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zu krepieren. Sogar mit Kaffee und Zigaretten habe ich mich bezahlen lassen. Na ja, deine Mutter könnte dir da sicher auch eine Menge erzählen.« Sie tätschelte ihr die magere Schulter. »Also was ist?«

      »Sie reden alle davon«, sagte sie zögernd.

      »Aber getan hast du es noch nicht?«

      Und wieder schüttelte Amélie den Kopf.

      Deine Hässlichkeit hält dich ehrbar. Du bist wirklich ein armes Luder, dachte Inès über sie nach. »Weißt du, auf jeden Topf passt ein Deckel. Für dich gibt es auch einen, ganz sicher.«

      Amélie sah sie schräg an. »Es ist mir egal, ich mach' mir da nichts daraus.«

      »Irgendwie wirst du doch wohl noch Gefühle habe, oder?«

      »Ich möchte einfach weg«, wiederholte sie leise. »Weit fort.«

      »Vom Straßenstrich?«

      »Nein, das ist mir egal, der stört mich nicht.« Sie war ein Straßenkind. War damit aufgewachsen und kannte nichts anderes. In dieser Beziehung hatte sie keine Illusion. »Von daheim.«

      Inès nahm erneut einen großen Schluck aus der Flasche. »Jetzt versteh ich dich endlich. Du willst von zu Hause abhauen, hast aber kein Geld?«

      Amélie nickte.

      »Ach, und da hast du gedacht, ich geh' mal etwas anschaffen und dann wird das schon?«

      »Ja, sagen doch alle, dass man da schnelles Geld verdient.«

      »Klar, wenn man jung und knusprig ist. Ja, dann kann man eine Masse Geld verdienen, ›Ma Petit‹. Aber wenn man älter wird, dann muss man sich bis zur Decke strecken.«

      »Ich möchte aber jetzt fort. Daheim halte ich es einfach nicht mehr aus. Und ich glaube, die sind auch froh, wenn ich endlich verschwinde.«

      »Ist Gabrielle denn wirklich so schlimm geworden?«, staunte Inès.

      »Sie war wohl immer schlimm«, meinte Amélie. »Immer. Ich kenne es gar nicht anders. Sie mag uns nicht, weißt du? Sie hasst mich und Raphael auch. Sie hasst uns Kinder. Es ärgert sie, dass sie wegen uns alles aufgeben musste.«

      Inès hörte auf zu trinken. »Jetzt mach' aber einmal einen Punkt, ›Ma Petit‹! So war das damals aber nun wirklich nicht. Nein, und was deinen Bruder betrifft, das hat sie doch nur getan, um nicht in den Knast zu kommen. Sie war nämlich ein raffiniertes Luder, deine ›Maman‹.«

      Amélie riss die Augen auf. »Was sagst du da?«

      »Ach, dass hat sie dir also verschwiegen?«, kicherte Inès. »Na, das hätte ich mir ja gleich denken können!«

      Amélie war unbegreiflich, dass sie bis jetzt nichts davon gehört hatte. Sie lauschte gespannt, um zu erfahren was Inès zu erzählen wusste.

      »Ja, das mit dem Knast … Also, wie es wirklich war, das haben wir nie herausgefunden. Weißt du, ihr damaliger ›Souteneur‹, der war auf einmal tot. Lag da mit durchgeschnittener Kehle in seinem Blut ...«

      Meint sie das ernst? Amélie ahnte, was sie gleich von ihr hören würde.

      »Wir hatten ja alle Gabrielle im Verdacht, und das glaube ich eigentlich noch immer, ehrlich. Aber ich kann dir sagen, die hat das ganz raffiniert gemacht und ganz groß die Trauernde gespielt. Richtig verrückt hat sie sich angestellt, gejammert und gejault und den Bullen erzählt, sie sei doch schwanger, und jetzt wisse sie gar nicht, wie es weiter gehen soll ...« Inès redete wie ein Wasserfall, ohne zu bemerken, wie Amélies Augen immer größer wurden.

      Oh, mein Gott! ... Meint sie etwa Raphael? Amélie überlegte, ob das wirklich möglich sein konnte.

      »Nun ja, da waren noch ein paar Hintermänner. Also, ich will mich mal so ausdrücken: die Gabrielle wollte ihn loshaben, das weiß ich genau. Ob Raphael wirklich von dem ›Mac‹ ist, weiß ich nicht. Jedenfalls ist sie dann doch nicht in den Knast gekommen.« Inès starrte blicklos geradeaus. Sie war ganz in der Vergangenheit versunken.

      Knast? ... Das wird ja immer schlimmer? Ich versteh' nicht, weshalb ich nie etwas von dieser Geschichte gehört habe. Ist da vielleicht was Wahres dran oder entspringt das nur ihrem Alkoholrausch? Amélie konnte das Erzählte nicht glauben. Sie wollte es einfach nicht.

      »Der Robert hat sie dann geheiratet, in der Hoffnung, sie hätte das ganze Geld von dem ›Mac‹ einstecken können. Damit war's aber nix!« Inès konnte sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen.

      Amélie sah es, was sie noch mehr an dem Gehörten zweifeln ließ.

      »Damals hat sie uns allen erzählt, sie wolle ehrbar werden, eine Familie gründen und Kinder haben. Sie würde Kinder über alles lieben ... Ja, das waren ihre Worte. Doch der Robert war schon immer ein stinkfauler Sack und … Na ja, sie ist nie aus dem Viertel rausgekommen. Später ist sie dann noch Mal vorübergehend auf den Strich gegangen. Bis die von der ›Aide Sociale‹ kamen und sich um euch Kinder kümmerten. Als die beiden herausfanden, dass man auch auf Kosten des Staates leben kann, da hat sie dann auch nichts mehr gemacht.« Inès Blase der Vergangenheit platzte, und sie war wieder in ihrem trostlosen Hier und Jetzt. Sie sah in die Amélies geweiteten Augen und erschrak.

      Amélie war in sich zusammengesunken, weil sie noch mehr schlechte Nachrichten erwartete.

      Bei Gott! Sie hat wirklich keine Ahnung von der Sache gehabt, schoss es Inès durch den Kopf. Sie machte sich Vorwürfe. Vielleicht hätte ich ihr das doch nicht erzählen dürfen.

      »Ach, ich wünschte ...«

      »Was?«

      »Nein, ich weiß nicht ...«

      »Bist ein armes Luder, wirklich. Hier, nimm doch mal einen Schluck.« Inès bot ihr die schon gut geleerte Flasche an.

      »Ich möchte nicht«, wehrte Amélie ab.

      »Weil dein Alter säuft, nicht wahr?«

      Sie nickte.

      Inès streichelte die Flasche. »Ich will dir mal was sagen: Wenn ich den Tröster nicht hätte, könnte ich das Leben gar nicht mehr aushalten.«

      »Wirklich?«

      Inès ließ ihre Frage unbeantwortet. Sie war vom ungewohnten vielen Reden müde und starrte mit leeren Augen vor sich hin, während Amélie neben ihr sitzen blieb – nicht wissend, was sie tun sollte.

      ***

      Kapitel 2

      »Da finde ich dich ja endlich!«

      Amélie hob den Blick und sah einen Mann vor sich stehen.

      Seine schwarzen Haare zeigten an den Schläfen bereits die ersten grauen Strähnen. Seine elegante Kleidung rundete er mit einem passenden schwarzen Spazierstock ab.

      Unwillkürlich duckte sie sich, gerade so, als würde sie geschlagen werden.

      Inès erwachte aus ihrem Dämmerzustand und blickte ihn an. »Ach, schau mal an, der Pierre ist wieder im Lande! Nein, das ist aber eine Freude!«

      Der Mann lächelte dünn.

      Inès sprang auf und hängte sich an seinen rechten Arm ein. »Na, Pierre, auf dich habe ich schon lange gewartet.«

      »Wirklich?«, fragte er geschmeichelt.

      Sie streichelte ihn über den Arm und die Brust.

      Der lässt sich das wirklich gefallen, dachte Amélie erstaunt. Komisch, ich könnte das nicht haben, wenn Inès mich so streicheln würde.

      »Soll ich dir das wirklich glauben?«

      »Pierre, ich sage es dir, und wenn du willst, schreibe ich es für dich auch auf: Ich habe wirklich schon auf dich gewartet.«

      Ihr

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