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die Karte in der Hand. Sie schwebte davon, ohne sich umzudrehen. War auch der Erdbeerfleck inszeniert? Frauen waren ein Rätsel. Was für ein Tag! Felix war noch ganz benommen von den seltsamen Wendungen an diesem Sommertag.

      Bald kehrten seine Gedanken zur Bank zurück. Es gab noch ein Problem. Wenn er Sells Vorschläge aufgriff, dann musste er mit der Mutter kämpfen. Felix spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Wie sollte er ihr klar machen, dass er noch Fremdsprachenkurse und ein Diplom als Bilanzbuchhalter brauchte, um seine berufliche Laufbahn zu festigen? Seine Mutter ließ sich sicher auch nicht von dem Lob des Direktors Sell beeindrucken. Seine Argumente waren ihr schnuppe. Sie war der personifizierte Vorwurf: In den Augen seiner Mutter war er der undankbare Sohn. Er hatte die zusätzliche Chance, die sie ihm in den unsicheren Zeiten eröffnen wollte, gegen sie und den Hof gewandt. Sie war mit der Schufterei auf dem Hof allein.

      „Es würde ja schon helfen, wenn du nur ein Drittel deiner Zeit auf dem Hof verbringst. Aber du lässt uns im Stich!“ Felix hatte zurückgebrüllt: „Ich bin nicht mit dem Hof verheiratet. Auf mich kannst du nicht zählen. Ich tue was ich kann, aber mehr kann ich nicht!“

      Gleich danach bedauerte er seine Worte.

      „Ich muss mich sachlich und ruhig mit ihr auseinandersetzen“, dachte er, zahlte sein Eis. Dann kaufte er für Mutter eine große Flasche Eierlikör. Morgen, nach dem Schultag wollte er eine Offensive des Charmes eröffnen.

      „Es tut mir leid, Mutter.“

      „Hast du die Tiere versorgt?“

      „Ja, Mutter ich habe auch ausgemistet und Stroh geholt. Du hast wieder einen Vorrat. Und auf dem Kartoffelfeld war ich auch.“

      „Großvater ist nicht mehr so gut auf den Beinen, hast du das schon gemerkt? Manchmal schläft er bei Tisch ein, hat dicke Füße.“

      „Hast du gehört, was ich dir gesagt habe?, dass es mir leid tut. Wir sollten nicht mehr so miteinander streiten.“

      „Ich habe schon gehört. Es ist schon gut, Felix. Ich bin halt manchmal verzweifelt. Und du denkst, ich gönne dir dein Vorwärtskommen nicht. Ich will dir ja nicht im Weg stehen. Aber der Hof, die Arbeit, und dann noch der kranke Großvater.“

      „Was ist es, was denkst du?“

      „Er sagt ja nichts. Aber er atmet so kurz, wenn er sich anstrengt. Und die Füße, das ist Wasser in den Beinen, eine Alterserscheinung. Ich habe schon Brennnesseltee gebrüht, aber den trinkt er nicht. Es ist halt alles zuviel für ihn.“ „Meinst du, dass er einen Eierlikör trinkt? Der soll ja herzstärkend sein!“

      „Wo hast du denn den her?“

      „Ich habe ihn für euch gekauft.“ Es wurde ein friedlicher Abend. Wie schon lange nicht mehr. Sie saßen um den großen runden Holztisch in der Küche. Großvater auf der Bank mit einem Kissen im Kreuz, Mutter mit ihrem Stopfzeug. Der Eierlikör machte die Runde. Dorftratsch wurde erzählt. Die Maria habe einen „von drüben“ geheiratet. Seine Schulfreundin Eva bekomme ein uneheliches Kind und man wisse nicht, wer der Vater ist. Irgendjemand habe die neue Telefonzelle am Markt beschmiert. Und Ernst August sei schon wieder im Krankenhaus. Der 30. Splitter musste heraus operiert werden. Adenauer hielt sich in Moskau auf und verhandelte um die Freilassung der Kriegsgefangenen. Noch gab es Hoffnung für einige Familien im Dorf. Der Gedanke an Vater kam auf. Vater saß mit am Tisch. Das Gestern war im Heute noch gegenwärtig.

      Die Flüchtlinge waren vom Waldlager in feste Häuser gezogen. Ihre schmucken, kleinen Häuser sahen alle gleich aus: Flur, zwei Zimmer, Küche und Innenklo, darüber ein Spitzdach. Davor die Straße, dahinter der Gemüsegarten. Die Straßen in der neuen Siedlung wurden nach den verlorenen Ostgebieten genannt. Wie in tausend anderen Orten auch gab es jetzt eine Pommern-, Schlesien- und Ostpreußenstraße im Dorf. Und die Flüchtlinge waren immer noch fremd, waren die „anderen“, die besonders kritisch beäugt, deren Kinder in der Schule gehänselt wurden.

      „Dass die Häuser mit so günstigen Krediten gebaut wurden, das gibt böses Blut“, sagte die Mutter. Viele von den Eingeborenen haben noch die Toilette im Hof, und die Häuser sehen schäbig aus.

      „Aber diese Häuschen sind doch wirklich keine Paläste“, wandte Felix ein, der sich morgens im Zug jetzt mit Christoph Helbig unterhielt – auch einer von „denen“, die er früher geschnitten hatte, weil man nicht mit ihnen verkehrte. Aber von den Amis, egal ob schwarz oder weiß, hatten sie Geschenke genommen, ohne auf die Hautfarbe zu achten, dachte Felix, dem die dörfliche Beschränktheit erst allmählich zum Bewusstsein kam. Aber gab es nicht auch Beschränktheit in der Großstadt? War nicht der Neid der Städter auf die wohlhabenden Bauern auch eine Form der Beschränktheit? Und gab es nicht schon wieder Neid zwischen den Nationen, die der jungen Bundesrepublik das „Wirtschaftswunder“ missgönnten? Auch die Bosse eines so modernen Unternehmens, wie es seine Bank war, schienen von neiddurchtränkten Urinstinkten nicht frei zu sein. Wie redeten sie über Direktor Rupp, der jetzt auf Capri den Lebensabend genoss. Voller Neid!

      „Prost Großvater, zum Glück sind wir nicht neidisch aufeinander.“ Felix versuchte sich mit einem Scherz, der leider nicht zündete. Denn Großvater war eingenickt. Das Likörglas in der Hand, aufrecht am Tisch sitzend, schnaufte er friedlich vor sich hin.

      „Ich werde noch Kartoffeln sortieren“, sagte Felix zur Mutter. „Lass gut sein, mein Junge“, sagte sie milde.

      Was ist Neid? Während Felix am nächsten Tag die Kartoffeln durch das große runde Sieb schaufelte, um sie auszusortieren, hatte er Zeit zum Grübeln. War Neid angeboren? Es muss eine Form von unterdrückter Gewalttätigkeit sein. Wahrscheinlich hat es etwas mit Verteidigung des Reviers zu tun, mit einem Bedrohungsgefühl, in der Steigerung mit Verfolgungswahn. dass man Neid körperlich spüren kann, dass er greifbar ist in Mimik und Gestik. Das sollte er bald erfahren. Felix überfiel der Neid noch im Hochgefühl der Freude über das Gespräch mit Sell und in der ungewohnten Friedenszeit zu Hause.

      Erfolg ist mit Neid gekoppelt, das war die Lektion, die er zu lernen hatte. Zunächst hatte es Krach mit Daser gegeben. Daser, auf Vorstandsebene wie Sell angesiedelt und für die Personalpolitik der Bank verantwortlich, erfuhr eher zufällig von Felix Bericht über die Ausgliederung der Hollerith-Abteilung. Abteilungsleiter Bauer hatte sich an ihn gewandt, weil er zu Felix Ausführungen eine Stellungnahme abgeben sollte. Und weil er beunruhigt war über die Kreise, die ein an sich harmloser Lehrlingsbericht zog. Im Gespräch mit Daser wollte er nun den Realitätsgehalt der Vorschläge erkunden.

      „Herr Bauer Sie sehen mich im Zustand der Unschuld. Ich versichere Ihnen, dass ich den Bericht nicht kenne. Fragen Sie nicht, weshalb das so ist. Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde ... na, sie wissen schon. Aber ich werde es bald wissen. Lassen Sie den Bericht hier. Ich werde prüfen, was es damit auf sich hat.“

      „Aber Herr Sell geht offensichtlich von einer Realisierbarkeit der Vorschläge des Herrn Admont aus.“

      „Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird, Herr Bauer. Und wer schnell hoch aufsteigt, kann auch schnell wieder abstürzen. Denken Sie mal über diese alten Volksweisheiten nach. Ich werde mich bei Herrn Sell erkundigen, und wenn etwas an dem Bericht des Admont dran sein sollte, hören Sie von mir. Aber: machen Sie vorher nicht die Pferde scheu.“

      Dr. Vogt wurde unverzüglich zum Rapport bestellt. „Lieber Dr. Vogt, da gibt es ein winzig kleines Problem“, eröffnete Daser in falscher Freundlichkeit das Duell.

      „Worum handelt es sich?“ Vogt, dem dieses gewollt harmlose Vorspiel bekannt vorkam, zog die Augenbrauen hoch. Die leisen Töne seines Chefs verhießen nichts Gutes.

      „Wie weit ist Ihre Abteilung von meinem Büro entfernt?“

      „Warum fragen Sie?“

      „Das ist doch eine höchst interessante Frage, die man analysieren könnte. Besonders zu klären wäre in diesem Zusammenhang die Frage, wieso auf dieser kurzen Strecke immer wieder so viele Informationen verloren gehen?“ „Ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen, Herr Daser.“

      „Es muss ein Loch geben, ein Informationsloch. Oder wie erklären Sie sich, dass Sie mir personalrelevante

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