordernd.
„Ich will nicht den Teufel an die Wand malen“, war ihre knappe Antwort, dann: „Ich habe Hunger. Lass uns frühstücken.“ Sie nahm Käse und Butter aus dem Kühlschrank und legte beides auf den Tisch, dazu eine Flasche Champagner. „Kann ich den aufmachen?“
„Jetzt?“
Ein Frühstück ohne Champagner war für Elizabeth undenkbar. Das Prickeln wecke ihre Geister, hielt sie jedem Besserwisser entgegen, der es wagte, ihre Angewohnheit zu kritisieren. Und man ließ sich besser nicht auf eine Auseinandersetzung mit Elizabeth ein.
Sie öffnete die Flasche, füllte ein Glas und nahm einen Schluck. „Maryanne war nicht allein, als sie zu mir kam“, sagte sie.
„Was heißt das?“
„Sie hat in der Straßenbahn einen fremden Mann angesprochen, der ihr schon seit längerer Zeit aufgefallen war.“
„Sie hat ihn angesprochen?“, fragte Eric erstaunt.
„Ja, daraufhin hat er sie bis vor meine Türe begleitet und sich verabschiedet.“
„Hast du ihn gesehen?“
„Nein, ich wusste ja nichts davon, bis sie es mir erzählte.“
„Warum hast du um Himmels willen nicht die Polizei gerufen? Warum hast du mir nicht von Anfang an davon erzählt? Warum hast du auf der Polizeistation nichts gesagt?“ Eric sprang auf und wollte zum Hörer greifen, aber Elizabeth hielt ihn zurück.
„Es besteht überhaupt kein Grund, die Polizei zu rufen. Man muss doch nicht gleich jeden verdächtigen, wenn er sich einer Frau gegenüber galant verhält. Sie hat lediglich ein bisschen von ihm geschwärmt. Da ist überhaupt nichts Schlimmes dabei.“
„Verstehst du nicht?“, schrie Eric, „Maryanne ist in Gefahr und dieser Fremde hat etwas damit zu tun. Wie sah er aus? Was haben sie miteinander gesprochen?“ Er packte Elizabeth an den Schultern und schüttelte sie.
„Ich weiß nicht, ich weiß nicht“, schrie sie und brach in Tränen aus. Eric ließ sie los, als es an der Haustür klingelte. Zwei Polizeibeamte in Zivil stellten sich vor.
„Mordkommission“, sagte der Jüngere von ihnen leise und zeigte seinen Ausweis, „dürfen wir reinkommen?“
Eigentlich hätte Eric gar nicht mehr zuhören müssen, denn er wusste, was geschehen war. Dennoch lauschte er aufmerksam jedem einzelnen Wort, das sie in seinem Wohnzimmer sprachen. Sie hatten Maryanne zwei Stunden zuvor im Botanischen Garten gefunden. Zwischen dem Ententeich und dem Gewächshaus für tropische Pflanzen lag sie erstochen unter einem Busch.
Kapitel 5: Elizabeth Cunningham
Um elf Uhr nachts machte sich Eric auf den Weg zum Botanischen Garten. Noch immer war es heiß. Die Hitze, die sich während des Tages in Mauern und Straßenpflaster gebrannt hatte, strahlte ab und verwandelte die Stadt in einen Backofen. Niemand konnte in einer solchen Nacht schlafen. Wer keine Klimaanlage besaß, um die schwere Luft aus der Wohnung zu vertreiben, suchte Abkühlung in einem Restaurant, am Strand, im Supermarkt oder im ungünstigsten Fall auf der Straße. Überall herrschte schlappes Gedränge. Bei noch immer dreißig Grad quoll St. Kilda gemächlich über. Der südlich des Zentrums gelegene Stadtteil erhob den Anspruch, kosmopolitisch zu sein. Waren es anfangs die reichen Bürger, die entlang der Bucht ihre Villen errichteten, um am Wochenende ihre Füße im seichten Wasser zu baden, siedelten sich nach dem Zweiten Weltkrieg jüdische Immigranten hier an. Sie brachten rege Geschäftstätigkeit in das ruhige Seebad. Konditoreien dominierten die Acland Street, einige von ihnen boten noch heute ihre Zartbitterschokoladenkuchen und -torten feil. Bald waren die letzten Villenbesitzer ausgezogen. Die verwaisten Herrschaftshäuser wurden in kleine, billige Wohnungen unterteilt, in denen Maler, Schriftsteller, Musiker, Tagediebe und Tagträumer eine Bleibe fanden und dem Stadtteil ein neues Bild verliehen. Sogar die Straßen trugen Namen ihrer großen Vorbilder: Tennyson, Byron, Shakespeare, Mozart. Doch zum Ruhm und zur Größe eines Patrick White oder Sydney Nolan brachte es niemand aus diesem Teil Australiens.
„St. Kilda ist ein Pseudokünstlerviertel“, pflegte Eric zu spotten. Dass Maryanne ihr erstes Buch gerade hier geschrieben hatte, deutete er als schlechtes Omen.
Obwohl immer mehr Yuppies in den Stadtteil zogen, Neureiche ihre Cabriolets vor neuen Luxusrestaurants parkten und Touristen aus aller Welt sich an den palmengesäumten flachen Strand verirrten, hatte der Stadtteil kaum etwas von seinem alten Charme verloren. Individualisten bestimmten nach wie vor das Bild. Doch selbst unter all den schrägen Vögeln, den Hippies, Irren, Künstlern, Schlägern, Huren und Betrunkenen, die tagtäglich die Straßen bevölkerten, fiel Eric auf, wenn er, elegant in Weiß gekleidet, mit seinem Blindenstock den Gehsteig entlangging. Wer ihn sah, drehte sich nach ihm um.
Seine Haut war weiß, weiß wie Schnee. Auch sein Haar wirkte weiß, tatsächlich war es farblos, transparent, es reflektierte das Weiß der Haut. Eric war groß und kräftig. Und er war schön.
„Interessant schön“, hatte Maryanne jedes Mal korrigiert, wenn jemand sein Aussehen kommentierte.
Er war wirklich schön. So schön, dass Frauen und Männer ihm ungehemmte Blicke zuwarfen. Er war fast perfekt - bis auf seine gewaltige Nase.
„Ein Engel“, jauchzte einmal ein kleines Mädchen, „Mami, da sitzt ein Engel.“ Erst als Eric die Sonnenbrille abnahm und das Mädchen mit flatternden Augen anblickte, blieb ihr der Juchzer im Halse stecken.
Mit seiner stattlichen Größe, der weißen Haut, dem Blindenstock und der schwarzen Sonnenbrille auf der monströsen Nase erregte Eric Aufsehen, wann immer er sich unter Menschen begab.
Durch die Sonnenbrille sah er lediglich verschwommene Umrisse, gerade genug, um gefahrlos durch die Straßen von St. Kilda zu wandern.