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ich hinter mir eine zarte Stimme höre.

      „Mama, die Koffer sind da, und Tim muss mal, und Jana schreit ihn an und …“ Stina lässt sich schluchzend in meine Arme fallen. Auch das noch!

      „Ist schon gut, meine Kleine, ich komme sofort“, flüstere ich.

      Dann drehe ich mich wieder zu Bea um, die sich voller Verständnis zu Stina hinabbeugt. „Mach dir keine Sorgen. Deine Mami ist ein bisschen gestresst. Das ist ganz natürlich. Geht ihr beide ruhig schon vor. Ich komme auch alleine zurecht.“

      Angeblich soll Grün ja beruhigend wirken. Doch jetzt, in diesem Moment, mitten in der grün gekachelten kanadischen Damentoilette, unweit der bewaffneten Grenzbeamten in ihren grünen Uniformen, brodeln sehr beunruhigende Gefühle in mir auf. Am liebsten würde ich Bea erwürgen. Stattdessen nehme ich Stinas Hand, streichle sie sanft und gehe mit ihr zurück zu Tim und Jana. Bea folgt in sicherem Abstand.

      „Mam, ich glaube, unser Anschlussflug ist weg“, schluchzt Jana. Ihre dreizehn Jahre sind von ihr abgefallen, und vor mir steht nur noch ein verzweifeltes kleines Mädchen neben ihrem Bruder und einem Berg Koffer.

      Dann ist der Flug eben weg. Das ist jetzt auch egal. Seufzend hocke ich mich hin und nehme meine drei Kinder fest in den Arm.

      „So, wir werden jetzt unsere Koffer auf einen Wagen packen, zum Schalter der Airline gehen und den Kuckucks“, dabei sehe ich bewusst an Bea vorbei, „neue Flugtickets nach Australien besorgen.“

      „Und was macht Bea?“, fragt Stina.

      „Bea ist eine erwachsene Frau. Sie kann mit der nächsten Maschine nach Victoria weiterreisen oder tun und lassen, was sie mag. Es ist mir egal.“

      Der letzte Satz ist mir nur herausgerutscht. Eigentlich will ich vor den Kindern nicht so bissig klingen. Es tut mir auch prompt leid, nicht wegen Bea, sondern wegen Tim, in dessen Augen sofort eine dicke Träne glänzt. Streit kann er nicht vertragen, besonders nicht, wenn es um Bea geht, die er aus irgendeinem Grund in sein kleines Herz geschlossen hat.

      „Aber …“, schnieft er.

      Bea ist natürlich gleich zur Stelle. „Nein, ich bleibe selbstverständlich bei euch, mein Herzchen. In so einer Situation würde ich meine beste Freundin und ihre Kinder nie allein lassen.“

      Ich schnaube, muss aber widerwillig feststellen, dass meine Wut bereits nachlässt. So ist es immer mit Bea. Sie bringt mich in die unmöglichsten Situationen, und nachher bin ich diejenige, die sich schlecht fühlt.

      Ohne ein weiteres Wort hole ich einen Gepäckwagen, lade die Koffer auf und schiebe sie gefolgt von den Kindern und Bea an einer Gruppe gelangweilt gähnender Zöllner vorbei, hinaus in die Halle.

      Vor dem Service-Schalter der Air Canada wartet bereits eine ganze Reisegruppe darauf, die Wut über ihr verlorengegangenes Gepäck an irgendeinen Mitarbeiter loszuwerden. Daher dauert es eine Weile, bis ich dem Mann am Schalter endlich unser eigenes Problem erklären kann.

      Mit unbewegtem Lächeln wartet er geduldig, bis ich ihm die ganze Situation erklärt habe.

      „We need to get there“, schließe ich. „Mein Praktikum beginnt zwar erst im September, aber wir wollen vorher noch Urlaub machen. Und das Apartment ist bereits bezahlt. Sogar das Auto steht schon in der Garage.“

      Das Lächeln muss in seinem Gesicht festgefrorenen sein, vermutlich liegt es an der kanadischen Kälte. Trotz meiner dramatischen Geschichte hat es sich nicht einmal um einen halben Millimeter bewegt.

      „The next flight to Melbourne leaves“, er tippt etwas in seinen Computer, „heute Abend um elf Uhr fünfundfünfzig.“

      „Wunderbar, den nehmen wir.“

      „Good, who is traveling?“

      Wer nach Australien reisen möchte? Ich lasse meinen Blick über meine drei Kinder schweifen und bleibe an Bea hängen, die Tim und Stina gerade mit irgendeiner abstrusen Geschichte über eine Maus, die jahrelang unter dem Küchenschrank ihrer Mutter gehaust hat, unterhält. Wie schafft sie es nur, sogar meinen kleinen Zappelmax zur Ruhe zu bringen?

      Ich seufze. „Wir alle. Meine drei Kinder, meine Freundin und ich.“

      Das Gesicht des Air Canada Mitarbeiters klart für einen winzigen Moment auf. „Sind das Ihre gemeinsamen Kinder?“

      „Was?“ Vielleicht hängt meine Leitung nach dem langen Flug ein wenig durch. Habe ich den Mann richtig verstanden? Hält er uns, also Bea und mich, für ein Paar?

      „Good heavens, no!“, rufe ich erschrocken. „Mein Mann, also der Vater der Kinder, ist noch in Deutschland.“ Eine lesbische Beziehung ist das eine. Aber Bea als Partnerin würde mich in den Wahnsinn treiben. Trotzdem hätte ich mich vielleicht lieber, zumindest für fünf Minuten, dem trauten Glück mit Bea hingegeben. Doch dafür ist es jetzt zu spät.

      Das warme Lächeln meines Gegenübers ist bereits wieder auf unter Null abgekühlt. „In diesem Fall brauche ich alle Pässe, Geburtsurkunden für die drei Kinder, auf denen jeweils die vollständigen Namen des Vaters und der Mutter angegeben sind, sowie eine Einverständniserklärung des Vaters mit Beglaubigung von einem Amt oder Notar.“

      „Wie bitte?“

      „Einen Vordruck für den letter of consent können Sie auf der Webseite der Regierung unter travel.gc.ca herunterladen.“

      Etwas verwirrt reibe ich mir den Nacken, drehe mich auf der Suche nach Hilfe zu Bea um, erkenne, dass sie noch nicht aus ihrer Maus-Geschichte aufgetaucht ist, und wende mich wieder an den Service-Mitarbeiter.

      „Äh, aber …“

      Abgesehen von seinem tiefgekühlten Lächeln verschwendet er keine weitere Mühe an mich.

      „Aber wieso?“, stammle ich. „Ich meine, natürlich ist mein Mann einverstanden. Wir sind ja auf dem Weg nach Australien. Dass wir hier gelandet sind, ist nur ein Missverständnis.“

      „Natürlich. Dann wird es ja kein Problem sein, die Dokumente zu bekommen.“

      „Kein Problem? Natürlich ist es ein Problem. Die Geburtsurkunden der Kinder sind in Deutschland. Mein Mann ebenfalls. Dort ist es jetzt …“ Ich werfe einen Blick auf meine Uhr. Doch die zeigt bereits die kanadische Zeit. „Keine Ahnung. Nachts jedenfalls.“

      „Wenn Sie Tickets haben möchten, brauche ich die Dokumente.“

      Wenn ich nicht eben einen Anfall von Sympathie in seinen Zügen entdeckt hätte, wäre ich spätestens jetzt davon überzeugt, mit einem menschen-ähnlichen Roboter zu sprechen, der mittels moderner Technik seine Lippen zu einer Computerstimme formt.

      „Kann mein Mann die Unterlagen e-mailen?“

      Der Roboter schüttelt den Kopf.

      „Faxen?“

      „Sorry. Wir brauchen die Originale.“

      „Und wie sollen wir bis heute Abend die Dokumente beschaffen?“

      „Das ist Ihre Sache, Ma’am. Ohne die Dokumente kann ich Ihnen keine Tickets verkaufen.“

      „Aber …“

      „Am besten klären Sie das in Ruhe. Air Canada bietet jeden Tag einen Flug nach Melbourne an. Sobald Sie die nötigen Dokumente beisammen haben, können Sie die Tickets ganz bequem über unsere Hotline buchen.“

      Im Gegensatz zum Grenzbeamten winkt der Air Canada Mitarbeiter nicht sofort die nächsten Kunden heran, sondern wartet mit der Geduld einer Maschine, bis ich meinen Verstand zumindest soweit unter Kontrolle gebracht habe, dass ich meine Zettel einsammeln und mich selbstständig von seinem Schalter abwenden kann.

      „Was ist los, Mam?“, erkundigt sich Jana. „Wann geht der Flug?“

      „Heute Abend.“

      „Aber?“, erkundigt sich Bea.

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