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nächsten Morgen frühstückte Ananda Tsomo rechtzeitig, suchte dann im Internet eine Schule, die nahe der Baroo Khanka Road lag, und wurde sofort fündig. Es war die Munshi Habibullah Mission School, die sogar einen Schulbus unterhielt. Ananda war überrascht, dass der Unterricht erst um zehn Uhr begann. Sie konnte also in Ruhe auschecken und sich dann auf den Weg machen.

      Mit klopfendem Herzen stand sie später vor dem Flachbau, in den nach und nach schwatzende und lachende Kinder gingen. Der Junge, den sie für ihren Sohn hielt, kam zu Fuß und in Begleitung eines Freundes oder Klassenkameraden.

      »Assalamo aleikum! – Hallo«, sprach ihn Ananda auf Urdu an. »Du hast gestern bei mir im Laden ein schönes altes Automodell mit Spieluhr gekauft. Du magst wohl Autos, wie die meisten Jungen? Gefällt dir das Spielzeug immer noch so gut?«

      »Ja, aber das war in Leh«, antwortete der hübsche, dunkelhaarige Junge. »Sind Sie uns etwa bis hierher gefolgt?«

      »Ich geh dann schon mal vor«, sagte der etwas dickere Schulkamerad, der an der Unterhaltung nicht sonderlich interessiert zu sein schien.

      »Warte doch, ich komme gleich mit«, aber der Junge war schon vorgelaufen, um dann stehen zu bleiben.

      »Ist das dein Freund, Irshalu?«

      »Warum sagst du Irshalu zu mir? Ich heiße Diyo Mani. Und Mani bedeutet “Das Wunschjuwel”.«

      »Ich kann mir denken, dass die Leute, bei denen du jetzt lebst, sich immer einen Jungen wie dich gewünscht haben, aber in Wahrheit bin ich deine Mutter, und du heißt Irshalu.«

      »Was ist denn jetzt?«, quengelte der andere Junge, der wieder näher gekommen war.

      »Sie sagt, sie ist meine Mutter. Sie muss verrückt sein.«

      »Dann sollten wir einen von den Lehrern holen oder gleich die Polizei«, sagte der Junge.

      »Nein, ich bin nicht verrückt. Du hast doch einen kleinen, dunklen Fleck auf deinem Schulterblatt, ein Muttermal, nicht wahr?«

      Diyo überlegte einen Moment und griff automatisch mit seiner kleinen Hand über die Schulter auf seinen Rücken.

      »Ja, den habe ich. Maa sagt, das haben andere Kinder auch.«

      »Siehst du, du benutzt den Begriff für Mutter in Hindi, im muslimischen Indien heißt es doch bestimmt anders …«

      Diyo zuckte mit den Schultern. »Ich muss jetzt rein, damit ich nicht zu spät komme …«

      »Kannst du dich denn gar nicht an mich erinnern? Oder an deinen Vater, Bhavin Gyatso, oder deine Onkel Kumar Sangpo und Pouya Gönpo?«

      Diyo verneinte, und Ananda war den Tränen nahe.

      »Du warst damals drei Jahre alt, als du plötzlich verschwunden bist. Ich habe dich überall gesucht und Plakate mit deinem Foto aufgehängt. Haben sie dich gefunden?«

      »Ich muss jetzt wirklich gehen …«

      »Bleib doch noch einen Moment. Ich hatte solche Sehnsucht nach dir. Du musst dich doch an unser schönes Haus in Leh erinnern. An dein Zimmer mit blauen Wänden und einer Lampe, die wie ein Mond aussieht.«

      »Wir kennen Sie nicht. Lassen Sie uns in Ruhe, sonst holen wir wirklich einen Lehrer«, mischte sich der andere Junge erneut ein. »Da kann ja jeder kommen und behaupten, die Mutter eines Kindes zu sein, indem er eine abenteuerliche Geschichte auftischt. Also hauen Sie ab.«

      »Ja, ich gehe, aber ich komme wieder, um dich von diesen Leuten wegzuholen«, sagte Ananda, ohne den anderen Jungen auch nur eines Blickes zu würdigen. »Du gehörst doch zu mir. Ich habe nichts anderes, für das es sich zu leben lohnt.« Jetzt weinte sie wirklich.

      »Komm, die spinnt. Die hat doch eine Schraube locker. Am besten beachtest du sie gar nicht.« Diyos Freund zog ihn mit sich, indem er Ananda noch einmal feindselig ansah und sie dann mit Verachtung zu strafen.

      Diyo drehte sich jedoch in der Eingangstür der Schule um und warf Ananda einen unergründlichen Blick zu. Dann wurde er vom Strom der anderen Kinder mitgerissen.

      2.

      Ananda Tsomo konnte Tag und Nacht keine Ruhe finden. Sie quälte der Gedanke, ihr Kind bei fremden Leuten zu wissen, denn sie war sich sicher, dass Diyo in Wahrheit Irshalu war, auch wenn er scheinbar keine Erinnerung daran hatte. Ihre Brüder wollten es noch immer nicht glauben. Pouya Gönpo redete schlicht von Wunschdenken. Er sprach nicht aus, was er insgeheim dachte, dass sein Neffe Irshalu längst tot oder allenfalls von Entführern außer Landes gebracht war. Dass sie friedlich nur gut zweihundert Kilometer entfernt wohnen sollten, erschien ihm doch allzu wunderbar.

      Doch Ananda wollte nichts unversucht lassen, ihren Sohn zurückzubekommen. In ihrer Not fiel ihr Paigam Kalzang ein. Vielleicht würde sie in der Selbsthilfegruppe Rat erhalten, was man in solch einem Fall tun konnte. Kurz entschlossen griff Ananda zum Telefon.

      »Hallo, hier spricht Ananda Tsomo …«

      »Ja, welch eine Freude, Sie zu hören. Haben Sie sich entschlossen, mit nach New Delhi zu kommen?«

      »Doch, ich denke, ich möchte die Gruppe kennenlernen. Aber …«

      »Aber?«

      »Vorher möchte ich noch einmal nach Kargil fahren, um nichts unversucht zu lassen. Es hat sich nämlich etwas Unglaubliches ereignet.« Ananda erzählte kurz vom Besuch des Ehepaares und wie sie mit Irshalu Kontakt aufgenommen hatte.

      »Sie sind eine sehr mutige Frau, sich so einfach in die Höhle des Löwen zu wagen, wenn ich das bemerken darf. Und Sie sind sich völlig sicher, dass es sich bei diesem Diyo um Ihren Sohn handelt?«

      »Völlig, das Muttermal hat letzte Zweifel beseitigt. Ich muss versuchen, mit diesen Leuten vernünftig zu reden, und werde Babyfotos von Irshalu mitnehmen. Dann sollen sie mal ihre zeigen. Ich denke, sie werden keine haben.«

      »Ich würde Sie gerne begleiten, denn ein Mann an Ihrer Seite kann bestimmt nichts schaden. Was halten Sie davon?«

      »Das kann ich doch nicht annehmen. Wollen Sie wirklich sieben Stunden Fahrt, plus Übernachtung und Rückfahrt auf sich nehmen?«

      »Gewiss, Sie können mein Angebot gerne annehmen. Und die Übernachtung können wir uns sparen, indem ich eine der beiden Fahrten übernehme. Oder lassen Sie keinen Mann ans Steuer Ihres Wagens?«

      Ananda lachte. »Doch, doch, mein jüngerer Bruder leiht ihn sich mitunter auch aus. Dennoch …«

      »Ja? Sie meinen, es schickt sich nicht, dass eine verheiratete Frau mit einem Witwer allein so eine lange Fahrt unternimmt. Ist es das?«

      »Nein … Ich meine, es ist mir relativ gleichgültig, was die Leute reden. Aber ich möchte Ihnen das eigentlich nicht zumuten …«

      »Muten Sie nur. Zu zweit sind wir stärker, und die Reise ist kurzweiliger. Wann soll es losgehen?«

      »Am liebsten schon morgen …«

      »Einverstanden, es ist kein Problem für mich, einen Tag freizumachen. Wann und wo soll ich Sie erwarten?«

      »Ich hole Sie natürlich ab, das ist das Mindeste. Sagen wir um acht Uhr nach dem Frühstück? Dann könnten wir bis Mitternacht zurück sein.«

      »Gut, dann bis morgen. Ich freue mich.«

      Pünktlich um acht stand Ananda vor Paigams Haus. Diesmal war sie gut vorbereitet, denn in ihrem Wagen befanden sich Getränke wie warmer und kalter Tee und einige kleine Snacks. Schmunzelnd bemerkte sie, dass auch Paigam Kalzang Proviant dabei hatte.

      »Da können wir ja unterwegs noch einen Anhalter mitnehmen«, sagte sie gutgelaunt. »Ich denke, wenn wir zusammenlegen, wird es für einen oder zwei ausgehungerte Mönche reichen.«

      »Wenn sie nicht gerade fasten, ja. Doch ich hätte auch nichts dagegen, alles mit Ihnen allein zu verspeisen.«

      Auf

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